„Das dürfte ziemlich schwierig durchzusetzen sein würde ich meinen. Welche Bedeutung leiten Sie daraus ab?“
„Oh, das Gesetz wird nicht gehandhabt. Es kann aber auch nicht abgeschafft werden. Die Konföderation ist mit solchen Gesetzen überladen. Es will mir scheinen, daß jedes Gesetz, das nicht zu handhaben ist, alle anderen Gesetze schwächt. Chef, war Ihnen bekannt, daß die Kalifornische Konföderation Huren mit Subventionen bedenkt?“
„Es war mir nicht aufgefallen. Mit welchem Ziel?
Für die Streitkräfte? Für die Leute in den Gefängnissen? Oder als öffentliche Dienstleistung? Ich muß gestehen, daß ich überrascht bin.“
„Oh, nicht so! Die Regierung bezahlt sie, damit sie die Knie beisammen lassen. Damit sie ganz vom Markt verschwinden. Die Mädchen sind ausgebildet lizensiert, gesundheitlich untersucht — und liegen auf Eis. Nur funktioniert das nicht. Die als überflüssig eingestuften Künstlerinnen kassieren ihren Unterhalt — und verkaufen sich dann doch an der nächsten Ekke. Dabei sollten sie das nicht mal zum Vergnügen tun, denn das würde dem Markt für die nicht unterstützten Freudenmädchen schaden. Die Gewerkschaftder Horizontalen, die das erste Gesetz durchgedrückt hat, versucht jetzt eine Art Gutscheinsystem durchzusetzen, das diese Lücken füllen soll. Aber das klappt bestimmt auch nicht.“
„Warum nicht, Freitag?“
„Chef, Gesetze, die sich gegen eine unaufhaltsame Woge stemmen, funktionieren nie. Das müßte Ihnen doch klar sein.“
„Ich wollte nur sicher gehen, daß auch Sie es wissen.“
„Ich glaube, das ist beinahe eine Beleidigung. Dann bin ich noch auf einen tollen Otto gestoßen. In der Kalifornischen Konföderation ist es gegen das Gesetz einer Person den Kredit zu verweigern, nur weil sie schon einmal Bankrott angemeldet hat. Die Kreditwürdigkeit ist ein Bürgerrecht.“
„Ich nehme an, das funktioniert auch nicht, aber wie sieht die Nichteinhaltung aus?“
„Das habe ich noch nicht untersucht, Chef. Aber ich glaube, ein fauler Kunde hätte wenig Chancen, einen Richter zu bestechen. Ein anderes Indiz möchte ich nicht unerwähnt lassen: die Gewalttätigkeit. Überfälle, Schüsse aus dem Hinterhalt, Brandstiftungen Bombenexplosionen, Terrorakte jeder Art. Natürlich auch Straßenaufstände — aber ich finde, daß kleine Gewaltakte, die die Leute Tag für Tag bedrücken, einer Kultur mehr schaden können als solche Aufstände, die heftig durch die Straßen toben und dann wieder verschwinden. Ja, das dürfte so etwa alles sein.
Oh, natürlich Wehrpflicht und Sklaverei und willkürlicher Zwang verschiedener Art und Verhaftungen ohne Kautionsmöglichkeit und ohne schnelle Aburteilung — aber solche Dinge sind offensichtlich;sie finden sich überall in der Geschichte.“
„Freitag ich finde, das alarmierendste Symptom haben Sie übersehen.“
„Ach? Wollen Sie es mir sagen? Oder muß ich im dunkeln herumtasten, bis ich es habe?“
„Hmm. Diesmal werde ich es Ihnen sagen. Aber gehen Sie zurück und suchen Sie danach! Untersuchen Sie den Aspekt. Kranke Kulturen zeigen ein Spektrum der Symptome, die Sie vorhin aufgezählt haben — eine sterbende Kultur aber stellt unweigerlich persönliche Grobheit zur Schau. Schlechte Sitten. Einen Mangel an Rücksicht gegenüber anderen schon bei Kleinigkeiten. Ein Verlust an Höflichkeit, an Entgegenkommen — dies ist bedeutsamer als jeder Aufstand.“
„Wirklich?“
„Pfui. Ich hätte Sie zwingen sollen, selbst darauf zu kommen, dann wüßten Sie jetzt, daß ich recht habe.
Dieses Symptom ist besonders ernst zu nehmen, weil ein Individuum, an dem es beobachtet werden kann dies nie als Zeichen für eine Erkrankung nimmt, sondern als Beweis für seine/ihre Stärke. Achten Sie mal darauf! Studieren Sie die Erscheinung! Freitag, es ist zu spät, diese Kultur zu retten — diese weltweite Kultur, nicht nur das Raritätenkabinett, das sich Kalifornien nennt. Aus diesem Grunde müssen wir die Mönchskloster für das bevorstehende Dunkle Zeitalter vorbereiten. Elektronische Aufzeichnungen sind zu verletzlich; wir müssen wieder Bücher schaffen aus haltbarer Druckfarbe auf solidem Papier. Das könnte aber möglicherweise nicht ausreichen. Das Reservoir für die nächste Renaissance muß vielleicht von jenseits des Himmels kommen.“ Der Chef unter-brach sich schweratmend. „Freitag …“
„Ja, Sir?“
„Prägen Sie sich diesen Namen und diese Adresse ein!“ Seine Hände bewegten sich über die Konsole; die Antwort erschien auf seinem hochgelegenen Schirm. Ich prägte mir alles genau ein.
„Erledigt?“
„Jawohl, Sir.“
„Soll ich zur Kontrolle eine Wiederholung tippen?“
„Nein, Sir.“
„Sind Sie sicher?“
„Wenn Sie wollen, können Sie es wiederholen, Sir.“
„Hmm. Freitag würden Sie mir bitte noch eine Tasse Tee einschenken, ehe Sie gehen? Ich muß feststellen, daß ich heute die Hände nicht ruhig halten kann.“
„Aber gern, Sir.“
24. Kapitel
Beim Frühstück ließen sich weder Goldie noch Anna blicken. Ich aß allein und folglich ziemlich schnell; ich lasse mir beim Essen nur Zeit, wenn ich in Gesellschaft bin. Nur gut so, denn ich stand eben auf, als Annas Stimme aus allen Lautsprechern tönte:
„Bitte Achtung! Ich habe die bedauerliche Pflicht Ihnen bekanntzugeben, daß unser Vorsitzender im Laufe der Nacht gestorben ist. Auf seinen Wunsch wird es keinen Gedächtnisgottesdienst geben. Der Tote ist bereits verbrannt worden. Um neunhundert Uhr wird im großen Konferenzzimmer eine Versammlung stattfinden, in deren Verlauf die Geschäfte der Firma abgewickelt werden. Sie werden ohne Ausnahme aufgefordert, daran teilzunehmen und pünktlich zu kommen.“
Die Zeit bis neun Uhr verbrachte ich mit Weinen.
Warum? Vermutlich war es Selbstmitleid. Jedenfalls wäre der Chef bestimmt dieser Meinung gewesen. Er hatte sich selbst nicht leid getan, und auch ich hatte ihm nicht leid getan: mehr als einmal hatte er mir Selbstmitleid vorgeworfen. Selbstmitleid, so sagte er ist das demoralisierendste aller Laster.
Trotzdem bekümmerte mich mein Schicksal. Immer wieder hatte ich mit ihm gestritten, schon ganz am Anfang als er mich auslöste und zur Freien Person machte, obwohl ich ihm ausgerückt war. Jetzt bedauerte ich jede meiner heftigen Antworten, meine Frechheiten, meine kecken Äußerungen.
Dann sagte ich mir, daß der Chef mich nicht gemocht hätte, wenn ich ein unterwürfiger Dienstwurmgewesen wäre, der keine eigenen Ansichten vertrat.
Er war, wie er war, und ich konnte nicht aus meiner Haut heraus, und wir hatten viele Jahre lang eng zusammengearbeitet und uns dabei nicht einmal an den Händen berührt. Für Freitag ist das ein Rekord. Ein Rekord, den ich nur ungern übertreffen würde.
Ich würde gern wissen, ob er vor all den Jahren, als ich meine Arbeit für ihn begann, wußte, wie schnell ich ihm auf den Schoß gesprungen wäre, wenn er mir das nur irgendwie signalisiert hätte. Wahrscheinlich hatte er es geahnt. Wie dem auch sei obwohl ich ihn nie berührt habe, war er der einzige Vater, den ich je gehabt hatte.
Es war sehr voll im großen Konferenzraum. Kaum die Hälfte der Anwesenden kannte ich von den Mahlzeiten; einige Gesichter waren mir völlig fremd.
Ich schloß, daß viele Leute zurückgerufen worden waren und die Rückreise in dieser kurzen Zeit geschafft hatten. Vorn saß Anna hinter einem Tisch neben einer Fremden. Vor ihr Aktenordner, ein furchteinflößendes Relais-Terminal und sonstige Schreibgeräte. Die Fremde war eine Frau, etwa so alt wie Anna doch bei weitem nicht so aufgeschlossen und nett: sie wirkte eher wie eine strenge Lehrerin.
Zwei Sekunden nach neun Uhr klopfte die Fremde auf den Tisch. „Ruhe bitte! Ich heiße Rhoda Wainwright, Stellvertretende Vorsitzende dieser Firma und Chefberater des verstorbenen Dr. Baldwin. In dieser Funktion bin ich kommissarische Vorsitzende der Geschäftsleitung und Zahlmeister für die Aufgabe, unsere Angelegenheiten abzuwickeln. Sie alle wissen, daß Sie aufgrund persönlicher Verträge mitDr. Baldwin an diese Firma gebunden waren …“