In dem Käfig gegenüber von Otto, Francine und Li-Chee saß eine Colliehündin. Honey war sehr schön mit ihrem langen seidigen Behang in schwarz, weiß und sandfarben und den sanften vertrauensvollen Augen. Trotzdem war sie schwer zu vermitteln, weil immer und ständig der Hütehund in ihr durchkam. Da es aber in London keine Schafe gab, trieb Honey alles Mögliche zusammen. Einmal hatte sie eine ganze Kindergartenschar in einen Konzertpavillon gescheucht oder ein Dutzend quakende Enten in einem Bushäuschen festgehalten.
Bevor sie zu Rent-a-Dog kam, war Honey eine gut ausgebildete Hütehündin gewesen, aber der Bauer, dem sie gehörte, hatte seinen Hof aufgeben und Honey verkaufen müssen. Alle Hunde leiden darunter, wenn sie nicht mehr nützlich sein können, aber für einen Collie ist das Fehlen von Arbeit eine Katastrophe. Die anderen Hunde machten sich Sorgen. Mr Carker wurde nämlich jedes Mal sehr ärgerlich, wenn Honey früher als geplant zurückgebracht wurde. Alle wussten, was mit Hunden geschah, die Mr Carkers Unwillen erregten, sie verschwanden von einem Tag auf den anderen und waren nicht mehr gesehen.
Die letzte Bewohnerin von Raum A war Queen Tilly. Sie lag die meiste Zeit auf einem Kissen mit einer Wärmflasche unter dem Bauch. Bei Queen Tilly handelte es sich um einen mexikanischen Nackthund, eine besonders hässliche Rasse mit haarloser, fleckiger Haut und stockdürren Beinchen. Mexikanische Nackthunde sind äußerst selten und die meisten von ihnen sind nett, wenn auch sehr empfindlich, ständig zittern sie vor Kälte. Queen Tilly zitterte zwar auch, aber sie war alles andere als nett. Bevor sie zu Rent-a-dog kam, hatte sie einer reichen Erbin gehört und von silbernen Tellern gegessen und auf den seidenen Kissen ihres Frauchens geschlafen und nun war ihr alles nicht gut genug.
Zuerst hatten die anderen Hunde versucht, freundlich zu ihr zu sein, aber Queen Tilly schüttelte nur unwillig den Kopf und gähnte. Sie reagierte nur, wenn ihre Wärmflasche kalt wurde, dann jaulte und quiekte sie, bis Kayley erschien und sie wieder mit heißem Wasser füllte. Sie war von allen Leihhunden der teuerste, aber eigentlich keinen Penny wert.
Es gab noch einen Käfig in Raum A, aber der war zurzeit leer.
Es hatte aufgehört zu regnen und Otto, dessen Käfig am Fenster stand, konnte sehen, wie die Leute ihre Schirme zusammenklappten, und das bedeutete, dass bald Kundschaft erscheinen würde. Er setzte sich in Positur und die anderen Hunde folgten seinem Beispiel.
Um zehn Uhr führte Kayley eine Dame herein, die einen eleganten schwarzen Rock und eine lila Bluse trug. Ihre Absätze waren so hoch, dass sie wie auf Stelzen ging.
»Ich glaube, Francine ist die Richtige für Sie«, sagte Kayley und ging zu dem Käfig mit der Pudeldame. »Sie ist eine besonders intelligente Hündin und außerdem an Restaurantbesuche gewöhnt.«
»Sie passt auf jeden Fall zu meinem Outfit«, sagte die Dame. »Es ist ein wenig heikel, müssen Sie wissen. Ich habe gestern Abend auf einer Party einen interessanten Mann kennengelernt. Er erzählte mir, er würde Hunde lieben, also hab ich gesagt, ich fände Hunde ebenfalls großartig, und da hat er mich zum Essen eingeladen. Jetzt hab ich gedacht, ich nehme einen Hund mit und tue so, als wäre es meiner. Eine gute Idee, finden Sie nicht?«
Nein, das fand Kayley ganz und gar nicht. Sie hielt es für eine absolut idiotische Idee, aber sie war an die verrückten Einfälle der Kunden gewöhnt, also lächelte sie nur und streichelte Francines Kopf durch die Gitterstäbe des Käfigs.
»Bestimmt könnte ich bei Ihnen auch einen kleineren Hund bekommen, aber den müsste ich dann womöglich auf den Schoß nehmen und hätte überall Hundehaare oder ein Kellner würde aus Versehen auf ihn drauftreten.«
»Francine wird Ihnen gefallen«, sagte Kayley noch einmal. »Sie ist daran gewöhnt, unter dem Tisch zu liegen. Es gibt da nur eins: Francine ist sehr musikalisch, wenn es sich um ein Restaurant mit Livemusik handelt, wird sie sehr unruhig, vor allem wenn ein Walzer gespielt wird.«
Aber die Dame sagte, dass es ein sehr teures Restaurant wäre, in dem die Gäste nur ganz leise miteinander sprechen würden, gewöhnlich übers Essen.
Francine wurde weggebracht, um ein mit Kristallen besetztes Halsband zu bekommen, außerdem wurde ihre Schleife ausgetauscht gegen eine, die besser mit der Bluse der Dame harmonierte. Und dann gingen die beiden miteinander fort.
Als Francine bereits eine Stunde weg war, erschien eine dünne, ängstlich aussehende Frau, um einen besonders großen Hund auszuleihen, denn sie wollte ihren Sohn besuchen, der in einem Teil der Stadt lebte, in dem es viele Ausländer und arme Leute gab. Sie befürchtete, überfallen zu werden.
Kayley, die selbst in einem solchen Viertel lebte, lag es auf der Zunge zu sagen, dass Menschen, nur weil sie arm oder fremder Herkunft waren, nicht deswegen häufiger alte Damen überfielen, aber sie wollte, dass jemand mit Otto Gassi ging, also schwieg sie und holte seine Leine und sein Halsband.
Auch ein paar Hunde aus den anderen Zimmern wurden ausgeliehen, nur nicht Honey oder Li-Chee, die den Nachmittag in ihren Käfigen verdösten, während Queen Tilly eine Körpermassage mit Olivenöl erhielt, weil ihre hässliche Haut schuppte.
Am nächsten Tag kam eine alte Dame, die den Pekinesen zu einer noch älteren Dame mitnehmen wollte, aber dieser Besuch war eine einzige Enttäuschung.
Im Prinzip ist gegen alte Damen nichts einzuwenden, aber wenn deine Vorfahren dazu erzogen wurden, auf den Sätteln der Kaiser zu sitzen, wenn diese in den Krieg zogen, hat man wenig Lust zu hören, dass man ein süßes kleines Hündchen sei. Und obwohl bisher noch keiner der Hunde von Rent-a-Dog jemanden gebissen hatte, knurrte Li-Chee und zeigte seine spitzen Zähne. Die alte Dame brachte ihn auch ziemlich schnell zurück.
Honey wurde von einem Mann ausgeliehen, der als kleiner Junge sämtliche Lassie-Filme gesehen hatte. Er wollte sich mit ihr vor seinem Haus fotografieren lassen.
Francine wurde noch einmal von der eleganten Dame abgeholt, die ihrer Partybekanntschaft weisgemacht hatte, der Pudel gehöre ihr.
Alles war wie immer, doch am Tag darauf geschah etwas Ungewöhnliches.
Als Kayley am Morgen mit den Futtereimern zu den Hunden kam und ihnen Guten Morgen sagte, war sie nicht allein. Neben ihr trottete mit einem provisorischen Halsband und einer Schnur als Leine ein Hund.
Ein Hund, dessen Rasse keiner kannte. Er war weiß mit einem braunen Fleck über einem Ohr und einem zweiten braunen Fleck auf dem Schwanz. Nicht größer als ein Foxterrier, aber mit den fledermausartigen Ohren eines Corgi, wohingegen sein heftig wedelnder Schwanz eher dem eines Beagles glich. Der Hund war etwas, das noch niemand bei Rent-a-Dog je gesehen hatte: ein Mischling.
Kayley ließ ihn von der Leine und er stürzte sich munter und vergnügt auf den nächstbesten Hund, das war glücklicherweise Otto. Für den Mischling war es so, als habe man ihm dreißig neue Freunde zum Geschenk gemacht, und er wusste nicht, ob er vor Begeisterung bellen, hin- und herrollen oder sich auf den Rücken werfen und die Beine in die Luft strecken sollte, also machte er alles gleichzeitig.
Kayley nahm Otto und Francine beiseite und sagte zu ihnen: »Seid bitte nett zu ihm.«
Kayley sprach immer mit den Hunden, als wären es Menschen, und natürlich wurde sie von ihnen auch verstanden.
»Er ist ein Streuner. Ich hab ihn letzte Nacht bei uns vor dem Haus gefunden und er scheint niemandem zu gehören.«
Kayley lebte mit ihrer Familie in einem kleinen Haus in Tottenham. Kayleys Familie hatte wenig Geld und der Hausbesitzer war ein schrecklicher Mann, der es ihnen niemals erlauben würde, einen Hund zu halten. Als sie am Abend Essen von einem Imbiss holen wollte, hatte das kleine Wesen völlig durchnässt und vor Kälte zitternd auf der Treppe gehockt.