Er plauderte über andere Dinge, bis wir eine Tasse ausgetrunken hatten. Ich schenkte ihm nach, ohne mir selbst noch etwas zu nehmen; er kam zum Ge-schäft. „Freitag, Sie haben so oft Namen und Kreditkarten gewechselt, daß wir immer um einen Schritt zu spät kamen. Vielleicht hätten wir Ihnen gar nicht bis Vicksburg folgen können, wenn nicht Ihr Weg schon erkennen hätte lassen, wie Ihr Plan aussehen mochte. Obwohl es nicht zu meinen Übungen gehört mich bei einem Agenten einzumischen, egal wie eng sie oder er überwacht wird, hätte ich Sie vielleicht von der Expedition auf dem Fluß abgebracht — denn ich wußte, daß die Schiffe zum Untergang verurteilt waren.“
„Chef, was war das für eine Expedition? Die offiziellen Erklärungen kamen mir gleich sehr merkwürdig vor.“
„Ein Staatsstreich. Sehr ungeschickt eingefädelt.
Das Imperium hat in zwei Wochen drei Vorsitzende gehabt — und der gegenwärtige Titelträger ist nicht besser und dürfte sich auch nicht länger halten. Freitag, eine gut organisierte Tyrannei ist für meine Arbeit eine bessere Grundlage als jede Art der freien Regierung. Eine gut organisierte Tyrannei ist aber etwa so selten wie eine funktionierende Demokratie.
Um auf die Hauptsache zurückzukommen — Sie sind uns in Vicksburg nur deshalb entwischt, weil Sie ohne Zögern gehandelt haben. Ehe unser VicksburgAgent erfuhr, daß Sie sich verpflichtet hatten, waren Sie schon an Bord des Operettendampfers entschwunden. Ich habe mich über ihn sehr geärgert.
Und zwar so sehr, daß ich ihn noch nicht bestraft habe. Ich muß meine Zeit abwarten.“
„Für Disziplinarmaßnahmen besteht kein Anlaß Chef. Ich habe schnell reagiert. Wenn er sich nicht dicht hinter mir gehalten hätte — was mir immer auf-fällt und entsprechend geahndet wird —, hätte er auf keinen Fall mit mir Schritt halten können.“
„Ja, ja, ich kenne Ihre Methoden. Aber Sie können sich wohl vorstellen, daß ich ziemlich verärgert war als mir gemeldet wurde, daß unser Mann in Vicksburg Sie tatsächlich vor Augen hatte — und vierundzwanzig Stunden später melden muß, daß Sie tot sind.“
„Mag sein, mag nicht sein. Vor einiger Zeit rückte mir ein Mann zu dicht auf die Pelle, als ich gerade in Nairobi ankam — er bedrängte mich irgendwie, und da tat er seinen letzten Atemzug. Wenn Sie mich mal wieder beschatten lassen, sollten Sie Ihre Agenten lieber warnen.“
„Normalerweise lasse ich Sie nicht bewachen Freitag. Bei Ihnen ist eine punktuelle Überwachung angebracht. Zum Glück für uns alle sind Sie ja nicht bei den Toten geblieben. Die Terminals meiner Kontaktagenten in Saint Louis werden zwar ausnahmslos von der Regierung überwacht, doch sind sie mir noch zu etwas nütze. Als Sie sich zu melden versuchten dreimal, ohne erwischt zu werden, erfuhr ich sofort davon und schloß, daß Sie dahinterstecken müßten.
Als Sie Fargo erreichten, erhielt ich Gewißheit.“
„Von wem in Fargo? Dem Mann mit den Dokumenten?“
Der Chef tat, als hätte er meine Worte nicht gehört.
„Freitag, ich muß wieder an die Arbeit. Berichten Sie zu Ende! Aber kurz.“
„Jawohl, Sir. Ich verließ das Ausflugsboot, als wir das Imperium erreicht hatten, begab mich nach Saint Louis, stellte fest, daß Ihre Kontakt-Kodes angezapft waren, verschwand, besuchte Fargo, wie Sie bemerkthaben, wechselte sechsundzwanzig Kilometer östlich von Pembina nach Britisch-Kanada hinüber, reiste nach Winnipeg und heute nach Vancouver und Bellingham, dann meldete ich mich hier bei Ihnen.“
„Irgendwelche Probleme?“
„Nein, Sir.“
„Irgendwelche neuen Aspekte, die aus beruflicher Sicht von Interesse wären?“
„Nein, Sir.“
„Dann erstellen Sie nach Belieben einen ausführlichen Bericht zur Analyse durch unsere Fachleute.
Dabei können Sie Tatsachen, die Sie nicht weitergeben dürfen, ohne weiteres für sich behalten. Ich lasse Sie irgendwann in den nächsten zwei oder drei Wochen wieder zu mir kommen. Morgen früh beginnt für Sie der Unterricht. Null-neunhundert.“
„Wie bitte?“
„Knurren Sie nicht so; das ist bei einer jungen Frau nicht sehr angenehm. Freitag, Sie haben bisher zufriedenstellende Arbeit geleistet, aber es wird Zeit daß Sie sich Ihrer wahren Berufung zuwenden. Ihrer wahren Berufung in diesem Stadium, sollte ich eher sagen. Sie sind bedauernswert unwissend. Das werden wir ändern. Morgen um neun Uhr.“
„Ja, Sir.“ (Soso, unwissend? Arroganter alter Schweinehund! Und wie sehr ich mich freute, ihn wiederzusehen! Der Rollstuhl aber machte mir zu schaffen.)
22. Kapitel
Pajaro Sands war früher ein Ferienhotel am Meer gewesen — ein entlegener Bau an der Monterey-Bucht vor einer nichtssagenden Stadt, die Watsonville heißt.
Watsonville gehört zu den großen Ölexport-Häfen der Welt und besitzt den Charme kaltgewordener Pfannkuchen ohne Sirup. Die nächste Zerstreuung gibt’s in den Kasinos und Freudenhäusern von Carmel, das fünfzig Kilometer entfernt ist. Aber ich bin kein Spieler und interessiere mich auch nicht für käuflichen Sex, nicht einmal für die exotischen Abarten, die in Kalifornien zu haben sind. Aus dem Hauptquartier des Chefs ließen sich nicht viele in Carmel blicken, da es für eine Kutschenfahrt zu weit war, es sei denn, man fuhr über das Wochenende denn es gab keine direkte Kapsel. Kalifornien ist zwar sehr großzügig bei der Zulassung von AAF, doch gab der Chef seine Fahrzeuge nur für geschäftliche Angelegenheiten frei.
Die großen Attraktionen des Pajaro Sands waren die natürlichen Gegebenheiten, die überhaupt erst zu seinem Bau geführt hatten, Brandung und Sand und Sonnenschein.
Ich genoß das Surfboardfahren, bis ich es beherrschte, dann langweilte es mich. Normalerweise sonnte ich mich jeden Tag ein wenig und schwamm im Meer und starrte zu den großen Tankern hinaus die an den Öl-Molen saugten, und stellte amüsiert fest, daß die Wachhabenden an Bord der Schiffe oft mit ihren Ferngläsern zurückstarrten.
Grund zur Langeweile hatte keiner von uns, da wirden vollen Terminalservice besaßen. Die Menschen sind heute an das Computernetz dermaßen gewöhnt daß man leicht vergißt, was für ein weites Fenster zur Welt diese Maschine sein kann — und da nehme ich mich nicht aus. Man stumpft ja sehr ab, wenn man ein Terminal nur auf bestimmte Weise benutzt — Rechnungen bezahlen, Telefonanrufe vornehmen Nachrichten anhören — und die vielschichtigen anderen Möglichkeiten vernachlässigt. Ist der Teilnehmer bereit, für den Service zu bezahlen, läßt sich mit einem Terminal beinahe alles verrichten, was außerhalb des Bettes möglich ist.
Live Musik? Ich konnte ein Konzert wählen, das heute abend in Berkeley stattfinden würde, doch ein vor zehn Jahren gegebenes Konzert, dessen Dirigent tot ist, stellt sich dem Zuhörer nicht minder „live“ nicht minder unmittelbar dar als die Programme, die heute aufgeführt wurden. Den Elektronen ist das gleichgültig. Sobald Daten ins Netz gehen, egal wie sie aussehen, steht die Zeit still. Man muß nur daran denken, daß die unzähligen Reichtümer der Vergangenheit zur Verfügung stehen, sobald man sie sich durch Knopfdruck ins Zimmer holt.
Der Chef schickte mich am Computerterminal zur Schule, was mir viel mehr Gelegenheiten eröffnete als früher ein Student in Oxford oder an der Sorbonne oder in Heidelberg genossen hätte.
Zuerst hatte ich gar nicht den Eindruck, in die Schule zu gehen. Am ersten Tag forderte man mich beim Frühstück auf, beim Ersten Bibliothekar vorzusprechen. Es handelte sich um einen väterlich wirkenden älteren Mann, Professor Perry, den ich schon während meiner Grundausbildung kennengelernthatte. Er wirkte gehetzt — was ich verstehen konnte da die Bibliothek des Chefs vermutlich der umfassendste und komplizierteste Teil des Umzugs über die Grenze ins Pajaro Sands gewesen war. Zweifellos mußte Professor Perry noch etliche Wochen schuften bis alles geregelt war — und in der Zwischenzeit erwartete der Chef nichts anderes als Vollkommenheit.