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»Ach! Und das ist schon alles?«, sagte Grimm und zog die Nase kraus. »Bloß mal eben in die hechtverseuchten Fluten springen, einen kleinen orangefarbenen Frosch auftreiben und ihn vier Stockwerke hoch in Sicherheit bringen, ohne dabei zertrampelt zu werden. So läuft es jedes Mal, nicht wahr? Der gute alte Grimm eilt zu Hilfe. Schon ist er wieder unterwegs und riskiert Leib und Leben. Ist klar.«

Dennoch krabbelte Grimm zum Fenster hinauf und stürzte sich ins Nichts, um ein paar Sekunden später mit einem lauten Platsch im Burggraben zu landen.

»Gut«, sagte Olivia. »Hoffen wir, dass er Max findet und keiner von beiden vom Hecht gefressen wird. Jetzt müssen wir bloß noch dafür sorgen, dass ich mich wieder bewegen kann. Kommst du an die kleine grüne Flasche mit dem Umkehrzauber, Adolphus?«

Adolphus sprang fröhlich herum und suchte nach der Flasche.

»Grüne Flasche? Ja, ja, hol ich. Adolphus eilt zu Hilfe – jippie! Umkehr … mmh – Flasche, Zauber – äh – sehe ich nicht … Was für eine Farbe noch mal?«

Doch in diesem Moment knarrte die schwere Eichentür. Ein großer, grimmig schauender Mann in einem langen grauen Mantel trat ein und blieb überrascht stehen.

»Beim Zahn des Drachen! Was machst du in meinem Zimmer, junge Lady?«

»Äh, tut mir leid«, sagte Olivia und versuchte, sich irgendwie gerade hinzusetzen. »Ich wusste nicht, dass es Euer Zimmer ist, gnädiger Herr.«

»Genau! Tut uns leid, tut uns leid, tut uns leid«, sagte Adolphus, dem der gebieterisch wirkende Mann ebenso Furcht einflößte.

Der Mann sah sie beide scharf an und nahm dann in einem großen Eichenstuhl an der Tür Platz. Sein kastanienbraunes Haar hatte graue Strähnen und um seine Augen lagen Falten. Doch sein Blick war hart und klar, wie der eines Vogels. Unter dem Mantel trug er dunkle Beinlinge und eine graue Tunika. Von seinem schlichten breiten Ledergürtel baumelte ein Schwert.

»Nun«, sagte er schließlich. »Wie es aussieht, hat man dich verzaubert, junge Lady. Zuallererst sollte ich dich also wohl befreien.«

Mit den langen eleganten Fingern seiner rechten Hand machte er eine Geste und auf einmal konnte sich Olivia wieder rühren. Sie stand auf, machte zum Dank einen Knicks und der Mann nickte zurück.

»Vielleicht sollte ich mich vorstellen. Ich bin Merlin und das ist mein Zimmer. Normalerweise schließe ich es ab. Ich bin etwas überrascht, dass du dennoch hier bist. Bist du allein gekommen?«

»Nein, Euer Lordschaft«, sagte Olivia. Merlin sah überhaupt nicht so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sie diesen großen, grimmigen Mann sogar schon mal gesehen, ihn aber für einen der vielen Ritter des Königs gehalten. »Mein Bruder Max war auch dabei. Wir wussten nicht, dass es Euer Zimmer ist. Wir wollten in Ruhe für den Wettkampf morgen üben.«

»Aha. Also ist dein Bruder ein Zauberschüler«, sagte Merlin nachdenklich. »Und wer bist du?«

»Lady Olivia Pendragon. Und das ist Adolphus.«

»Erfreut, euch kennenzulernen«, sagte Merlin. »Nun, wenn du schon durch einen Zauber bewegungsunfähig gemacht wurdest, gehe ich dann richtig in der Annahme, dass deinem Bruder etwas noch Unangenehmeres zugestoßen ist?«

»Ähm, also, er ist jetzt ein Frosch«, sagte Olivia unsicher.

»Er wurde in einen Frosch verwandelt?«, fragte Merlin. Seine Augenbrauen schossen in die Höhe.

»Also, nicht ganz«, sagte Olivia und rang die Hände. Wie viel sollte sie dem Zauberer erzählen? Sie sah zu seinen stechend grauen Augen auf und entschied, es am besten mit der Wahrheit zu versuchen. »Er hat einen Zauber erfunden, mit dem man Menschen in Frösche verwandeln kann«, sagte sie schnell. »Den haben wir geübt. Dann ist Adrian Hogsbottom gekommen und hat den Frosch in den Burggraben geworfen, ohne zu wissen, dass der Frosch Max ist. Und mich hat er verzaubert, damit ich es niemandem erzählen konnte. Und, bitte, wir müssen Max unbedingt finden. Wenn der Hecht ihn nicht schon gefressen hat. Und jetzt ist auch noch Grimm da unten – das ist Max’ Ratte. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert!«

Zu ihrem Ärger war Olivia kurz davor, loszuheulen. Ihre Stimme bebte. Adolphus leckte tröstend ihre Hand. Olivia seufzte tief und schaute Merlin an. Er sah sehr nachdenklich aus in seinem großen Stuhl, das Kinn in die Hände gestützt.

»Interessant«, murmelte er, eigentlich mehr zu sich selbst. »Natürlich sind die Pendragons alles in allem eine sehr magische Familie. So, so. Ich sollte den jungen Max kennenlernen. Ich sollte ihn unbedingt kennenlernen. Aber zuerst einmal müssen wir ihn finden.«

Er erhob sich, ging zum Fenster und sah auf das graue Wasser des Burggrabens hinab. »Wohlan –«

Ein lautes Klopfen unterbrach ihn und beinahe sofort wurde die Tür aufgerissen. Olivia verschlug es den Atem, als sie begriff, dass es der König war, der ins Zimmer gestürmt kam.

Artus war groß, hatte glattes, dunkles Haar und eine sorgenvolle, unglückliche Miene. Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu und wandte sich dann gleich an Merlin.

»Merlin!«, platzte er heraus. »Der Prinz ist verschwunden! Wir haben sein ganzes Quartier durchsucht – Sir Gareth sucht jetzt in den restlichen Teilen der Burg – aber er ist einfach verschwunden! Wir dachten, er wäre bei seiner Mutter, seine Mutter dachte, er wäre bei seiner Amme – wie es scheint, hat ihn seit heute Morgen niemand gesehen!«

Merlin legte die Stirn in Falten. »Wer weiß davon?«

»Ich selbst, Sir Gareth und Ihr … Seine Mutter glaubt, er spielt mit den Jungs von Sir Gareth – und dabei muss es auch bleiben. Wenn herauskommt, dass er verschwunden ist …«

»… gibt es Krieg«, sagte Merlin düster. »Wir müssen es für uns behalten. Wir dürfen keinen Alarm auslösen. Nicht mal die Wachen können wir in Bereitschaft versetzen. Aber wir werden ihn finden – er muss in der Burg sein. Ich habe die Burgmauern mit einem Bann belegt. Niemand könnte diesen Zauber durchbrechen, es sei denn –«, er hielt inne und zuckte mit den Schultern, »Eure Schwester, Lady Morgana le Fay – wann wird sie erwartet?«

Artus zog die Augenbrauen hoch. »Heute Abend, soweit ich weiß. Warum? Glaubt Ihr, wir brauchen ihre Hilfe?«

Merlin lachte kurz auf. »Ich hoffe nicht. Besser, ich finde den Prinzen, bevor sie eintrifft, mein König. Aber wir müssen uns beeilen.«

Artus nickte und verließ den Raum. Merlin wandte sich wieder Olivia zu. »Ich fürchte, du musst deinen Bruder allein suchen, kleine Lady. Viel Glück. Aber ich warne dich – du darfst niemandem erzählen, was du hier gehört hast. Diese Nachricht darf nicht an die falschen Ohren dringen. Also kein Wort!«

Er warf ihr einen strengen Blick zu, dann rauschte er davon, dem König hinterher. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Einen Moment lang verharrte Olivia in Gedanken.

»Adolphus?«, sagte sie schließlich. »Weißt du noch? Hat Adrian nicht irgendwas über ein Balg gesagt, das sie aus der Burg schaffen müssten?«

Vorsicht, Verschwörung!

Max schwamm schneller, als er es einem kleinen Frosch zugetraut hätte. Leider schwamm der Hecht noch schneller. Nach nur ein paar Sekunden konnte Max die Nasenspitze des Hechts fast schon an seinen Hinterbeinen spüren. Das furchterregende Maul öffnete sich weit. Gleich würde es zuschnappen …

Sekunden, bevor ein leckerer Hecht-Snack aus ihm wurde, entdeckte Max zu seiner Linken einen tiefen Spalt in der Mauer. Er schwenkte ab, hinein in die dunkle Enge, und strampelte wie verrückt mit den Beinen, um so tief wie möglich in den Spalt zu dringen. Sollte auch hier ein Flusskrebs wohnen, dachte Max, würde der entweder Platz machen oder Max würde ihm die Augen auskratzen.