»Hast du schon ‘ne Verabredung zum Abendessen?«
»Weiß nicht. Muß erst anrufen.« Er ging ins Hinterzimmer und wählte Georges Nummer. Vicki meldete sich.
»Hallo«, sagte Ken. »Ah… hier spricht Ken Dutton.«
»Hör ich doch.«
»Ja… ah… Vicki, ist heute abend Sitzung?«
»Nein. Ruf morgen wieder an.«
»Vicki, ich weiß doch, daß Sitzung ist!«
»Ruf morgen an! Oder ist sonst noch was? Also dann, mach’s gut!« Die Leitung war tot.
Ken Dutton ging wieder in den Laden zurück und sagte zu Harry: »Heute abend bin ich frei. Wir können gleich hier im Einkaufszentrum essen, dann haben wir keinen Ärger mit dem Stoßverkehr.«
Jeri Wilson gab ihrer zehnjährigen Tochter einen GuteNacht Kuß und stellte überrascht fest, wie leicht es ihr fiel weiterzulächeln, bis das Kind auf sein Zimmer gegangen war. Melissa ähnelte im Körperbau der Mutter, ihr Haar war etwas dunkler und nicht ganz so fein, und ihr Gesicht war recht hübsch. Sicherlich würde sie später einmal ihren Eindruck auf Männer nicht verfehlen.
Jeri wartete, bis der Lichtspalt unter Melissas Tür erlosch.
Jetzt schläft sie wohl. Bestimmt ist sie müde. Auch ich bin müde. Das Lächeln schwand von Jeris Gesicht. Es war ein so herrlicher Tag gewesen, der schönste seit Wochen, bis sie heimgekommen war und die Post gefunden hatte.
Sie ging ins Wohnzimmer. Einer teuren Vitrine entnahm sie eine rote Kristallkaraffe und ein dazu passendes Glas. Die Muranosachen haben wir in Venedig gekauft. Eigentlich konnten wir uns die ganze Reise nicht leisten. Ein wunderbarer Sommer.
Sie goß sich ein Glas billigen Sherry ein und setzte sich auf das Sofa. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Der Teufel soll dich holen, David Wilson! Sie nahm den Umschlag aus ihrer Schürzentasche; er war in Cheyenne Wells im Staat Colorado abgestempelt. Der Brief trug keine Unterschrift. Die Handschrift mochte die eines Mannes sein, aber sicher war Jeri nicht.
»Liebe Mrs. Wilson«, hieß es darin. »Wenn Sie Ihren Mann wirklich halten wollen, sollten Sie sich etwas einfallen lassen, denn er hat eine Neue.«
Natürlich hat er, dachte Jeri. Er ist ja schon seit fast zwei Jahren weg und hat vor sechs Monaten die Scheidung eingereicht. Es war unvermeidlich…
So oder so, sie dachte nicht gern an die Sache. Bilder traten vor ihr inneres Auge: David kam nackt unter der Dusche hervor. Oder: sie lag mit ihm spät abends am Strand bei Malibu, beide in Hochstimmung vom Champagner. Sie hatten Davids Doktortitel gefeiert und sich geliebt. Zwar hatte das dritte Mal mehr Anstrengung gefordert als Erfüllung gebracht, dennoch war es eine zauberhafte Nacht gewesen.
Nach dem erstenmal hatte sie zu ihm gesagt: »Ich nehm schon eine ganze Weile die Pille nicht mehr…«
»Ich weiß«, hatte er geantwortet.
Sie stellte sich gern vor, daß Melissa in jener Nacht gezeugt worden war. Bestimmt aber war es in jener wunderbaren Woche geschehen. Fünf Monate später gab Jeri ihre Anstellung als Wissenschaftslektorin für ein Hochschulmagazin auf. Davids Studium war beendet, er hatte eine erstklassige Stelle gefunden, und sie konnten das Leben genießen…
Sie nippte an ihrem Sherry und leerte dann das Glas in einem Zug. Es kostete sie Mühe, es nicht zu Boden zu schleudern und zerschellen zu lassen. Auf wen bin ich bloß so wütend?
Auf mich selbst. Ich bin eine blöde Gans. Sie zerknüllte den Brief, strich ihn wieder glatt und goß sich ein weiteres Glas Sherry ein. So oft sie sich die Augen auch wischte, die Tränen kamen immer wieder.
Drei Gläser Sherry hatte sie getrunken, als das Telefon läutete. Zuerst wollte sie es ignorieren, aber vielleicht ging es ja um Melissa. Vielleicht war es sogar David; manchmal rief er noch an. Was, wenn er es ist und sagt, daß er mich braucht?
»Hallo.«
»Jeri, hier spricht Vicki.«
»Oh.«
»Hast du schon das Neueste gehört?« fragte Vicki.
Wie könntest du etwas über David wissen – »Was soll das denn sein?«
»Das Raumschiff.«
»… was?«
»Jeri, wo hast du denn den ganzen Tag gesteckt? Machst du Winterschlaf?«
»Nein, ich hab mit Melissa am Angeles Crest gepicknickt.«
»Dann hast du also die Nachrichtensendung nicht gesehen. Die Astronomen haben im Sonnensystem ein Raumschiff mit Außerirdischen entdeckt, das auf die Erde zukommt.«
»Du nimmst mich wohl auf den Arm?«
»Schalt doch einfach Kanal Vier ein! Ich ruf in einer halben Stunde wieder an. Wir müssen miteinander reden.«
Saturn also. Sie kamen vom Saturn, und niemand wußte, seit wann sie sich dort aufgehalten hatten. Jeri mußte an einen Bildschirm im JPL denken. Drei ineinander verflochtene Ringe. Davids schmerzhafter Griff um ihren Arm.
Das war – das lag doch mehr als zehn Jahre zurück! Da war ich um die Zwanzig, ich hatte David, und alles war Sonnenschein.
Das Telefon klingelte, kaum daß die Nachrichten vorüber waren.
»Hallo, Vicki.«
»Hallo. Nun, hast du es dir angesehen?«
»Ja.« Jeri kicherte.
»Was hältst du davon?«
»Außerirdische, die vom Saturn kommen. Toll! Vicki, ich wette, die waren schon da, als die VoyagerRaumsonde vorbeigeflogen ist. Ich erinnere mich noch genau an all die dämlichen Unterhaltungen damals. John Deming, Gregory und – und David und ich haben versucht, uns zu überlegen, wie ein auf einer Umlaufbahn befindliches Teilchenband so verdreht sein konnte. David hat damals sogar das Wort ›Außerirdische‹ gesagt. Aber es war ihm nicht ernst damit.«
»Das ist es jetzt aber, und genau darüber müssen wir uns unterhalten «, sagte Vicki. »Wir haben uns entschieden – die Wagenburg geht nach Bellingham. Du und Melissa, ihr könnt mitkommen.«
»Ach. Warum?«
»Nun, erstens haben du und David lange mitgemacht.«
»Das ist ein Grund«, sagte Jeri. »Und weiter?«
Vicki TateEvans seufzte. »Du verstehst was von Naturwissenschaft – und, nun schön, außerdem bist du attraktiv und ungebunden. Möglicherweise müssen wir noch einen alleinstehenden Mann an Bord ziehen.«
Interessantes Kompliment. Eigentlich nett, daß die mir das in meinem Alter noch zutrauen… »Ach, wohl als Gespielin für Ken Dutton?«
»Den haben wir nicht eingeladen.«
»Gut.«
»Ich dachte, du magst ihn. Ich hatte sogar geglaubt…«
Was du so denkst. Natürlich stimmte es. Ken Dutton hatte sich bei den Wilsons zum Abendessen eingeladen, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, und als David nach Colorado gezogen war, kam er weiterhin. An einer Affäre lag Jeri nicht, obwohl das Alleinschlafen nicht schön war. David fehlte ihr sehr, in jeder Hinsicht, und Ken war nicht nur keineswegs unansehnlich, sondern auch ungewöhnlich aufmerksam. An dem Abend, als sie erfuhr, daß David die Scheidung eingereicht hatte, war Ken bei ihr gewesen, hatte sie tröstend in den Armen gehalten, ihr zugehört, und sie hatte ihn, wütend wie sie war, an Ort und Stelle verführt. Einige Nächte hatte er ihr Bett geteilt, dann merkte sie, worum es ihm ging.
»Praktisch war ich für ihn«, sagte sie jetzt. »Er brauchte nicht so weit zu fahren. Das war mir als Grundlage für eine Beziehung zu wenig.«
»Ach so«, Vicki lachte verlegen. »Wie auch immer, wir haben ihn nicht eingeladen, und ich soll dir sogar ausrichten, daß du ihn auf keinen Fall mitbringst. Das wäre also erledigt. Jeri, wir fahren nächste Woche. Isadore und Clara bleiben bis auf ein paar Tage vor dem Eintreffen der Außerirdischen hier. Es wäre ideal, wenn du mitkämst, aber du kannst auch warten und mit Isadore hinfahren, wenn dir das lieber ist.«