»Ja, Genosse Akademiemitglied?«
»Ich muß Ihr Verworflertelefon für ein Gespräch nach Moskau benutzen, Genosse Orlow, mit dem Kreml. Es ist dringend. Niemand darf zuhören. Es geht um Angelegenheiten der Staatssicherheit.«
»In dem Fall müssen wir das Gespräch aufzeichnen.«
»Von mir aus, aber hören Sie auf keinen Fall mit«, sagte Bondarew. »Glauben Sie mir, Genosse, es ist in Ihrem eigenen Interesse.«
Es dauerte fast eine Stunde, bis das Gespräch durchkam. Dann ertönte laut dröhnend die Stimme des Dritten Parteisekretärs General Narowtschatow in der Leitung. »Pawel Alexandrowitsch! Es ist schön, von dir zu hören.« In weicherem Ton fragte er: »Geht es allen gut?«
»Ja, Genosse General. Marina und deine Enkel erfreuen sich bester Gesundheit.«
»Noch ein Jährchen, Pawel. Dann könnt ihr nach Moskau zurückkehren. So schwer es ist, noch müßt ihr dort bleiben. Deine Arbeit wird gebraucht.«
»Ich weiß«, sagte Bondarew. »Marina wird dankbar sein, daß es nur noch ein Jahr dauert. Das allerdings ist nicht der Grund meines Anrufs.«
»Sondern?«
»Ich spreche aus dem Büro des KGB über die Verworflerleitung. Der Diensthabende achtet darauf, daß niemand mithört. Die Sache ist von äußerster Wichtigkeit, Nikolai Nikolajewitsch. Wirklich von äußerster Wichtigkeit.«
General Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow legte auf und trug sorgfältig alles in ein ledergebundenes Buch ein, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Eine wohlhabende Dame hatte ihm vor vielen Jahren in Paris knapp zwei Dutzend davon geschenkt, voller leerer Blätter von ausgezeichnetem Papier. Jedes dieser Bücher hielt ein knappes Jahr vor, und nun blieben ihm nur noch zwei.
Er sah nachdenklich auf das Geschriebene. Außerirdische. Ein Raumschiff näherte sich der Erde. Blühender Unsinn!
Vermutlich nicht, dachte er. Zwar entsprach Pawel Bondarew seinerzeit nicht meiner Idealvorstellung von Schwiegersohn. Es wäre mir lieber gewesen, Marina hätte einen Diplomaten geheiratet, aber dumm ist er nicht. Er ist klug und vorsichtig. Nie würde er anrufen, wenn er seiner Sache nicht sicher wäre. Außerdem haben die Amerikaner es gesehen…
Jedenfalls sagen sie das. Ein amerikanischer Naturwissenschaftler ruft einen sowjetischen Kollegen an. Ein Gefallen unter Wissenschaftlern.
War das möglich? Narowtschatow sah noch immer auf seine Notizen, als könnten sie ihm etwas sagen, das er noch nicht wußte. Akademiemitglied Pawel Bondarew war intelligent, er kannte diesen Amerikaner, und er war davon überzeugt, daß es stimmte. Natürlich stimmte es – die CIA war raffiniert. Fast so raffiniert wie der KGB.
Und wichtiger noch – beim KGB würde man den Amerikanern nicht glauben. Er dachte daran, welche Schwierigkeiten ein KGBOffzier in der Provinz haben würde, Moskau von einer Sache wie dieser in Kenntnis zu setzen, und nickte befriedigt. Es würde Stunden dauern, bis die höheren Chargen im KGB etwas wußten.
Was die Amerikaner gesehen haben, wird von sowjetischen Astronomen am Observatorium im Ural jetzt, da sie wissen, wo sie zu suchen haben, bestätigt.
Also ist es kein Unsinn, da ist wirklich etwas. Konnten die Amerikaner es gemacht haben? Wenig wahrscheinlich, aber sie hatten die Sowjets auch schon früher überrascht.
Ich muß etwas unternehmen. Aber was?
Narowtschatows kunstvoll geschnitzter Schreibtisch stand am einen Ende eines behaglich eingerichteten, eleganten und geschmackvoll gehaltenen Raumes mit hoher Decke. Das unvermeidliche LeninPorträt beherrschte eine der Wände, an den anderen hingen Wandteppiche aus der Mongolei, und den Fußboden bedeckten Perserteppiche. Hier konnte er arbeiten, sich aber auch entspannen, was leider immer häufiger nötig wurde.
Zum erstenmal hatte er den Raum als ganz junger Soldat zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges gesehen. Sein Regiment war dem Kreml als Wache zugeteilt worden, unmittelbar vor der Vertreibung der Deutschen, und so hatte diese Aufgabe nicht lange gedauert. Man hatte sie bald darauf abkommandiert, Jagd auf die Deutschen zu machen.
In dieser kurzen Zeit aber hatte er genug gesehen.
Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow würde nie nach Kirow zurückkehren, wo sein Vater im Hammerwerk arbeitete. Diesem war der Kommunismus freundlich gesonnen gewesen, hatte ihn aus dem Elend der Dörfer, wo die Bauern im Winter froren, nach Kirow gebracht, in die vergleichbar warme Stadt mit ihrer Industrie. So hatten seine Kinder zur Schule gehen und Lesen und Schreiben lernen können. Mehr hatte Nikolai nie gewollt, wohl aber sein Sohn. Eine Weltanschauung, in der ein solches Büro Platz hatte, war es der Mühe wert, daß man sich näher mit ihr beschäftigte.
Es dauerte dreißig Jahre, aber er hatte nie gezweifelt, daß er es schaffen würde. Parteiarbeit beim Militär, dann während des Ingenieurstudiums an der Moskauer Universität, bei dem er stets ausgezeichnete Noten in den Politkursen bekam. In den wissenschaftlichen Fächern hätte er besser abschneiden können, aber er wollte seine Freunde nicht verprellen oder beschämen, die er sich ausschließlich unter den Verwandten hoher Parteifunktionäre suchte. Wer nach der Macht strebt, braucht Freunde in hohen Positionen, und wer dort niemanden kennt, bemüht sich, die Bekanntschaft von deren Kindern zu machen.
Der große Stalin starb, und Chruschtschow begann seinen allmählichen Aufstieg zur Macht. Es war keine einfache Zeit, denn es ließ sich schwer voraussagen, wer bei der unvermeidlichen Auseinandersetzung Sieger bleiben würde. Beria war gefallen und mit ihm das NKWD, das dann in die zivile Miliz und den KGB aufgeteilt wurde… Nikolai Narowtschatow wählte seine Freunde sorgfältig und achtete darauf, ständig in Verbindung mit der Partei zu bleiben. Schließlich heiratete er die Tochter des Parteisekretärs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der größten Unionsrepublik der UdSSR.
Bald darauf kam es zu Chruschtschows Sturz, und die Partei wurde noch mächtiger.
Nun stieg er rasch auf. Er wurde ›politischer General‹. Zwar empfand er für die Angehörigen dieser Gruppe im großen und ganzen nichts als Verachtung, aber der Rang war nützlich. Mit ihm einher ging nicht nur gute Bezahlung, er verfügte jetzt auch über Beziehungen zur Armee und zu den Raketenstreitkräften. Im Unterschied zu einer ganzen Anzahl politischer Generäle hatte er sich seine Orden als Teilnehmer am Großen Vaterländischen Krieg und an anderen Fronten verdient wie auch seiner Ansicht nach den Platz, an dem er sich befand. Zwar war damit reichlich Parteiarbeit und Duckmäuserei verbunden, aber er hatte auch Fabriken errichtet, die tatsächlich produzierten. Er hatte dabei mitgewirkt, die Deutschen möglichst machtlos zu halten – wieso verstanden die Amerikaner eigentlich nicht, warum das den Sowjets wichtig war? Er hatte, wo immer möglich, korrupte Beamte entlassen und den Schaden in Grenzen gehalten, den die anrichteten, die er nicht fallenlassen konnte.
Als erstklassiger Spitzenmann, fand er, gehörte er an seinen Platz. Sein Sohn saß im Handelsministerium fest im Sattel, und seine Töchter waren gut verheiratet. Ein Enkel arbeitete im Institut für Internationale Beziehungen in Moskau…
Und jetzt das!
Zumindest werde ich den Vorsitzenden als erster informieren. Marina. Marina, ich war mit deiner Wahl nicht einverstanden, aber ich sehe, daß ich unrecht hatte. Es war ein guter Tag, an dem du Pawel Alexandrowitsch Bondarew kennengelernt hast. Ein sehr guter Tag.
Er schob seinen Sessel zurück und erhob sich, dann ging er müden Schritts den Gang zum Büro des Vorsitzenden entlang.
Das staunenswerteste Ereignis der Menschheitsgeschichte, und als es eintrat, war David Coffey Präsident der Vereinigten Staaten. Außerirdische auf dem Weg zur Erde!