»Sind Sie sicher?« erkundigte sich Roger.
Der Mann zuckte die Achseln. »Sie brauchen sie dringender als ich. Erklären Sie dem Kongreß, daß das Raumfahrtprogramm von äußerster Wichtigkeit ist, mehr verlange ich nicht.«
Roger dankte ihm und nahm Platz. Linda Gillespie war in der Nähe des maßstabgetreuen Raumfahrzeugmodells eingezwängt und wehrte einen weiteren Reporter ab, der sie interviewen wollte: wie fühlte sie sich, sozusagen auf der Erde festgebunden, während ihr Mann im Skylab war?
Sie sah hinreißend aus. Roger hatte sie nicht mehr gesehen seit – ja, seit wann? Erst zweimal seit der Heirat mit Ed. Natürlich war er auch bei der Hochzeit gewesen. Lindas Mutter hatte geweint. Wieso habe ich sie aufgegeben?, dachte Roger. Aber ich war damals ja nicht bereit, sie zu heiraten. Vielleicht hätte ich es tun sollen…
Wahrscheinlich alles Gefühlsduselei. Man erinnert sich gern an das Schöne. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her. Und schön war es gewesen. Er sah verstohlen zu ihr hinüber, aber sie hielt den Blick aufmerksam auf das Modell gerichtet. Am besten, er vergaß das alles.
Die Schwierigkeit bestand darin, daß er keinen Bericht auf die Beine bekam. Es war einfach nichts Zusammenhängendes aus den Leuten herauszukitzeln. Sie waren zwar aufgeregt, sagten aber nicht, warum. Die Wissenschaftsjournalisten hielten gleichfalls den Mund. Sie alle kannten einander, und bei großen Ereignissen wie diesem hatten sie was gegen Außenseiter.
Roger kritzelte gelangweilt auf seinem Notizblock herum. Er riß sich nicht um diese Art von journalistischer Tätigkeit.
Er hörte: »Hast du noch nie drei verliebte Regenwürmer gesehen?« und sah auf. Eine Gruppe von Science FictionAutoren stand unter einem Bildschirm, auf dem zu sehen war… ja, es waren drei verliebte Regenwürmer, oder auch ein unscharfes Foto von Spaghettiresten auf einem Teller, vielleicht war es auch einfach Störstrahlung. Er schrieb: »FRing: drei verliebte Regenwürmer«, und klopfte Linda auf die Schulter. »Hältst du mir den Platz frei?«
»Wo willst du hin?«
»Vielleicht krieg ich aus den Science FictionLeuten was raus.« Niemand schien sie zu fragen – vielleicht bekam er auf diese Weise einen neuen Blickwinkel.
»Es sieht aus, als ob es losginge.«
Frank Bristow, Pressesprecher des JPL, hatte seinen Platz auf dem Podium eingenommen. Roger hatte ihn flüchtig kennengelernt, als er sich in die Liste der Berichterstatter eintrug. Rogers Kollegen schienen ihn alle ebensogut zu kennen wie einander. Roger kannte niemanden.
Bristow stand im Begriff, die Pressekonferenz zu eröffnen. Der Leiter des VoyagerProjekts und vier Astrophysiker nahmen ihre Plätze an einem erhöht stehenden Tisch ein. Roger setzte sich wieder. Er wünschte sich weit weg.
Roger Brooks näherte sich den Dreißig, und das gefiel ihm nicht. Zu den vielfältigen Verlockungen in seinem Beruf gehörten zuviel kostenloses Essen und Trinken. Er achtete darauf, sich körperlich in Form zu halten, wenn er wieder einmal zu gut gelebt hatte. Sein glattes blondes Haar wurde allmählich schütter, und das machte ihm ein wenig Sorgen, aber sein Unterkiefer wirkte immer noch kantig und männlich und zeigte keine Spuren der weichlichen Rundungen, die er bei den anderen sah. Drei Jahre zuvor hatte er von einem Tag auf den anderen das Rauchen eingestellt und danach unter entsetzlichen Entzugserscheinungen gelitten. Seine Zähne waren wieder weiß, aber die Narben zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand würden bleiben. Da hatte in Vietnam mal eine Zigarette zu Ende gebrannt, als er im Vollrausch gewesen war.
Dies hier war nur ein kleiner Auftrag, und gern hätte er größere gehabt. Geheimgehalten wurde hier nichts – alles, was Voyager Eins lieferte, wurde in die Welt hinausposaunt. Vermutlich hätten sie es am liebsten bis zum Mond geschrien. Der Kniff bestand darin zu verstehen, worum es ging.
Auch wenn es keine große Sache war, hatte sich das Kommen gelohnt, dachte er mit einem Blick auf Linda. Unbehaglich zuckte er zusammen, als alte Erinnerungen in ihm aufstiegen. Wie unerfahren sie damals gewesen waren! Aber sie hatten gelernt, und keine körperliche Beziehung zu einer anderen Frau war in seiner Erinnerung je so gut gewesen wie das letzte Mal mit Linda. Möglicherweise sah er das verklärt – vielleicht auch nicht. Schluß damit! Wenn man es mir nun ansieht… Worüber soll ich, um Himmels willen nur schreiben?
Eine weitere Gruppe drängte sich unter dem Modell, das Voyager in natürlicher Größe nachbildete. Sicher Naturwissenschaftler. Die Science FictionAutoren in ihrer Nähe wirkten eher wie ihresgleichen als wie Medienleute. Sie gaben sich nicht die geringste Mühe, gelassen zu erscheinen. Es machte ihnen nichts aus, wenn andere ihre Begeisterung merkten. Journalisten taten so etwas nicht, sie versuchten, die übliche gelangweilte Miene von Unbeteiligten zur Schau zu stellen.
Die Pressekonferenz begann. Der Missionsleiter gab Erklärungen ab, teilte Einzelheiten über die Mission mit, nannte Leistungsdaten und so weiter.
»Sie schicken Bilder aus fünf Milliarden Kilometern Entfernung «, sagte jemand zu seiner Rechten. Eine hübsche junge Frau mit langen Beinen, schlanken Fesseln und kurzem Haar, Bubikopf. Jeri Wilson stand auf ihrem Namensschild, sie kam von irgendeiner geologischen Fachzeitschrift. Trauring, aber das mußte nichts bedeuten. Sie war wohl allein. Vielleicht würde sie auch den Rest der Woche dasein.
Die für die Planung Verantwortlichen verließen das Podium, und die Wissenschaftler Brad Smith, Ed Stone und Carl Sagan gingen hinauf, um zu berichten, was die Mission ihrer Ansicht nach an Neuem erbracht hatte. Roger hörte zu und versuchte sich eine interessante Frage zu überlegen. In einer Situation wie dieser kam es darauf an, daß man auffiel, damit man später bekannt war und dann versuchen konnte, ein Exklusivinterview zu bekommen. Spielerisch warf er einige Entwürfe aufs Papier.
»Nicht ein paar Dutzend Ringe – Hunderte! Wir sind immer noch damit beschäftigt, sie zu zählen.« Eine lange Pause. »Manche sind exzentrisch.«
»Was heißt das?« erkundigte sich jemand leise.
Der Science FictionAutor im khakifarbenen Buschhemd antwortete, vermutlich glaubte er zu flüstern: »Die herkömmliche Annahme geht von vollkommenen Kreisen aus, in deren Mittelpunkt Saturn liegt. Jetzt haben sie ein paar Ringe entdeckt, die nicht kreisförmig, sondern elliptisch sind.«
Weitere Wissenschaftler äußerten sich: »… möglicherweise der größte Krater im Sonnensystem, im Verhältnis zum Himmelskörper, auf dem er sich befindet…«
»Es gibt keinen Janus. Wo wir ihn vermuteten, sind zwei Monde, coorbital, das heißt, sie haben dieselbe Umlaufbahn und wechseln bei jedem Durchgang die Plätze. Ja, wir wissen schon seit einer ganzen Weile, daß diese Umlaufbahnen denkbar waren. Es ist eine Standardprüfungsfrage in der Himmelsmechanik. Wir haben nur einfach nie etwas in der Art im Universum gefunden.«
Brooks notierte sich Einzelheiten dazu; sicherlich war es eine Erwähnung wert – Janus, der innerste Mond des Saturn, benannt nach dem doppelgesichtigen römischen Gott der Ein- und Durchgänge.
Er flüsterte das Linda zu, die zustimmend nickte. Auch die Wilson schrieb etwas.
»Die Speichen der Ringe gehen allem Anschein nach auf winzige Teilchen zurück, etwa in der Größe der Wellenlänge des Lichts. Der Prozeß scheint oberhalb des Ringes stattzufinden und nicht in ihm selbst.«
Speichen zwischen den Ringen! Die müßten eigentlich durch die Rotation der Ringe verschwinden, da sich die inneren rascher bewegten als die äußeren, taten es aber nicht. Merkwürdige Neuigkeiten von überall aus dem Saturnsystem. Einige von Brooks’ Kollegen würden die Erklärungen sicher verstehen.