Henrys Eltern waren vor einer Stunde angekommen. Henry hatte sich nicht dagegen gewehrt, dass sie ihn umarmten, aber nur aus Höflichkeit.
Sobald Fleck Albina gesehen hatte, knurrte er ängstlich und verschwand unter dem Sofa.
»Gib’s auf«, sagte Henry zu seiner Mutter. »Er wird nie vergessen, was du gemacht hast.«
»Kannst du ihn nicht dazu bringen, herauszukommen?«, bat Albina.
»Nein, und selbst wenn, würde ich es nicht tun.«
Donald war mit Henrys Großeltern am Strand, um sich das Boot anzuschauen, und Henry war mit seiner Mutter allein im Haus.
Albina versuchte es noch einmal. Marnie hatte ihr einen Knochen gegeben und sie schwenkte ihn vor dem Sofa hin und her, doch Fleck reagierte nicht.
Dann fuhr sie mit der Hand unter das Sofa und zog sie mit einem Schrei zurück, denn Fleck hatte sie in den Finger gebissen.
»Was soll ich denn machen?«, jammerte sie, als sie sich erhob. »Guck dir meine Strümpfe an, die sind hin. Und mein Rock erst.« Sie setzte sich an den Küchentisch, ließ ihren Kopf auf ihre Hände fallen und begann jämmerlich zu schluchzen.
Henry, der ihr gegenübersaß, ließ sie einfach weinen. Doch dann geschah etwas Schreckliches. Die Wut auf seine Eltern wurde schwächer und schwächer. Fast vermisste er diese Wut, die ihn zu diesem Abenteuer angetrieben hatte. Aber er konnte nichts dagegen machen, sie war weg. Seine Mutter hatte etwas sehr Böses getan, sie war nicht die Schlaueste und sah die Dinge oft falsch, aber schließlich und endlich war sie seine Mutter.
Er legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Ist ja gut«, sagte er. »Es ist vorbei. Alles ist gut.«
Und da kam auch Fleck unter dem Sofa hervor und trottete zum Tisch. Anscheinend war jetzt Verzeihen angesagt. Er ließ sich zwischen Albina und Henry nieder, gähnte und schlief ein.
Später am Tag machte Henry einen Spaziergang mit seinem Vater in den Dünen. Die schreckliche Woche, in der er nicht wusste, ob sein Sohn tot oder lebendig war, hatte Donald Fenton verändert. Durch die Liebe Henrys zu seinen Großeltern begann auch Donald sein altes Zuhause wieder so zu sehen, wie er es als Junge gesehen hatte. Er rümpfte nicht länger die Nase über das schäbige Haus oder das alte Boot mit dem launischen Motor. Er hatte seinem Vater geholfen, die Hummerfallen auszuleeren und die Pumpe auf dem Boot zu reparieren. Was ihm nun hinter dem Ohr steckte, war ein Schraubenzieher und kein Headset, das ihn mit New York verband.
»Dir gefällt es hier, nicht wahr?«, fragte er seinen Sohn.
»O ja, und Fleck gefällt es auch.«
Donald seufzte. Fleck würde bleiben, aber das machte die Dinge nicht einfacher.
»Und was ist mit Okelands? Es war nicht leicht, dich da unterzubringen.«
»Ich gehe auf kein Internat«, sagte Henry. »Ich hab euch doch gesagt, dass ich mich nie von Fleck trennen werde. Am liebsten würde ich hier bei meinen Großeltern leben. In Seaville gibt es eine Schule.«
»Ich weiß, ich bin dort sieben Jahre lang hingegangen.«
Henry sah zu seinem Vater hoch, der schaute hinaus aufs Meer und sah ernst aus – oder traurig?
»Es gefällt dir hier also besser als bei uns? Besser als in deinem Zuhause?«, fragte Donald und Henry hörte die Verletztheit in seiner Stimme.
»Es ist ja nicht so, dass ich nie wieder nach Hause will«, sagte Henry. Er dachte an das blonde Mädchen im Park und an seinen Schulfreund Joel, und dann war da natürlich auch Pippa. Und seine Eltern, die so viel falsch gemacht hatten und sich jetzt Mühe geben wollten, es besser zu machen.
»Könnte ich nicht noch einen Monat hierbleiben? Dann hätte ich genug Zeit, um Fleck abzurichten.«
Donald lächelte erleichtert. Es würde keinen Kampf geben, Henry würde nach Hause kommen.
»Warum nicht?«, sagte er. »Wenn ich dich dann abholen komme, bleibe ich ein paar Tage. Es ist höchste Zeit, dass ich mal ausspanne.«
Aber Menschen ändern sich nicht vollständig, sosehr sie sich auch Mühe geben mögen.
»Ich möchte dir was wirklich Schönes schenken, Henry. Du darfst dir was wünschen, egal, was es kostet.«
»Alles, was ich mir je gewünscht habe, war ein Hund«, sagte Henry.
Doch als er sah, wie sich das Gesicht seines Vaters verdüsterte, hatte er eine Idee.
»Es gibt da etwas, das ich mir wünsche. Sehr sogar. Aber nicht für mich. Es ist für Pippas Familie. Ohne Pippa wäre ich nie bis hierher gekommen. Wenn du der Familie helfen könntest, dann könnten sie sich vielleicht etwas Eigenes aufbauen und Kayley müsste nicht länger für Mr Carker arbeiten. Er ist grässlich. Aber sie dürften nie erfahren, von wem das Geld kommt. Wäre das möglich?«
Donald nickte.
»Schon erledigt«, sagte er und sie kehrten zurück zum Haus.
25. Kapitel
Ein Zuhause für Queen Tilly
Kayley saß in ihrem Büro von Rent-a-Dog. Seit sieben Uhr morgens prüfte sie eine Liste mit Namen und war völlig erschöpft. Eine Woche nachdem sie Pippa aus Northumberland zurückgeholt hatte, war sie ganz normal zur Arbeit erschienen und musste feststellen, dass die Carkers fort waren. Sie hatten die verschwundenen Hunde so hoch versichert, dass das Finanzamt aufmerksam geworden war und sich Rent-a-Dog genauer angeschaut hatte. Dabei stellte sich heraus, dass die Carkers jahrelang Steuern hinterzogen hatten.
Also war das reizende Pärchen nach Spanien geflohen, die Hunde blieben ohne Futter und Kayley ohne Lohn.
Glücklicherweise hatte eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich um Tiere in Not kümmerte, Kayley dabei geholfen, neue Besitzer für die Hunde zu finden. Das war auch nicht weiter schwer, denn die Hunde von Rent-a-Dog waren Rassehunde und außerdem gut gepflegt, sodass viele Leute kamen, um sich einen auszusuchen. Kayley hatte jedoch darauf bestanden, sich jedes einzelne Zuhause anzuschauen, ob es auch geeignet war für die Hunde, um die sie sich so lange gekümmert hatte. Nun musste sie nur noch einmal die Liste mit all den Namen der neuen Besitzer durchgehen und ihre Arbeit war beendet.
Nun ja, fast beendet. Alle Hunde waren glücklich vermittelt worden, alle bis auf einen. Niemand hatte Queen Tilly haben wollen. Sie hockte auf ihrer Wärmflasche und kreischte und zuckte und war sehr schlecht gelaunt. Sie war der einzige Hund in dem riesigen Gebäude, in dem noch vor einer Woche so viel Leben herrschte.
»Was, um alles in der Welt, soll ich denn bloß mit dir machen?«, fragte Kayley sie.
Wenn nicht ihr Vermieter gewesen wäre, der alle Haustiere verbot, hätte sie Queen Tilly mit zu sich genommen. Sie hatte sogar mit einem hässlichen und unangenehmen Hund wie diesem Mitleid.
Kayley stand gerade vor Queen Tillys Käfig, als es an der Tür läutete.
Draußen vor dem Eingang stand ein ziemlich verloren aussehender junger Mann.
»Mein Name ist Sprocket«, sagte er.
Sprocket hatte einiges mitmachen müssen, seit er Darth und Terminator über das Moor gefolgt war und in einem Polizeiwagen landete.
Es war schon schlimm genug für einen Detektiv, in die Hände der Polizei zu fallen, aber noch schlimmer war es gewesen, mit den zwei Hunden eingepfercht zu sein.
Darth und Terminator zeigten nur zu deutlich, dass Otto sie zwar aufgehalten hatte, dass sie aber immer noch Killermaschinen waren. Und jedes Mal, wenn Sprocket versuchte, eins seiner eingeschlafenen Glieder zu lockern, zeigten sie ihm ihre schrecklichen Zähne und ließen ein bedrohliches Grollen hören.
Obwohl Sprocket schnell wieder freigelassen worden war und in seinem Lieferwagen zurück nach London fahren konnte, hatte er ein schlimmes Trauma zurückbehalten.
Er hatte von Stund an nicht nur Angst vor gefährlichen Hunden, sondern vor allen. Selbst wenn er einen Hund auf der anderen Straßenseite sah, bekam er Panik und zitterte am ganzen Leib.
Für einen Detektiv ist das natürlich äußerst unpraktisch. Wenn ein Mann nicht nur einen falschen Bart trägt, sondern dabei auch noch zittert wie Espenlaub, erregt das ganz bestimmt Aufsehen. Was nun Sprockets tragische Reimblockade betraf, so war dagegen kein Kraut gewachsen, aber vielleicht konnte er jemanden finden, der ihm half, seine Angst vor Hunden zu überwinden. Also hatte Sprocket einen Arzt aufgesucht, der hatte ihn zu einem anderen geschickt und der hatte ihm gesagt, die einzige Lösung wäre, sich selbst einen Hund anzuschaffen.