Henry unterbrach sie, ruhig, aber bestimmt.
»Ich komme nicht nach Hause.«
»Was? Henry, Schätzchen, was sagst du denn da? Henry …« Albina schluchzte ins Telefon, aber ihr Sohn ließ sich auch durch Tränen nicht erweichen. Er dachte noch einmal daran, wie seine Mutter ihn zum Zahnarzt geschickt hatte, um Fleck dann heimlich fortzuschaffen.
»Fleck ist bei mir und ich werde ihn nicht wieder hergeben. Niemals.«
»Nein, nein … natürlich nicht. Es tut mir leid. Alles wird gut, wir haben es ja verstanden.«
»Ihr habt mich ausgetrickst«, sagte Henry. »Ich hab kein Vertrauen mehr zu euch.«
Albina weinte immer noch, aber Henry sah Fleck vor sich, wie er bewusstlos in seinem Käfig lag. »Ich werde euch auch nie mehr vertrauen.«
Er wollte gerade auflegen, als sein Großvater kam und ihm den Hörer aus der Hand nahm.
»Albina, kann ich bitte mit Donald sprechen?«, sagte er. »Ist er da?«
»Ja, er ist da. Was soll ich denn bloß tun?« Albina war immer noch außer sich. »Donald, dein Vater ist am Telefon.«
Donald nahm den Hörer. »Der Junge ist bei euch?«
»Ja, er und Fleck sind wohlbehalten hier angekommen. Aber Henry ist schrecklich erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Lasst ihn noch ein paar Tage hier, damit er sich ausruhen kann, bevor er zu euch zurückkommt.«
»Aber das ist ja lächerlich, du kannst nicht von uns erwarten, dass …«
Donald brach ab. Die Stimme seines Vaters klang anders als sonst. Es war nicht länger die Stimme von jemandem, der beschlossen hat, sich nicht einzumischen. Es war die Stimme seines Vaters, an die er sich aus seiner Kindheit erinnerte.
»Der Junge braucht jetzt Zeit, Donald. Kommt am Ende der Woche her. Und denkt daran: Wenn ihr versucht, ihm den Hund wieder wegzunehmen, dann habt ihr ihn für immer verloren.«
Als Alec in die Küche zurückkam, standen Marnie und die Kinder am Fenster und pressten ihre Nasen an die Scheibe.
»Wir haben sie gesehen«, sagte Pippa schadenfroh. »In einem Polizeiwagen. Den Mülltypen und den anderen mit den zwei Hunden. Und dann war da noch einer dabei, der hat sich hinter den anderen beiden versteckt. Er sah total geschockt aus.«
Pippa sagte die Wahrheit. Milton Sprocket, von der Polizei verhaftet, eingekeilt zwischen Darth und Terminator, durchgefroren, gebissen und entehrt, war tief in seiner Selbstachtung gesunken.
23. Kapitel
Rückkehr im Rolls-Royce
Am nächsten Tag war Henry im Garten und half gerade seinem Großvater beim Unkrautzupfen, als ein riesiges, silberglänzendes Auto auf das Haus zufuhr. Sofort wurde er wütend. Seine Eltern hatten versprochen, nicht vor Ende der Woche zu kommen. Und was noch schlimmer war, sie hatten schon wieder ein neues Auto gekauft, das sie nicht brauchten – einen sündteueren Rolls-Royce.
Der Wagen hielt und ein vornehm aussehender indischer Herr stieg aus, stand eine Weile ruhig da und schaute sich alles an. Dann wurde die Beifahrertür geöffnet und Kayley erschien.
Als sie am Vortag das Gespräch mit Pippa beendet hatte, war sie zu Mrs Naryan gelaufen, bei der ihre Mutter gerade nähte. Jetzt konnte sie Pippa nicht länger schützen, also erzählte Kayley die ganze Wahrheit.
»Ich fahre sie sofort holen. Der Himmel weiß, was sie sonst noch anstellt. Es gibt einen Nachtbus nach Berwick, den erwische ich noch. Meine Ersparnisse müssten gerade so reichen.«
Da erhob Mrs Naryan ihre sanfte Stimme: »Das ist nicht gute Idee. Bus nicht angenehm.«
Sie ging aus dem Zimmer und kehrte mit ihrem Gatten zurück. Mr Naryan war genau wie seine Frau klein und freundlich. Außerdem war er sehr reich. Seit er vor vielen Jahren nach England gekommen war, hatte er ein blühendes Import-Export-Geschäft aufgebaut.
»Ich fahre dich nach Northumberland«, sagte er.
Und auch wenn Kayley und ihre Mutter heftig protestierten, er ließ sich nicht davon abbringen und lächelte nur. »Ich habe einen Geschäftstermin im Norden. Ich hole dich morgen um sechs Uhr ab.« Nun schüttelte er Henrys Großvater die Hand und fuhr dann wieder fort. Er wollte die Nacht in einem Hotel die Küste aufwärts verbringen und würde Kayley und Pippa dann am nächsten Tag abholen.
Die Hunde freuten sich, Kayley zu sehen, sie freuten sich so sehr, dass sie sie fast umwarfen. Und Kayley streichelte sie und sprach mit ihnen, wie nur sie es verstand.
Die Begrüßung der beiden Schwestern fiel sehr viel weniger herzlich aus.
»Komm mit nach draußen«, sagte Kayley zu Pippa, nachdem sie sich Henrys Großeltern vorgestellt hatte.
Während sie über den Strand zum Ufer gingen, hielt Kayley Pippa eine ordentliche Standpauke.
»Du musst wahnsinnig geworden sein. Die Polizei war da und die Carkers haben Gift und Galle gespuckt. Ich hab gedacht, du hättest nur vergessen, die Alarmanlage einzuschalten, aber dass du die Hunde absichtlich rausgelassen hast …«
»Ich weiß«, sagte Pippa. »Aber ich hab einfach nur rotgesehen. Sie haben so traurig ausgeschaut, als Henry mit Fleck gegangen war … ich konnte es nicht ertragen.«
»Das ist ja alles gut und schön, aber was machen wir jetzt? Bei Henrys Großeltern können sie unmöglich bleiben. Was soll denn aus ihnen werden? Wenn wir sie zu Rent-a-Dog zurückbringen, kommt heraus, dass du es warst und …«
»Das können wir nicht!«, unterbrach sie Pippa. »Wir können sie auf gar keinen Fall zurückbringen und in diese grässlichen Käfige sperren.«
»Und wo willst du ein Zuhause für sie finden?«
Pippa schaute nachdenklich die vier Hunde an, die ihnen zum Strand gefolgt waren.
»Sie haben ihr Zuhause bereits gefunden, Kayley. Alle vier. Sie sind nur mit hergekommen, um zu sehen, ob Fleck auch in Sicherheit ist. Sie haben jeder ein Heim und eine Arbeit und einen Herrn gefunden.«
»Was meinst du damit?«, fragte Kayley.
Und Pippa erzählte es ihr.
Am nächsten Morgen fuhren sie sehr früh ab. Mr Naryan war Buddhist und es störte ihn überhaupt nicht, seinen Rolls-Royce mit lauter Hunden zu teilen. Buddha sah jedes Lebewesen als heilig an und so machte es für Mr Naryan auch keinen Unterschied, ob sich nun ein Geschäftsmann oder ein Bernhardiner auf den makellosen cremefarbenen Sitzen niederließ.
Fleck hatte sich ausgiebig von Otto, Honey, Francine und Li-Chee verabschiedet. Doch der kleine Mischling war deswegen nicht etwa traurig. Er hatte sofort begriffen, dass Henry und er zu diesem Haus am Meer gehörten, und als die anderen in Mr Naryans Wagen stiegen, drehte er sich um, lief zurück in die Küche und ließ sich zufrieden neben der alten Meg vor dem Kamin nieder.
Für Henry war der Abschied nicht ganz so leicht. Pippa und er kannten sich zwar noch nicht sehr lange, doch die gemeinsamen Abenteuer hatten sie zusammengeschweißt. Pippa konnte er immerhin schreiben und sie anrufen, doch sich von den Hunden zu trennen fiel ihm schwer.
Kayley tröstete ihn.
»Du wirst sie wiedersehen, Henry. Wenn du mit jemandem so viel durchgemacht hast, egal ob mit einem Menschen oder mit einem Hund, dann verschwindet er nie ganz aus deinem Leben.«
Zuerst fuhren sie zum Kloster. Als der Wagen langsamer wurde, stieß Otto wehklagende Laute aus und presste seine Schnauze an die Scheibe. Sie hielten vor dem Eingang und ließen ihn heraus. Pippa und Kayley begleiteten ihn zum Tor. Pippa streckte die Hand aus, um am Glockenstrang zu ziehen, da öffnete sich schon die Tür und Bruder Malcolm stand da und hieß sie mit einem Lächeln willkommen.
Doch nun verlief alles anders als geplant. Pippa hatte erwartet, dass Otto sofort die Treppe hinauflaufen würde, aber stattdessen machte er kehrt und galoppierte um das Kloster herum.
»Er ist im Garten«, sagte Bruder Malcolm.
»Wir schauen wohl besser nach ihm«, sagte Kayley.