Mit Sicherheit hatte der KGB bereits jemanden dafür parat, aber die Partei würde die Einsetzung bestätigen müssen. Eine weitere Entscheidung, die hier zu treffen war, bevor die Politbürositzung begann.
»Gruschin«, sagte Narowtschatow. »Dmitri Parfenowitsch Gruschin.«
Petrowski hob fragend eine dichte Braue.
»Ich habe ihn mir angesehen. Der KGB traut ihm, und er ist ein guter Diplomat. Die Parteileute, die ihn kennen, schätzen ihn. Und er hat Naturwissenschaften studiert.«
»Also gut«, nickte Petrowski zufrieden.
»Der KGB ist gespalten«, sagte Narowtschatow. »Einige halten die Sache für einen Trick der CIA, andere wissen es besser. Wir haben es selbst gesehen. Rogatschow hat es mit eigenen Augen in den Bordteleskopen von Kosmograd beobachtet. Die Amerikaner hätten so ein Raumschiff nie bauen können, Anatoli Wladimirowitsch.«
Petrowskis Bauernaugen verhärteten sich. »Möglich. Aber in der Armee glaubt man das nicht. Marschall Ugatow ist davon überzeugt, daß es sich um eine amerikanische Verschwörung handelt, die ihn dazu bringen soll, seine Raketen auf das Ding im Weltraum zu richten, während die Amerikaner gegen uns mobil machen.«
»Aber das täten sie nicht«, sagte Narowtschatow. »Gut und schön, wenn wir das in der Öffentlichkeit sagen, aber wir dürfen uns selbst keinen Täuschungen hingeben.«
Petrowskis Gesicht verfinsterte sich, und einen Augenblick lang empfand Nikolai Nikolajewitsch Furcht. Dann lächelte der Vorsitzende dünn. »Vielleicht bleibt uns keine Wahl«, sagte er. »So oder so, die Sache ist geregelt. Ihr Schwiegersohn übernimmt die Verantwortung für unsere Vorbereitungen im Weltraum. Es ist ohnehin besser, einen Zivilisten damit zu betrauen. Lassen Sie uns die Beförderung von Marinas Mann mit einem Schluck Cognac feiern!«
»Sehr gern.« Narowtschatow trat an den Barschrank, nahm eine Flasche, eine Kristallkaraffe und Gläser heraus. »Was werden die Amerikaner nun tun?« wollte er wissen.
Petrowski hob die Schultern. »Mit uns zusammenarbeiten. Was bleibt ihnen sonst übrig?«
»Es ist nie klug, sie zu unterschätzen.«
»Als ob ich das nicht wüßte – ich habe es Ihnen ja selbst beigebracht.«
Nikolai Nikolajewitsch lächelte breit. »Aber was denken Sie ganz persönlich?«
»Dasselbe wie Sie.«
Einen Augenblick lang überflog ein Schatten Narowtschatows Gesicht, dann sah er das schlaue Lächeln des Vorsitzenden. »Aha«, folgerte er, »der amerikanische Präsident hat Sie angerufen.«
»Nein, ich ihn.«
Nikolai Narowtschatow überlegte, was das zu bedeuten hatte. Petrowski war der einzige Mann in der Sowjetunion, der den Präsidenten der Vereinigten Staaten anrufen konnte, ohne daß Narowtschatow das umgehend erfuhr. »Weiß Trussow davon?« fragte er.
»Ich habe es ihm nicht gesagt«, sagte Petrowski achselzukkend.
Narowtschatow nickte zustimmend. Der KGB verfügte über viele Mittel und Quellen. Wer konnte wissen, was dessen Kommandant herausbekam? »Sie werden das also im Verteidigungsrat vortragen?«
»Ja.«
Nikolai Narowtschatow goß alten Cognac in zwei Gläser und reichte eines über den riesigen Schreibtisch. Lächelnd hob der Vorsitzende das Glas. »Auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern «, sagte er und lachte.
Narowtschatow hob sein Glas gleichfalls, empfand aber Furcht. Dies Raumschiff der Außerirdischen konnte nichts anderes als Schwierigkeiten bedeuten – ausgerechnet jetzt, wo er der Spitze so nahe war, konnte alles scheitern. Der KGB würde seine eigenen, hinterhältigen Pläne verfolgen und so verschlungene Wege gehen, daß nicht einmal alle KGBLeute sie verstehen würden. Und die Militärs taten, was Militärs schon immer getan haben. Raketen wurden in Stellung gebracht, viele Finger lagen dicht über vielen Knöpfen.
Nikolai Narowtschatow kam sich so ähnlich vor wie der legendäre Tatar, der einen Wirbelwind gesattelt hatte.
Die ZuchthundeAusstellung war vorüber, und Martin Carnell fuhr mit seinen Preisen heim: einmal beste Zuchthündin, drei erste Plätze – und einmal bester Zwinger, womit er gar nicht gerechnet hatte.
In den Transportbehältern hinter ihm auf der Ladefläche herrschte Unruhe. Er schaltete das Radio aus, um genauer zu hören, was los war. Keins der Tiere schien krank zu sein. Darth war ein Welpe und die Fahrten mit dem Kleinlaster noch nicht gewohnt. Wahrscheinlich steckte seine Stimmung die anderen Hunde an.
Martin fuhr gemächlich die Fernstraße 66 entlang, nie schneller als achtzig. Auf keinen Fall sollten die Tiere unruhig werden – sonst bissen sie womöglich bei der nächsten Ausstellung einen der Preisrichter in die Hand!
»Ruhig, Jungs«, sagte er. Seine Stimme pflegte sie zu beruhigen. Dann schaltete er das Radio wieder ein.
Die Musik hatte aufgehört, und eine Stimme sagte: »Ich habe mit dem Vorsitzenden der Sowjets gesprochen…«
Es klang wie die Stimme des Präsidenten: Martin drehte das Gerät lauter.
»Wir sind außerdem bestrebt, eine gemeinsame Reaktion auf dies außerirdische Raumschiff zu finden.
Amerikanische Mitbürger, unsere Wissenschaftler sagen, daß es sich hier um das bedeutendste Ereignis der Menschheitsgeschichte handeln kann. Jeder von Ihnen weiß jetzt, was wir wissen: ein großes Objekt, gut anderthalb Kilometer lang, nähert sich der Erde auf einer Bahn, die unsere besten wissenschaftlichen Köpfe zu dem Schluß kommen läßt, daß es einen eigenen Antrieb hat und unter Führung intelligenter Wesen steht. Bisher haben wir keinen Kontakt zu ihm herstellen können.
Es besteht kein Grund anzunehmen, daß eine Bedrohung von ihm ausgeht…«
Breit grinsend schüttelte Martin den Kopf. Gern hätte er den Anfang der Sendung gehört. Wer immer den Präsidenten da persiflierte, er hatte dessen Stimme aufs iTüpfelchen genau getroffen. Mit einemmal lachte er so laut heraus, daß die drei Hunde hinter ihm zu bellen begannen. Was, wenn sich George TateEvans im selben Augenblick in die Sendung eingeschaltet hatte wie er? Würde er dann vor Schadenfreude platzen oder sich angstvoll unter das Bett verkriechen?
Die Gruppe wild zum Überleben entschlossener Menschen, die sich in Erinnerung an die Pionierzeiten Amerikas den Namen Wagenburggegeben hatte, bestand noch, soviel wußte Martin. Allerdings verstand er nicht, wie er sich je mit diesen Spinnern hatte einlassen können. Vor allem ärgerte ihn, daß er bei der Sache ziemlich viel Geld in den Sand gesetzt hatte, bevor er wieder zu Verstand gekommen war. Der einzige Vorteil aus dieser Verirrung war gewesen, daß er sich von Zwergpudeln auf Dobermänner umgestellt hatte. Er hatte seinen ersten Dobermann, Marienburg Sunhawk, gekauft, weil sich ein solcher Hund ausgezeichnet als Wächter eines Hauses eignete, und dabei festgestellt, daß ihm die großen Hunde besser lagen.
Die übrigen Angehörigen der Wagenburg trafen sich bestimmt nach wie vor jeden Donnerstagabend und erwarteten die Menschheitsdämmerung. Was wohl George und Vicki jetzt unternahmen? Würden sie die anderen warnen und sich schleunigst in die Berge aufmachen? Vermutlich, das war ihre natürliche Reaktion, ganz gleich, was geschah.
Aber Leute als verrückt bezeichnen, die sich mit Hunden beschäftigen!
Eine wohltönende Radiosprecherstimme führte das Thema weiter aus, sprach über Krieg und Politik. Sie führte einen Physikprofessor ein, der auch Science Fiction schrieb und sich vom bevorstehenden Zusammentreffen mit den Außerirdischen wunderbare Dinge erhoffte. Martin begann sich zu fragen, ob er da einem Remake von Krieg der Welten zuhörte. Noch hatte er nichts von der Handlung mitbekommen, um die es doch eigentlich gehen mußte.