Die Alternative war, Sir Richard und Lady Morgana in Frösche zu verwandeln, sobald sie hier wären. Aber Max war bloß ein elf Jahre alter Zauberlehrling und Lady Morgana die mächtigste Zauberin im ganzen Land. Es konnte gut sein, dass der Froschzauber bei ihr gar nicht wirkte. Vielleicht würde sie ihn auch einfach in der Luft abfangen und zurückschleudern.
Max sah wieder ihre blassblauen Augen vor sich, hörte ihre honigweiche Stimme, ihr eisiges, klirrendes Lachen und erschauderte. Dann allerdings fiel ihm ein, wie er beim letzten Mal zu seinem Vater gegangen war und ihn gebeten hatte, kein Ritter werden zu müssen, weil er beim Schwertspiel so eine Niete war.
»Ein Ritter zu sein, bedeutet nicht, gut mit dem Schwert umgehen zu können«, hatte Sir Bertram gesagt, ihn an den Schultern gefasst und ihm tief in die Augen geschaut. »Ein Ritter zu sein, bedeutet, sich seinen Ängsten zu stellen, für andere einzustehen, selbst wenn man Angst hat, und sein Bestes zu geben, selbst wenn man glaubt, dass es nicht reicht. Auch Zauberer müssen zuerst und vor allem Ritter sein. Und ich weiß, dass du ein guter Ritter sein kannst, Max. Ich weiß, dass es in dir steckt.«
Dann hatte er ihm so fest auf die Schulter geklopft, dass Max beinahe umgefallen wäre, und ihn aufgefordert, »da raus« zu gehen und »ihnen die Hölle heiß« zu machen. Also war Max mit den allerbesten Vorsätzen wieder auf sein Pferd geklettert und hätte der Strohpuppe mit einem einzigen gewaltigen Hieb bestimmt den Kopf abgeschlagen, hätte sein Pferd nicht in der letzten Sekunde gescheut und Max in den Dreck geworfen.
Max lächelte, als er sich an dieses Gespräch erinnerte. Er wusste, was sein Vater jetzt sagen würde. Max seufzte und suchte sich ein Versteck ganz in der Nähe der Hüttentür.
»Es ist mir ein Rätsel, wo Adrian steckt«, entschuldigte sich Sir Richard. Unter seinem schweren Reitmantel war er schweißgebadet. Dieser verflixte Junge! Wo war er bloß? Und wo waren die Pferde? Hatten sie es überhaupt durch den Wald geschafft?
»Der Plan erscheint mir nicht gerade – ausgeklügelt, Sir Richard«, sagte Lady Morgana mit ihrer leisen, weichen Stimme. »Aber wie auch immer, ich bin sicher, sie treffen in Kürze ein. Wollen wir vielleicht in der Hütte warten?«
»Selbstverständlich, Mylady, eine ausgezeichnete Idee. Erlauben Sie, dass ich Ihren Arm nehme?«
Ihren Arm!, dachte Sir Richard, hin und weg. Er! Er hakte die mächtigste Frau im ganzen Königreich unter! Weiß Gott, er war auf dem Weg nach oben! Er gluckste vor Wonne, und Arm in Arm traten die beiden über die Schwelle.
Kaum hatte Sir Richard Adrian gefesselt und geknebelt auf dem Steinfußboden der Hütte entdeckt, traf ihn ein schmieriger blauer Spritzer mitten im Gesicht. Ihm kam es vor, als finge der Raum plötzlich an zu beben. Und dann war er selbst auf einmal viel kleiner als sonst. Und gleich neben ihm hockte ein ungewöhnlich großer, giftgrüner, dunkelbraun gesprenkelter Frosch, der wütender guckte, als Sir Richard je einen Frosch hatte gucken sehen. Eine Sekunde später machte es Plopp! – und der Frosch war verschwunden.
»Puh!«, sagte Max und setzte sich auf den Hüttenboden. »Ich bin froh, dass das vorbei ist.«
Der übrig gebliebene Frosch, schmutzig braun mit orangefarbenen Punkten, quakte vorwurfsvoll.
»Max Pendragon«, sagte er mit tiefer Froschstimme. »Du enttäuschst mich zutiefst. Ehrbare Leute einfach so in Frösche zu verwandeln! Ich glaube, ich muss ein Wörtchen mit deinem Vater reden. Verwandele mich augenblicklich zurück!«
»Wohl kaum«, murmelte Max. Er hob den Frosch hoch und steckte ihn in die Gürteltasche, wo er ihn nicht mehr quaken hörte. Dann wandte er sich dem Prinzen zu.
»Sieht so aus, als wären wir in Sicherheit, Hoheit. Jetzt müssen wir nur noch auf Merlin warten.«
»Das war genial«, sagte Carl mit großen Augen.
Max grinste. »Ja, das war ziemlich cool, oder?«, sagte er glücklich. Als Merlin und die anderen die Hütte im Wald erreichten, hatte Max bereits Brennholz gesammelt. Das Feuer loderte und im Kessel köchelte gewürzter Apfelsaft. Max und Carl saßen davor, vertilgten die Reste von Adrians Proviant und erzählten sich dumme Witze.
»So, so«, sagte Merlin, als er hereinkam. »Wie es aussieht, kommen wir zu spät. Ihr habt euch ganz offensichtlich selbst gerettet.«
»Max war toll!«, rief Carl, sprang auf und wankte zu Merlin hinüber, um ihn zu umarmen. Er war immer noch ziemlich wacklig auf den Beinen. Doch der Zauber ließ jetzt stetig nach. »Er hat dem großen Jungen eine verpasst und dann hat er die Erwachsenen in Frösche verwandelt! Er ist ein richtig guter Zauberer, Merlin! Noch besser als du!«
Max musste schlucken und lief rosarot an. Doch es blieb keine Zeit, Carl zu widersprechen.
Olivia stürzte sich auf ihn und drückte ihn fest und Grimm knabberte liebevoll an seinem Knöchel. Unterdessen flatterte Adolphus über ihren Köpfen herum und brachte vor lauter Aufregung Flügel und Füße durcheinander.
»Du bist heil, Max, du bist heil! Ich bin ja so froh! Wir hatten ja überhaupt keine Ahnung!«, platzte Olivia atemlos heraus. »Nicht zu fassen, dass du Sir Richard und sie erledigt hast. Du musst dich schrecklich gefürchtet haben!«
»Och, das war doch gar nichts«, sagte Max lässig. Aber dann traf ihn Merlins grauer, stechender Blick, und er beschloss, lieber doch bei der Wahrheit zu bleiben. »Aber ehrlich gesagt, ich hatte schon ziemlich Angst.«
»Und das war auch besser so«, sagte Merlin. »Morgana le Fay ist eine außerordentlich mächtige und gefährliche Zauberin. Du hast großes Geschick bewiesen. Ich vermute, sie ist – äh – verschwunden, nachdem du sie verwandelt hast?«
»Ja, es gab so eine Art Plopp! Und dann war sie weg. Aber Sir Richard habe ich in der Gürteltasche.«
Merlin klopfte Max auf die Schulter und lachte ein so warmes, ansteckendes Lachen, dass sie alle mitlachen mussten.
»Gut gemacht, Max, ehrlich! Ein ganz besonderer Zauber. Du hast echten Mut bewiesen. Es braucht eine ganz besondere Art von Magie, einen Froschzaubertrank zu brauen. Sehr selten und höchst ungewöhnlich. Und ich bin froh, dass dieses Talent mit einem großen Herzen und jeder Menge Mut einhergeht. Aus dir wird einmal ein ordentlicher Zauberer werden, Junge. Ein sehr ordentlicher sogar.«
Max wurde von so viel Lob ganz warm ums Herz. Doch als er zu diesem großen, ehrfurchtsvollen Ritter aufsah, der so ganz anders war als der Merlin, den er sich vorgestellt hatte, war ihm klar, dass er ehrlich sein musste.
»Also eigentlich«, sagte er, »habe ich den Froschzauber nicht richtig erfunden. Es war eher ein Unfall … Und Adrian habe ich auch eher zufällig umgehauen. Und als ich den Trank auf Lady Morgana geschüttet habe, hatte ich die Augen zu. Wenn ich sie offen gehabt hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht getroffen.«
Merlin sah Max ernst an.
Dann lächelte er.
»Max – du bist sehr ehrlich. Aber es sind nicht nur die Zutaten, die einen Froschzauber ausmachen. Es mag mit einem Unfall angefangen haben, doch nur eine mächtige Magie lässt ihn wirken. Und auch wenn du den jungen Herrn oder Mylady mithilfe von etwas Glück geschlagen hast, so hast du dich ihnen dennoch entgegengestellt. Dazu braucht es eine gehörige Portion Mut. Ich glaube, dass du über eine ganz besondere Art Magie verfügst und ein großes Herz hast, Max Pendragon. Deinen nächsten ›Unfall‹ werde ich mit großem Interesse verfolgen.«
Max sah zu Merlins Falkengesicht und seinen leuchtenden Augen auf. Plötzlich kam er sich ziemlich groß vor. Er wusste: Wenn er könnte, würde er Merlin bis ans Ende der Welt folgen. Er grinste und Merlin klopfte ihm noch einmal auf die Schulter.
»Trotzdem«, seufzte er, »seid gewiss, dass Mylady nicht lange weg sein wird. Und ganz bestimmt wird sie ein sehr gutes Alibi für das hier haben. Eines, mit dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch davonkommt. Leider. Der König hat, wenn es um diese Lady geht, ein weiches Herz. Zu weich, fürchte ich«, setzte er grimmig hinzu. Doch dann lächelte er wieder. »Gut«, sagte er. »Genug herumgestanden. Ich denke, es ist Zeit, dass wir zur Burg zurückkehren. Wir müssen den Prinzen zu seiner Mutter bringen. Und wenn wir schon dabei sind, sollten wir diesen gut verschnürten jungen Mann und seinen quakenden Vater auch gleich zum König schaffen!«