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»Hat da nicht eben das Telefon geklingelt?«, sagte Mrs O’Brian verschlafen, als Pippa ins Schlafzimmer kam, um ihr Auf Wiedersehen zu sagen.

»Stimmt. Das war nur Alison, um zu sagen, dass wir uns eine halbe Stunde früher treffen. Ich muss los.«

Sie umarmte ihre Mutter und verließ das Haus. Als sie bei Alison angekommen war, warf sie schnell die Entschuldigung ein und lief zur Bushaltestelle. Es tat ihr leid, dass sie nun nicht an der Klassenfahrt teilnehmen konnte, aber Henry würde bestimmt irgendwelche Dummheiten anstellen, wenn sie sich nicht drum kümmerte.

Henry sah durchgefroren und müde aus, auf seiner Wange klebte Schmutz, den Hunden hingegen schien es bestens zu gehen. Sie begrüßten Pippa entzückt und ihre Schwänze drehten sich dabei wie Windmühlenflügel. Francine hielt Pippa ihre Pfote hin und Honey rieb ihre Schnauze an ihrem Bein.

Pippa öffnete den Rucksack.

»Wir sollten erst einmal was essen«, sagte sie. »Kalte Würstchen sind eigentlich nicht gut für Hunde, aber ich hab nichts Besseres gefunden.«

Die Würstchen hätten gar nicht besser sein können, die fünf Hunde verschlangen sie mit einem Haps. Pippa und Henry teilten sich die Sandwichs. Henry fühlte sich langsam besser. Die Nacht auf dem schmutzigen Boden in dem Bauschuppen hatte ihn ziemlich mitgenommen.

»Wir besorgen uns gleich was Heißes zu trinken«, schlug Pippa vor. »Aber zuerst sollte ich dir wohl lieber sagen, was wirklich mit den Hunden passiert ist. Die sind nämlich nicht abgehauen, ich hab sie freigelassen. Mit Absicht.«

Henry starrte das Mädchen fassungslos an.

»Plötzlich konnte ich es einfach nicht mehr ertragen, wie sie da in ihren Käfigen hockten, während Fleck doch frei war«, erzählte sie weiter. »Ich hab nicht weiter drüber nachgedacht. War natürlich total blöd, schließlich hätte ihnen ja sonst was passieren können. Ist es aber nicht. Sie haben dich gefunden, also ist alles in Ordnung.«

»Nichts ist in Ordnung!«, rief Henry in Panik. »Ich muss weg. Vielleicht kann ich meine Fahrkarte noch umtauschen, aber die Hunde kann ich nicht mitnehmen. Du musst sie wieder zurückbringen.«

»Ich denke gar nicht dran«, sagte Pippa bestimmt und schloss ihren Rucksack. »Das kannst du vergessen.«

Fleck saß wieder auf Henrys Schoß und Henry hielt ihn fest umschlungen.

»In ein paar Stunden bekommen meine Eltern raus, dass ich weggelaufen bin, und dann geht’s los. Aber eins sage ich dir, wenn sie mir Fleck wegnehmen, bringe ich sie um, aber wer will schon seine Eltern umbringen?«

»Denk nicht an deine Eltern«, sagte Pippa. »Was ist mit deinen Großeltern? Zu denen wolltest du doch. Wie sind die so? Versuch mal, sie zu beschreiben.«

Henry suchte nach den passenden Worten. »Sie sind sehr nett und … ruhig, aber man darf sie auch nicht unterschätzen. Sie sind wie … es klingt vielleicht albern, aber sie sind wie Bäume oder Erde … Dinge, die einfach da sind und über die man nicht nachdenkt, die man aber schrecklich vermissen würde, wenn sie weg wären.«

»Und du bist ganz sicher, dass sie dich aufnehmen? Dich und Fleck?«

»Ja. Sie haben immer gemeint, dass ich einen Hund haben sollte. Sie leben an der Küste in Northumberland und haben da ein Haus. Sie werden uns bestimmt nicht zurückschicken, da bin ich ganz sicher.«

Pippa fummelte an der Schnur ihres Rucksacks herum. Otto hatte sich neben sie gesetzt und den Kopf auf ihre Schulter gelegt. »Und was ist mit den anderen?« Sie zeigte auf die vier Hunde, die einträchtig um sie herumsaßen. »Würden sie die auch aufnehmen?«

Das war eine schwere Frage.

»Ich weiß es nicht«, sagte Henry nach einer Weile. »Sie wohnen in einem kleinen Fischerhaus und meine Eltern sagen immer, wie arm sie sind … aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Hunde zu Rent-a-Dog zurückschicken würden, wenn sie wüssten, wie es da zugeht. Ich weiß es wirklich nicht, aber ich glaube nicht, dass sie das täten.«

»Damit wäre das geklärt«, sagte Pippa. »Wir kommen mit. Wir fahren alle nach Northumberland.«

Henry starrte sie an. »Aber wie? Ich hab fast kein Geld mehr und wir können unmöglich alle fünf Hunde in der Bahn mitnehmen.«

»Dann fahren wir eben nicht mit der Bahn. Wir gehen zu Fuß und fahren per Anhalter. Irgendjemand wird uns schon mitnehmen, wirst sehen.« Pippa richtete sich auf. »Sobald die Läden aufmachen, besorgen wir uns eine Landkarte. Aber so schwer kann es auch nicht sein. Eins ist schon mal sicher: Northumberland ist irgendwo im Norden.«

11. Kapitel

Wo ist Henry?

Albina saß neben dem Telefon. Sie war weiß wie die Wand und stieß immer wieder kleine Klagelaute aus. Neben ihr saß Gloria, um ans Telefon zu gehen, für den Fall, dass Albina zur Toilette musste. Geraldine bediente inzwischen in der Küche die Kaffeemaschine.

Die Fentons warteten auf eine Nachricht des Kidnappers, der Henry entführt hatte. Jeden Augenblick konnte das Telefon klingeln und jemand würde ein aberwitzig hohes Lösegeld fordern, sie würden zahlen und Henry käme frei. Donald hatte bereits Tausende von Pfund bar von der Bank holen lassen. Die Banknoten befanden sich in einer Tasche neben der Eingangstür, bewacht von Glenda, sodass man jederzeit damit losfahren und das Geld an den Ort bringen konnte, den der Kidnapper ihnen nennen würde.

Wenn sie nur bereit waren, genug zu zahlen, musste Henry zu ihnen zurückkommen, das sagten sie sich immer wieder vor. Wenn nur genügend Geld da war, würde alles wieder in Ordnung kommen. Selbst in ihrem Kummer und ihrer Sorge um Henry ließen die Fentons nicht von ihrem Glauben ab, dass Geld die Lösung für alle Probleme war.

Vor drei Stunden hatte Albina Joels Eltern angerufen und darum gebeten, dass sie Henry nach Hause schickten, und zu hören bekommen, dass Henry gar nicht bei ihnen gewesen war.

Albinas Entsetzensschrei hatte Donald herbeigerufen und eine halbe Stunde später war bereits die Polizei eingetroffen.

Die Polizisten hatten das ganze Haus durchsucht, in Henrys Zimmer herumgewühlt, Fotos gemacht und Sachen aus dem Badezimmer mitgenommen, um die DNA festzustellen.

Und sie hatten Fragen gestellt, unangenehme Fragen.

»Ist etwas vorgefallen, worüber sich Ihr Sohn aufgeregt hat?«, wollten die Polizisten wissen. »Irgendetwas, das ihn veranlasst haben könnte, wegzulaufen?«

Trotz ihres Kummers waren die Fentons sehr ärgerlich geworden.

»Natürlich nicht«, hatte Albina erwidert. »Henry hat bei uns alles, das ein Junge sich nur wünschen kann.«

»Sie sagten, dass er auf ein Internat kommen sollte. Vielleicht hatte er ja Angst davor?«

»Nein, auf keinen Fall.« Da waren sich Henrys Eltern sicher. »Er hat erst gestern gesagt, wie sehr er sich darauf freut. Und sehen Sie selbst …« Albina zeigte auf den Stapel Spielsachen in Henrys Zimmer. »Er hat wirklich alles. Warum sollte er weglaufen?«

»Ich sag Ihnen doch, der Junge ist entführt worden!«, rief Donald. »Jeder weiß, dass wir wohlhabend sind. Sie müssen in diese Richtung ermitteln. Wir sind bereit, jede Summe zu zahlen. Nach oben gibt es keine Grenze.«

Doch die Polizei bestand darauf, ihre Routineuntersuchung durchzuführen und alle Leute zu befragen, mit denen Henry zu tun gehabt hatte: Joels Eltern, Henrys Schulkameraden, Nachbarn.

»Gibt es Hausangestellte hier?«, fragte der Kommissar.

»Wir hatten ein Mädchen, eine Ausländerin. Aber die weiß bestimmt nichts. Es sei denn, sie steckt mit den Kidnappern unter einer Decke. Sie war ziemlich unverschämt.«

Ein Polizist notierte sich in aller Ruhe Olgas Adresse. Donald geriet außer sich vor Wut.