Doch die Pressekonferenz bot weit mehr, als Brooks erwartet hatte. Im Vergleich zu früheren Interviews mit Naturwissenschaftlern fiel ihm hier auf, daß keine Antworten kamen.
»Wir wissen nicht, was das bedeutet.«
»Wir möchten darüber noch nichts sagen.«
»Je mehr Daten wir von Voyager bekommen, desto weniger wissen wir über die Ringe.«
»Wenn wir mit den Zahlen ein bißchen herumspielen, können wir ziemlich genau erklären, warum die Cassinische Teilung so viel größer ist, als sie sein müßte.« Effektvolle Pause. »Natürlich erklärt das nicht die fünf schwach erkennbaren Ringe.«
»Hätte ich eine Liste mit allem aufstellen müssen, was wir keinesfalls zu sehen bekämen, hätten exzentrische Ringe ganz obenan gestanden.«
»Und ineinander verflochtene Ringe, Brad?«
»Völlig undenkbar.«
Brooks hatte den Eindruck, daß alle auf dem Podium glücklich wirkten. Lustig ging es zu. Wenn er nicht über genug Hintergrundwissen verfügte, um das alles zu verstehen, wer dann?
Jemand von der Presse wollte wissen: »Habt ihr noch mehr über die Speichen? Ich hatte gedacht, daß das gegen die Gesetze der Physik verstößt.«
David Morrison von der Universität Hawaii beantwortete das: »Ich bin sicher, daß die Ringe alles richtig machen. Wir verstehen es bloß noch nicht.« Brooks notierte sich den Satz.
»Ich wäre jetzt gern mit dir in einem Motelzimmer«, sagte Roger. Sie spazierten über das Gelände des JPL: Rasen, Springbrunnen, fernöstlich wirkende Steingärten, eine Brücke, alles recht hübsch.
»Das ist viele Jahre her«, sagte Linda, »aus und vorbei.«
»Sicher?«
»Ja, Roger, ganz sicher. Sei lieb. Du hast es versprochen. Ich möchte nicht, daß es mir leid tut, mitgekommen zu sein.«
»Natürlich bin ich lieb«, sagte Roger. »Es ist wirklich schön, dich wiederzusehen. Und ich freue mich, daß du mit Edmund glücklich bist.«
Bin ich das? überlegte Linda. Natürlich, sogar sehr – mit Ed. Nur, wenn er fort ist, und ich mich um alles selbst kümmern muß und die ganze Zeit allein bin und die verdammte romantische Parfumwerbung und all das sehe, werde ich beim Gedanken an Major Edmund Gillespie unglücklich. Ich bin nicht sicher, ob uns die Feministinnen einen Gefallen damit getan haben, daß wir uns jetzt unsere Begierden eingestehen und zugeben, daß wir genauso scharf auf die Sache sind wie die Männer.
Sie lächelte breit.
»Nun?« wollte Roger wissen.
»Nichts.« Nichts, was ich dir sagen würde. Aber es ist schön zu wissen, daß es Gesellschaft gäbe, wenn ich welche wollte…
Das Mittagessen fand in der Kantine des JPL statt. Roger und Linda wurden an den Tisch der Science FictionAutoren gebeten. Die wußten auch nicht mehr als er. Aber das Ganze schien ihnen dennoch richtig Spaß zu machen.
Falls der Saturn Geheimnisse hatte, so gab er sie nicht preis. Sonderbar, daß die Autoren keine vernünftige Erklärung für die seltsamen Bilder mit den ineinander verflochtenen Ringen wußten.
Irgendwann rief Linda zu jemandem hinüber: »Nanu, Wes. Daß du auch hier bist…«
Der Angesprochene war schlank, athletisch gebaut und trug eine ausgebleichte BaseballMütze. Linda stellte ihn den Anwesenden vor. »Wes hat Carlotta geheiratet«, sagte sie zu Roger. »Du erinnerst dich doch an Carlotta Trujillo, meine beste Freundin im College.«
»Klar«, sagte Roger. »Wie geht’s?«
Einer der Autoren sah nachdenklich drein. »Wes Dawson… Bewerben Sie sich nicht um Craig Hosmers Sitz im Repräsentantenhaus?«
»Ja.«
»Wes war schon immer für das Raumfahrtprogramm«, sagte Linda. »Vielleicht gebt ihr Jungs ihm eure Stimme.«
»Ist nicht unser Wahlbezirk«, sagte Wade Curtis. »Aber vielleicht können wir trotzdem helfen. Wir sind immer an Leuten interessiert, die was für die Raumfahrt übrig haben.«
Erst am Spätnachmittag brachte Roger Linda nach Hause.
»Du kannst gern mit reinkommen und meiner Schwester Jenny guten Tag sagen«, lud sie ihn ein. »Erinnerst du dich noch an sie?«
»Na klar. Ich mußte das kleine Biest doch immer schmieren, damit sie uns allein ließ.«
»Nun, inzwischen ist sie ein bißchen gewachsen.« Linda ging voraus und schloß die Haustür auf. Drinnen war es seltsam still. In der Küche hielt ein Magnet in Tomatenform einen Zettel an der Kühlschranktür. Roger las über Lindas Schulter mit.
Linda: Bin rasch zu ‘ner Strandparty in San Diego.
Charlene ist auch mit. Morgen bin ich zurück. Jenny.
Linda runzelte die Stirn.
»Strandparty?« fragte Roger.
»Sie studiert Anthropologie im ersten Jahr, verbringt aber einen großen Teil ihrer Zeit mit Tauchsport, wie auch ihr gegenwärtiger Freund.« Betrübt schüttelte sie den Kopf. »Mutter bringt mich um, wenn sie erfährt, daß ich sie die ganze Nacht über habe weggehen lassen.«
Roger schüttelte den Kopf. »Was, die Göre ist auf dem College? Mein Gott, Linda, die ist doch höchstens – na, fünfzehn?«
»Siebzehn.«
Roger seufzte. »Scheint doch länger her zu sein, als ich dachte.«
»Offenbar. Kaffee?«
»Aber immer.«
Sie machte den Kaffee. Ohne daß Roger ein Wort gesagt oder etwas getan hätte, spürte sie die Schwingungen in der Atmosphäre. Hatte sie das geplant? Unmöglich; sie hatte ja nicht mal gewußt, daß Roger da war. Außerdem hätte sie nicht einmal dann etwas eingefädelt, wenn sie es gewußt hätte, denn so gern sie Roger einmal gehabt hatte, Edmund mochte sie lieber…
Obwohl es lange zurücklag, wußte Linda noch jede Einzelheit. Verwöhnte Studentin an einer bekannten Universität hat ein Verhältnis mit einem Reporter der Washington Post. Ein Wochenende gemeinsam im Häuschen ihrer Eltern in den Bergen. Es war Sommer, und niemand außer ihnen war dort. Herrliches Wetter. Während sie die gewundene Straße emporfuhren, hatte ein merkwürdiges Vorgefühl in der Luft gelegen. Dieses Gefühl hatte sie seither nie wieder gespürt.
Bei Edmund war es anders. Er war älter und viel eindrucksvoller. Kampfflieger. Astronaut. Alles, was einen Helden ausmachte… Alles, nur kein großer Liebhaber… Das ist nicht nett, damit wirst du ihm nicht gerecht.
Als sie Edmund kennenlernte, hatte auch ein Vorgefühl in der Luft gelegen. Es hatte angedauert, solange er um sie warb – und war in der Hochzeitsnacht dahingeschwunden.
Die Kaffeemaschine brauchte nicht beaufsichtigt zu werden. Linda wandte sich um. Roger stand ganz dicht hinter ihr. Es war nicht weit bis in seine Arme.
I. Gemeingefährliche Einzelgänger
1. Die Entdeckung
»Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß, was bleibt, die Wahrheit sein, wie unwahrscheinlich auch immer es sein mag.«
Die üppige tropische Vegetation an der Nordostküste Hawaiis hörte unvermittelt auf. Mit einem Schlag fuhr Jenny durch unfruchtbare Lavafelder; es gab weder Palmen noch Passionsblumen mehr. »Sieht aus wie die Rückseite des Mondes«, sagte sie.
Ihr Begleiter nickte und wies auf die Hänge rechts von ihnen. »Das ist Mauna Loa. Es heißt, daß es schreckliches Unglück bringt, Lava von ihr – für die alten Inselbewohner ist der Vulkan weiblich – mit nach Hause zu nehmen.«
»Wer sagt das?«
»Na ja, eben die alten Inselbewohner. Aber auch überraschend viele Touristen. Sie nehmen das Zeug mit und schicken es dann mit der Post wieder zurück.« Er zuckte die Achseln. »Unglück hin oder her, soweit bekannt ist, hat sie nie ein Leben gefordert.«