„Es tut mir leid, dich bei der Arbeit stören zu müssen, aber ich habe im Haus angerufen und erfahren daß das Terminal nicht angeschlossen ist. Brian, wie du zweifellos aus den Nachrichten weißt, hat die Krise alle Verbindungen ins Chicago-Imperium unterbrochen. Die Morde. Der ›Rote Donnerstag‹, wie die Journalisten ihn nennen. Ein Ergebnis davon ist, daß ich mich in Kalifornien aufhalte; ich habe mein Ziel im Imperium nicht erreicht. Gibt es vielleicht Post oder Nachrichten für mich, die bei euch gelandet sind? An mich ist nichts weitergeleitet worden.“
„Ich wüßte nichts davon. Tut mir leid.“
„Kannst du mir nicht einmal sagen, ob etwas weitergeschickt werden sollte? Wenn ich nur wüßte, daß eine Nachricht für mich eingetroffen wäre, könnte mir das helfen, sie aufzuspüren.“
„Ich will mal überlegen. Da wäre zunächst das ganze Geld, das du abgezogen hast … Nein, die ent-sprechende Ziehung hast du ja mitgenommen.“
„Was für Geld?“
„Das Geld, das du von uns zurückverlangt hast — wenn wir nicht einen offenen Skandal riskieren sollten. Gut siebzigtausend Dollar. Marjorie, ich bin überrascht, daß du die Frechheit hast, dein Gesicht hier blicken zu lassen — wo doch dein Fehlverhalten deine Lügen, deine kalte Habgier unsere Familie zerstört haben.“
„Brian, wovon redest du da, um alles auf der Welt?
Ich habe niemanden belogen, ich finde auch nicht daß ich mich falsch verhalten habe, und ich habe keinen Pfennig aus der Familie abgezogen. ›Die Familie zerstört‹ — wie denn? Ich wurde aus der Familie verstoßen, aus heiterem Himmel, verstoßen und fortgeschickt, innerhalb weniger Minuten. Ich habe auf keinen Fall ›die Familie vernichtet‹. Erklär mir das bitte!“
Brian kam meiner Aufforderung nach und ließ keine schreckliche Einzelheit aus. Meine Untaten gingen natürlich Hand in Hand mit meinen Lügen, jener lächerlichen Behauptung, ich sei ein Lebendiger Artefakt und kein Mensch, eine Behauptung mit der ich die Familie gezwungen hatte, die Annullierung zu verlangen. Ich versuchte ihn daran zu erinnern, daß ich ihm ja meine gesteigerten Fähigkeiten vorgeführt hatte; aber er tat die Bemerkung ungeduldig ab. Meine Erinnerungen, seine Erinnerungen — das paßte nicht zueinander. Was das Geld betraf, so log ich natürlich wieder; er hatte die Quittung mit meiner Unterschrift gesehen.
Ich unterbrach ihn mit der Bemerkung, daß jede Unterschrift auf einem solchen Dokument, die wiedie meine aussah, eine Fälschung sein müsse, da ich keinen einzigen Dollar bekommen hätte.
„Damit klagst du Anita der Fälschung an. Das ist bisher deine unverschämteste Lüge.“
„Ich klage überhaupt nicht an. Aber ich habe von der Familie kein Geld erhalten!“
Natürlich beschuldigte ich Anita doch, und das wußten wir beide. Und vielleicht schloß ich Brian in meine Vorwürfe mit ein. Ich erinnerte mich an Vikkies Bemerkung, daß Anita nur dann harte Brustwarzen bekäme, wenn es um große Guthabenbeträge ginge — und ich hatte sie unterbrochen und aufgefordert, nicht frech zu sein. Aber auch von anderer Seite hatte ich Hinweise erhalten, daß Anita im Bett nicht sonderlich auftaute — ein Zustand, den eine KP nicht zu verstehen vermag. Im Rückblick erschien es denkbar, daß ihre Leidenschaften zur Gänze auf die Familie, auf ihren finanziellen Erfolg, ihr öffentliches Prestige und ihre Macht in der Gemeinde gerichtet waren.
Wenn das stimmt, mußte sie mich hassen. Ich zerstörte die Familie nicht, aber anscheinend war mein Ausschluß der erste Dominostein, der zum Zusammenbruch führte. Beinahe unmittelbar nach meiner Abreise fuhr Vickie nach Nuku’alofa — und beauftragte einen Anwalt damit, auf Scheidung und finanzielle Abfindung zu klagen. Dann verließen Douglas und Lisbeth Christchurch, heirateten separat und leiteten einen ähnlichen Prozeß ein.
Ein winziger Trost wurde mir zuteil. Ich erfuhr von Brian, daß die Abstimmung gegen mich nicht sechs zu null, sondern sieben zu null gewesen war. Eine Verbesserung? Ja. Anita hatte bestimmt, daß die Ent-scheidung nach den Anteilen vorgenommen werden müßte; die Haupt-Anteilseigner, Brian, Bertie und Anita, hatten als erste abgestimmt, sieben Stimmen gegen mich, eine klare Mehrheit für den Ausschluß woraufhin Douglas, Vickie und Lisbeth gar nicht erst abgestimmt hatten.
Doch eben nur ein winziger Trost, denn sie hatten sich gegen Anita nicht aufgelehnt, hatten nicht versucht, ihr Einhalt zu gebieten, hatten mich nicht einmal vor dem gewarnt, was da im Gange war. Sie enthielten sich der Stimme — dann blieben sie im Hintergrund und ließen das Urteil vollstrecken.
Ich erkundigte mich bei Brian nach den Kindern — und bekam die barsche Antwort zu hören, daß sie mich nichts angingen. Er fügte hinzu, er habe viel zu tun und müsse weitermachen, doch ich stellte ihm noch schnell eine Frage: „Was ist aus den Katzen geworden?“
Er sah aus, als würde er gleich explodieren. „Marjorie! Hast du denn überhaupt kein Herz? Nachdem deine Handlungsweise soviel Schmerz, soviel echte Tragik verursacht hat, erkundigst du dich nach etwas so Unwichtigem wie den Katzen?“
Ich bezwang meinen Zorn. „Ich möchte es wissen Brian.“
„Ich glaube, sie wurden dem Tierschutz überlassen.
Oder einer medizinischen Fakultät. Leb wohl! Bitte ruf mich nie wieder an!“
„Medizinische Fakultät …“ Mr. Stolperstein auf einen Operationstisch gebunden, während ein Medizinstudent ihn mit dem Skalpell auseinandernahm?
Ich bin kein Vegetarier und habe auch nichts gegen den Einsatz von Tieren in Forschung und Lehre. Aberwenn es denn schon geschehen muß, lieber Gott wenn es da überhaupt einen gibt, dann soll das nicht an Tieren geschehen, die dazu erzogen worden sind sich für Menschen zu halten!
Tierschutz oder medizinische Fakultät, Mr. Stolperstein und die jüngeren Katzen waren mit ziemlicher Sicherheit tot. Wären die SBR geflogen, hätte ich es wohl trotzdem riskiert, nach Britisch-Kanada zurückzukehren, um den nächsten Start nach Neuseeland zu erreichen, in der verlorenen Hoffnung, meinen alten Freund zu retten. Ohne moderne Transportmittel jedoch war Auckland weiter entfernt als Luna City.
Außerdem wäre das ganze Unterfangen mehr als hoffnungslos gewesen.
Energisch griff ich auf mein Kontrolltraining zurück und verdrängte Dinge aus meinen Gedanken die ich sowieso nicht mehr ändern konnte …
… und mußte feststellen, daß Mr. Stolperstein mir noch immer um die Beine strich.
Auf dem Terminal blinkte eine rote Lampe. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, daß ich ungefähr die angekündigten zwei Stunden benötigt hatte; das Licht war mit ziemlicher Sicherheit Trevor.
Also entscheide dich endlich, Freitag! Willst du dir das Gesicht waschen, hinuntergehen und dich von ihm beschwatzen lassen? Oder möchtest du ihn hochbitten, sofort ins Bett bugsieren und dich bei ihm ausweinen? Zumindest im Anfang? In diesem Augenblick fühlst du dich alles andere als scharf auf einen Mann — aber wenn du ein Weilchen an einer weichen, warmen Männerschulter gelegen hast, wenn du deine Gefühle ein wenig ausgetobt hast, dann wirddas Interesse schon zurückkehren. Das weißt du aus praktischer Erfahrung. Frauentränen gelten bei den meisten Männern als sehr anregend, eine Erkenntnis die du nur bestätigen kannst. (Ein verdeckter Sadismus? Machismo? Wen schert das? Es funktioniert.)
Laß ihn heraufkommen! Bestell Alkohol! Leg auch etwas Rouge und Lippenstift auf, damit du begehrenswert aussiehst. Nein, zum Teufel mit Lippenstift; der würde sowieso nicht lange vorhalten. Laß ihn heraufkommen! Nimm ihn mit ins Bett! Heitere dich auf, indem du dir größte Mühe gibst, ihn aufzuheitern! Gib ihm alles, was du zu bieten hast!
Ich holte ein Lächeln auf mein Gesicht und aktivierte das Terminal.
Und vernahm die Stimme des Hotelroboters: „Wir haben hier eine Schachtel Blumen für Sie. Sollen wir sie zu Ihnen hinaufschicken?“
„Aber ja.“ (Egal von wem, eine Schachtel Blumen ist besser als ein Schlag vor den Bauch mit einem nassen Fisch.)