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Er ging ihr voraus, eine Rampe zu den Taxen empor. Es sah aus, als folge ihm der Koffer, den er an seiner Schlaufe hinter sich herzog, wie ein Hund an der Leine. In Jennys Augen hatten Rollenkoffer mehr für die Befreiung der Frau geleistet als die meisten feministischen Initiativen.

Oben angekommen, winkte Gillespie eine Taxe herbei, in deren Kofferraum sich bereits sein eigenes Gepäck befand. Der Fahrer sah aus wie ein Inder oder Pakistani und sprach kaum Englisch.

»Müde?« erkundigte sich Ed.

»Was glaubst du wohl? Immerhin war ich gestern nachmittag noch auf Hawaii.« Es war ein langer Flug gewesen. Jennys Haar hing strähnig herab, und sie fühlte sich am ganzen Leib klebrig. Sie sah auf die Uhr. Halb acht. »Eine Marinemaschine hat mich nach El Toro gebracht, da hat man mich in einen Hubschrauber umgeladen und noch gerade so rechtzeitig nach Los Angeles geflogen, daß ich die Nachtmaschine bekommen konnte.«

»Hast du geschlafen?«

»Nicht richtig.«

»Dann versuch’s jetzt«, sagte Gillespie.

»Dazu bin ich zu aufgekratzt. Wie geht es jetzt weiter?«

»Wir werden im Weißen Haus erwartet«, sagte Gillespie, und als er ihren Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: »Du hast Zeit, dich umzuziehen.«

»Das will ich hoffen. Ich fühle mich abscheulich, alles scheint vor Schmutz zu starren.«

Während das Taxi der Stadt zustrebte, fragte Gillespie. »Wie fühlt man sich, wenn man eine Sensation hervorgerufen hat, Jenny?«

»Um was zu fühlen, bin ich viel zu müde. War es denn eine Sensation?«

Gillespie lachte. »Ach so, du warst ja unterwegs.« Er entnahm seiner Aktentasche ein Exemplar der Washington Post.

Die Schlagzeile AUSSERIRDISCHES RAUMSCHIFF ENTDECKT sprang sie an. Fast die ganze Titelseite beschäftigte sich mit der Neuigkeit. Tatsachen hatte der Artikel zwar kaum zu bieten, aber es wurde munter darauflos schwadroniert, und außerdem gab es einen Hintergrundbericht von Roger Brooks. Jenny runzelte die Stirn, als sie an ihr letztes Zusammentreffen mit Roger dachte. Sie warf Ed einen Blick zu. Er konnte eigentlich nichts über Roger und Lindas frühere Beziehung wissen.

Meine Schwester ist eine blöde Kuh.

Es folgten Interviews mit berühmten Naturwissenschaftlern und Bilder eines lächelnden Kosmologen, der den Nobelpreis bekommen hatte, außerdem Bilder von Mary Alice Mouton und Rick Owen. Er lächelte noch breiter als der Kosmologe.

»Dr. Owen ist ja jetzt wohl eine Art Berühmtheit«, sagte Jenny.

»Du auch«, gab Edmund zurück. »Zwar beansprucht dein Freund auf Hawaii den eigentlichen Entdeckerruhm für sich, hat aber durchaus deinen Namen genannt. Jeder Reporter im Lande würde dich gern interviewen.«

»Ach du liebe Zeit!«

»Du sagst es. Vor allem deshalb habe ich auf dich gewartet. Ein Wunder, daß dich die Stewardessen nicht erkannt haben.«

»Vielleicht doch«, sagte Jenny. »Eine schien mir besonders aufmerksam zu sein. Sie hat allerdings nichts gesagt.«

Das Taxi schlängelte sich durch den nicht besonders dichten Verkehr. Auf den Zubringer zum DullesFlughafen führten nur wenige Einfahrten. Ursprünglich waren gar keine vorgesehen gewesen, da er ausschließlich dem Flughafenverkehr vorbehalten sein sollte, aber den Politikern war es gelungen, ein halbes Dutzend durchzusetzen – vermutlich jeweils in der Nähe ihrer Wohnungen. Um jede dieser Einfahrten war eine Anzahl von Wohnhäusern und ein kleines Gewerbegebiet aus dem Boden gewachsen.

»Wie sie wohl sein mögen?« überlegte Jenny laut.

Gillespie schüttelte den Kopf. »Ich lese schon lange nicht mehr so viel Science Fiction wie als kleiner Junge.« Er sah einen Augenblick lang hinaus und lachte dann. »Eins ist sicher, dem Raumfahrtprogramm wird es nützen! Im Kongreß spricht man bereits vom Bau weiterer Raumfähren, damit der Stützpunkt auf dem Mond vergrößert werden kann – auf einmal tun die Mistkerle so, als wären sie schon immer große Raumfahrtbefürworter gewesen.«

Je mehr sie sich Washington näherten, desto dichter wurde der Verkehr. Am Ende der Schnellstraße standen sie hinter einer geschlossenen Wand aus roten Heckleuchten. Der Fahrer murrte etwas vor sich hin und versuchte, sich vorwärtszuschlängeln, ohne dabei auf das wütende Gehupe zu achten.

Jenny erkundigte sich: »Wen treffen wir im Weißen Haus?«

Gillespie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich den Präsidenten.«

»Um Himmels willen, ich hab ihm doch gar nichts zu bieten «, sagte sie. »Alles was ich weiß, steht in meinem Telegramm von gestern.«

Er zuckte erneut die Achseln. »Man wird ja sehen«, sagte er, »wir gelten nun mal als die Fachleute. Immerhin haben wir als erste davon gewußt…«

Als sie den Potomac überquerten, hatte der Nieselregen aufgehört, und die Sonne bemühte sich durchzubrechen. Trotz der morgendlichen Kühle war etwa ein Dutzend Jogger unterwegs. Jenny schloß die Augen. Sie dachte: Die Außerirdischen kommen, und ich bin berühmt.

Gillespie stritt sich mit dem Fahrer herum. Es war deutlich, daß dieser kein Wort von dem verstand, was Ed sagte. Er wurde nervös, und Gillespie wurde immer wütender.

»Laß mich mal«, mischte sich Jenny ein. »Wo sind wir hier?«

»Wenn ich das wüßte. Vorhin sind wir über eine Brücke mit steinernen Büffeln drauf gefahren.«

»Dann sind wir in der Nähe der Kathedrale«, sagte Jenny. Aus dem Taxifenster sah sie ein typisches Washingtoner Wohngebiet. Ältere Häuser, alle mit efeubewachsener Veranda. »Wo ist Norden?«

Gillespie machte eine Handbewegung.

»Schön.« Sie beugte sich vor und wies den Fahrer an: »Geradeaus, dann links.«

Der Mann wirkte erleichtert. Nachdem sie ein paar Nebenstraßen durchfahren hatten, nickte Jenny befriedigt. »Gleich sind wir da.«

»Warum, zum Kuckuck, können die keine Fahrer einstellen, die Englisch sprechen?« machte Ed seinem Ärger Luft. »Angeblich haben wir so viele Arbeitslose – aber keiner von den verdammten Taxifahrern am Flughafen unserer Hauptstadt spricht Englisch. Die dämlichen Politiker kriegen natürlich nichts davon mit – die werden ja von Fahrern am Flughafen abgeholt.«

Vermutlich hatten die Außerirdischen nicht nur Lösungen für Alltagsprobleme wie die Sache mit der Taxe, sondern waren auch so fortgeschritten, daß sie eine über eine Million Jahre bewährte Regierungsform und einen mächtigen missionarischen Drang mitbrachten. Das würde die Schwierigkeiten der USamerikanischen Regierung mit einem Schlag lösen.

Das im glanzvollen Kolonialstil errichtete Herrenhaus Flintridge erhob sich auf einem sich breit hinlagernden Hügel. In ganz Washington gab es kein Dutzend solcher Besitzungen. Von der großen, mit Säulen verzierten Veranda aus war kein anderes Haus zu sehen. Der größte Teil des umliegenden Waldes gehörte zum Rock Creek Nationalpark, und das war sehr angenehm, weil niemand dort bauen durfte.

Die Taxe fuhr knirschend über die kiesbestreute Auffahrt des aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Herrenhauses. Das haitianische Dienstmädchen Phoebe kam zur Tür, erkannte Jenny und verschwand blitzschnell im Haus. Wenige Augenblicke später trat Onkel Henry, Colonel Weston, aus der Tür. Ein solcher Onkel war sehr praktisch, wenn man sich in Washington aufhielt, denn auf Flintridge lebte es sich weit angenehmer als in jedem Hotel.

Da es in der ersten Etage, zu der eine großartig geschwungene Treppe führte, nicht genug Schlafzimmer gab, war Jenny in der zweiten untergebracht, wo ursprünglich die Dienstboten getrennt von der Familie gehaust hatten. Deren Kammern waren später zu kleinen behaglichen Apartments mit Badezimmern umgebaut worden. Allerdings ließen sie sich lediglich über eine schmale, gewundene Hintertreppe erreichen.

Jenny stellte ihr Gepäck ab und ließ sich auf das Bett sinken. Nur gut, daß es für Tante Rhonda um acht Uhr noch zu früh war. Sie hätte sich endlos über Jennys nicht existierende Sonnenbräune ausgelassen und nach jungen Männern erkundigt – beständig war Jenny Ziel ihrer unermüdlichen Kuppelversuche.