„Oh, mein Gott!“
„Beherrschen Sie sich! An den Kontrollen des AAF befanden sich tatsächlich Fingerabdrücke, die nicht Lieutenant Dickey gehörten. Sie entsprachen Captain Tormeys Abdrücken, wie sie im Archiv von ANZACSkyways enthalten waren. Bitte beachten Sie, daß ich in der Vergangenheitsform gesprochen habe; die Abdrücke waren dort, sie sind dort aber nicht mehr auszumachen. Freitag, obwohl ich es für geraten hielt unser Aktionszentrum aus dem Imperium zu nehmen, bin ich dort nach den vielen Jahren meiner Tätigkeit nicht ohne Kontakte. Und nicht ohne Agenten.
Es gibt viele Leute, die mir einen Gefallen schuldig sind. Jetzt befinden sich keine Abdrücke in dem Wrack, die auf Captain Tormey hindeuten, sondern Abdrücke vieler anderer lebender und toter Verursacher.“
„Chef, dürfte ich Ihnen die Füße küssen?“
„Halten Sie sich zurück. Ich habe dies nicht getan um die Britisch-Kanadische Polizei zu ärgern. Mein Einsatzagent in Winnipeg verfügt nicht nur über unsere normale Ausbildung sondern ist darüber hinaus klinisch geschulter Psychologe. Seiner fachlichen Meinung nach sind sowohl Captain Tormey als auch seine Frau in der Lage, in Notwehr zu töten, doch müßte schon eine schlimme Notlage eingetreten sein um sie dazu zu bringen, einen Polizisten zu beseitigen. Dr. Perreault scheint mir nach seiner Einschätzung noch weniger geneigt, gewaltsame Lösungen anzustreben.“
„Ich habe ihn umgebracht.“
„Das hatte ich schon vermutet. Andere Erklärungen paßten nicht zu den vorhandenen Daten. Möchten Sie darüber sprechen? Geht es mich irgend etwas an?“
„Hmm, ich glaube nicht. Außer daß Sie die Sache an sich zogen, als Sie die belastenden Fingerabdrücke verschwinden ließen. Ich brachte den Mann um, weiler Janet, Janet Tormey, mit der Waffe bedrohte. Natürlich hätte ich ihn lediglich entwaffnen können; ich hätte Zeit gehabt, den Schlag abzuschwächen. Aber ich wollte ihn töten und tat es.“
„Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie sich jemals damit begnügten, einen Polizisten zu verwunden. Ein verwundeter Polizist ist gefährlicher als ein angeschossener Löwe. Ich hatte die Vorgänge in etwa so rekonstruiert, außer daß ich annahm, Sie wollten Dr.
Perreault schützen — da Sie ihn für einen annehmbaren Ersatz-Mann zu halten schienen.“
„Das ist er durchaus. Durchgedreht bin ich aber beim Anblick des verrückten Idioten, der Janets Leben in Gefahr brachte. Chef, bis zu dem Augenblick wußte ich nicht, daß ich Janet liebte. Ich hatte keine Ahnung, daß ich überhaupt so intensiv für eine Frau empfinden konnte. Sie wissen mehr über meinen Entwurf, das haben Sie jedenfalls angedeutet. Ist mein Drüsensystem durcheinander?“
„Ich weiß so einiges über Ihren Entwurf, werde aber auf keinen Fall mit Ihnen darüber sprechen; das sind Informationen, die Sie nicht zu besitzen brauchen. Ihr Hormonsystem ist nicht mehr durcheinander als bei jedem gesunden Menschen — insbesondere haben Sie kein überflüssiges Y-Chromosom. Alle normalen Menschen sind da mehr aus dem Gleichgewicht mit ihren Drüsen. Die Rasse ist in zwei Hälften gespalten: in die, die es wissen, und in die, die keine Ahnung haben. Hören Sie mit dem dummen Gerede auf; das steht einem Genie nicht!“
„Oh, jetzt bin ich also auch noch ein Genie. Na ganz toll, Chef!“
„Kommen Sie mir nicht so! Sie sind ein Supergenie,haben Ihre volle Leistungsfähigkeit aber bei weitem noch nicht erkannt. Genies und Supergenies schaffen sich im Hinblick auf den Sex wie auf alles andere ihre eigenen Regeln; sie richten sich nicht nach der Hackordnung der ihnen Unterlegenen. Kehren wir zum Thema zurück! Ist es denkbar, daß der Tote gefunden wird?“
„Ich würde hoch dagegen wetten.“
„Hat es Sinn, mit mir darüber zu sprechen?“
„Hm, ich glaube nicht.“
„Dann muß ich das auch nicht wissen und werde davon ausgehen, daß die Tormeys unbedenklich nach Hause zurückkehren können, sobald die Polizei zu dem Schluß kommt, daß sie die Tat nicht nachweisen kann. Zwar ist dazu die Leiche nicht erforderlich doch ist dann die Anklage viel schwerer auf eine sichere Grundlage zu stellen. Würden die Tormeys verhaftet, könnte ein guter Anwalt sie in fünf Minuten wieder herausholen — und ich kann Ihnen versichern, daß Sie einen sehr guten Anwalt haben würden. Sie werden sich außerdem freuen zu erfahren daß Sie den beiden bei der Flucht außer Landes geholfen haben.“
„Ach, wirklich?“
„Sie und Dr. Perreault. Indem Sie Britisch-Kanada als Captain Tormey und Frau verlassen haben, indem sie die Kreditkarten der beiden benutzten und auf ihren Namen Anträge auf Touristenvisas stellten. Sie beide hinterließen eine Spur, die ›beweist‹, daß die Tormeys unmittelbar nach Lieutenant Dickeys Verschwinden aus dem Land flohen. Das klappte so gut daß die Polizei mehrere Tage damit verschwendete die Verdächtigen in der Kalifornischen Konföderationaufzuspüren — ihren Mangel an Erfolg schrieb sie natürlich der Unfähigkeit der konföderierten Kollegen zu. Es überrascht mich allerdings ein wenig, daß die Tormeys nicht bei sich zu Hause verhaftet wurden, da mein Agent keine große Mühe hatte, dort mit ihnen zu sprechen.“
(Mich überrascht es nicht. Wenn ein Bulle erscheint — husch! Hinab ins Loch! Stellt es sich heraus, daß da kein Bulle geklingelt hat und daß der Mann sich Ian gegenüber als einwandfrei ausweisen kann …) „Chef, hat Ihr Winnipeg-Agent meinen Namen genannt? ›Marjorie Baldwin‹, meine ich.“
„Ja. Ohne diesen Namen und ein Bild von Ihnen hätte Mrs. Tormey ihn auf keinen Fall hereingelassen.
Ohne die Tormeys hätten mir wichtige Daten gefehlt die mir halfen, Sie auf Ihrem ziemlich gewundenen Weg aufzuspüren. Wir halfen uns gegenseitig. Die Tormeys halfen Ihnen bei der Flucht; ich verhalf ihnen zur Flucht, nachdem ich — mein Agent vor Ort — ihnen mitgeteilt hatte, daß die Polizei aktiv nach ihnen fahndete. Ein schönes Ende.“
„Wie haben Sie sie herausgeholt?“
„Hm, nein.“ (Wann lerne ich das endlich? Hätte der Chef mir seine Methoden auf die Nase binden wollen wäre er bestimmt darauf zu sprechen gekommen.
„Schon manche Achtlosigkeit hat Schiffe versenkt.“
Das gilt aber nicht in der Umgebung meines Chefs.)
Der Chef verließ seinen Platz hinter dem Tisch — und versetzte mir einen Schock. Normalerweise bewegt er sich nicht oft, und in seinem alten Büro stand das stets gegenwärtige Teeservice in Reichweite am Tisch. Jetzt aber rollte er hervor. Krücken waren nicht mehr zu sehen. Er saß in einem angetriebenen Roll-stuhl. Er steuerte das Gefährt zu einem Sideboard und begann am Teegeschirr herumzufummeln.
Ich stand auf. „Soll ich eingießen?“
„Vielen Dank, Freitag. Ja gern.“ Er drehte sich vom Teetisch fort und kehrte hinter den Schreibtisch zurück. Ich machte weiter, was dazu führte, daß ich ihm den Rücken zuwandte — und genau das brauchte ich im Augenblick.
Es besteht kein Grund, schockiert zu sein, wenn ein Behinderter sich entschließt, die Krücken fortzutun und sich einem Rollstuhl anzuvertrauen — das ist eine ganz nützliche Veränderung. Nur handelte es sich hier um meinen Chef. Wären die Ägypter rings um Gizeh eines Morgens aufgewacht und hätten die Pyramiden herumgedreht und die Sphinx mit einer neuen Nase vorgefunden, wären sie auch nicht schockierter gewesen als ich in diesem Moment. Von einigen Dingen — und Menschen — erwartet man einfach nicht, daß sie sich verändern.
Als ich ihm den Tee serviert hatte — mit warmer Milch und zwei Stücken Zucker — und mir die Tasse zurechtgemacht hatte, setzte ich mich wieder. Ich hatte meine Fassung zurückgewonnen. Der Chef setzt im Dienst stets die neueste Technik ein und stützt sich andererseits auf altmodische Angewohnheiten; ich habe bisher noch nicht erlebt, daß er eine Frau gebeten hat, ihn zu bedienen, doch wenn eine Frau zugegen ist und sich erbietet, den Tee einzugießen, kann man sich darauf verlassen, daß er höflich zustimmt und eine kleine Zeremonie daraus macht.