Insgeheim wünschte Geary, er könnte ein Geschwader aus dem Hut zaubern, das aus einem Versteck hervorgeschossen kam, um die Spitze der Syndik-Formation zu zerschlagen. Doch da waren kein Geschwader und auch kein Versteck, und wenn er den Verfolgern ein Schiff entgegenschickte, um die Syndiks aufzuhalten, dann würde dieses Schiff keine Chance mehr haben, sich in Sicherheit zu bringen, bevor der Pulk der Flotte eintraf.
Geary verfolgte aufmerksam mit, wie die Schiffe und ihre Richtungsvektoren über das Display wanderten. Er musste sich das Ergebnis nicht erst berechnen lassen, die Erfahrung gab ihm die Antwort, während die Minuten quälend langsam verstrichen. »Die Abfangjäger der Syndiks sind zu schnell. Die Titan wird noch vor Erreichen des Sprungpunkts in deren Feuerreichweite geraten.«
Desjani nickte. »Das sehe ich auch so.«
»Können die Begleitschiffe sie aufhalten?«
Sie überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. »Nicht mit den Heckwaffen. Dafür müssten sie wenden.«
»Und dann sind sie verloren.« Vielleicht muss ich diesen Befehl geben.
Ich möchte keines dieser Schiffe und keine Crew verlieren, aber wenn ich zwischen ihnen und der Titan wählen muss… Wir brauchen die Titan, wenn wir eine Chance haben wollen, nach Hause zu gelangen…
Wieder nickte Captain Desjani. »Wir könnten die Titan aufgeben und versuchen, wenigstens einen Teil der Crew zu retten.«
»Wir brauchen dieses Schiff.«
Desjani zögerte, schließlich nickte sie ein drittes Mal. »Ja.«
»Dann können wir sie nicht aufgeben.« Desjani warf ihm einen besorgten Blick zu. Überlegen Sie, wie der legendäre Black Jack Geary sich aus der Situation retten würde? Wenn Ihnen die Antwort einfällt, dann lassen Sie sie mich wissen. Wie wäre es, wenn wir der Titan etwas Entlas-tung verschaffen? Mit finsterer Miene studierte er wieder das Display und suchte nach einer Möglichkeit, sich über die Gesetze der Physik hinwegzusetzen, doch so sehr er sich auch bemühte, ihm wollte immer nur eine einzige Antwort einfallen.
Er musste mindestens ein Schiff für ein anderes aufgeben. Entweder ein Geschwader aus leichteren Schiffen oder ein einzelnes Schiff, das es allein mit der heraneilenden Vorhut aufnehmen konnte und das nicht so »wichtig« war wie die Titan. Die Dauntless kann ich da-für nicht nehmen. Wäre es nicht eine Erleichterung, wenn ich das könnte?
Ein weiteres letztes Gefecht, und diesmal würde es garantiert vorbei sein.
Nicht mehr die Last des Kommandos, keine Heerscharen von Leuten, die mich voller Verzweiflung ansehen, weil ich ihre letzte Hoffnung bin. Kein Schicksal der Allianz mehr, das auf meinen Schultern lastet, kein Wort mehr über Black Jack Geary, den Helden der Allianz. Aber das geht nicht.
Der Schlüssel befindet sich an Bord. Ich habe ein Versprechen gegeben.
Doch selbst ohne dieses Versprechen könnte ich nicht all diese Menschen einfach im Stich lassen. Nur… welches Schiff soll ich opfern? Wen schicke ich in den sicheren Tod? Er ging die Namen der Schiffe durch und versuchte, eine Entscheidung zu treffen, die er mehr hasste als alles andere.
Plötzlich fiel ihm etwas auf. »Was ist mit der Repulse? Sie fällt zu-rück!«
Desjani gab ihrer Crew ein Zeichen und wartete auf die Antwort.
»Ich höre, die Repulse hat die Flotte darüber informiert, dass sie eigenständig handeln wird.«
»Was? Verbinden Sie mich sofort mit dem Kommandanten.« Die Repulse war nur dreißig Lichtsekunden entfernt, sodass es gerade einmal eine Minute dauerte, bis die Antwort eintraf. Auf dem Display vor Geary tauchte das bereits vertraute Gesicht des Kommandanten der Repulse auf. »Was soll das?«, fuhr Geary ihn ohne Vorre-de an. »Wenn Sie nicht sofort wieder Fahrt aufnehmen, werden die Syndik-Schiffe Sie überholen. Kehren Sie augenblicklich in die Formation zurück!«
Anstelle einer Antwort grinste Commander Michael Geary ihn eine Minute später nur triumphierend an. »Du hast es verbockt, Großonkel Black Jack. Das ist dir doch klar, oder? Die Titan steckt in Schwierigkeiten. Cresida ist kein schlechter Offizier, aber sie ist nicht so gut, wie sie gerne selbst von sich glaubt. Außerdem kann sie ziemlich hitzköpfig sein und handeln, ohne vorher nachzudenken. Du hättest dich mit ihrem Plan gründlicher befassen sollen.
Man braucht eine Weile, ehe man merkt, was für ein lahmer Kahn die Titan ist. Wenn sie gerettet werden soll, gibt es nur eine Lösung.«
Geary versuchte mit den Fingerspitzen den Schmerz zu verdrängen, der sich in seinen Schläfen festzusetzen begann. »Ich weiß, dass die Titan in Schwierigkeiten ist. Ich weiß auch, wir müssen etwas unternehmen. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, um das zu tun.«
Wieder verstrich eine Minute, in der die verfolgenden Syndiks näher kamen. Geary beobachtete sie und war gegen seinen Willen davon beeindruckt, zu welcher Beschleunigung diese modernen Kriegsschiffe in der Lage waren.
Der befehlshabende Offizier der Repulse schüttelte den Kopf. »Alle Möglichkeiten laufen auf das Gleiche hinaus. Das weißt du so gut wie ich. Ich werde dir einen großen Gefallen tun, Großonkel Black Jack, indem ich dir die Entscheidung abnehme, wer sterben soll und wer leben darf. Die Repulse befindet sich nahe der Linie zwischen der Titan und den vordersten Syndik-Schiffen. Mein Schiff ist in einer guten Position, und es verfügt über die notwendige Feuerkraft.
Außerdem ist unser Hauptantrieb beschädigt, und so sehr, wie wir ihn im Augenblick belasten, kann er ohnehin jeden Moment ausfal-len. Wir würden also möglicherweise ohnehin nicht der Flotte folgen können. Beruhigt dich das ein wenig?«
Geary fühlte wieder die eisige Kälte in sich aufsteigen, doch ihm fiel nur ein Wort ein, das er darauf sagen konnte. »Nein.«
Der Kommandant der Repulse grinste noch breiter, sodass es bereits ein wenig grotesk auszusehen begann. »Durch deinen Fehler werde ich endlich in die Lage versetzt, dem Vermächtnis von Black Jack Geary gerecht zu werden! Mein Schiff hält die gesamte Syndik-Flotte auf! Meine Vorfahren… Unsere Vorfahren werden stolz auf mich sein. Was glaubst du, wie lange mein Schiff durchhalten wird, Großonkel Black Jack?«
Fast hätte Geary laut gefaucht, so frustriert war er über diese Entwicklung. Seinetwegen würden sie ein Schiff verlieren. Mindestens ein Schiff, denn wenn die Repulse den Feind nicht lange genug aufhalten konnte, dann würde die Titan es nach wie vor nicht bis zum Sprungpunkt schaffen. Es sei denn, Geary stellte weitere Schiffe zu ihrem Schutz ab. Und dieser Mann, der die einzige Verbindung zu seinem toten Bruder darstellte, konnte nicht mal jetzt seinen Zorn vergessen. »Halte sie auf, solange du kannst. Die werden versuchen, ein paar Schiffe an dir vorbeizuschleusen.«
Eine Minute später schüttelte Michael Geary einmal mehr den Kopf. »Das wird ihnen nicht gelingen. Wenn sie es versuchen, habe ich freie Schusslinie auf ihre Flanken.« Schließlich hörte er auf zu grinsen. »Das ist nicht so leicht, nicht wahr? Ich kann das jetzt ein wenig nachvollziehen. Ich habe das wirklich nicht gewollt. Aber man tut, was man tun muss, und es hängt von den Vorfahren ab, wie es letztlich ausgeht. Man muss einfach… Die Syndiks werden alle Besatzungsmitglieder gefangen nehmen, die die Repulse verlassen, bevor sie stirbt. Ich weiß, du kannst nicht warten und sie an Bord holen. Aber versprich mir, dass du eines Tages versuchen wirst, sie aus den Arbeitslagern der Syndiks zu befreien. Vergiss sie nicht.«