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Geary betrachtete die Anzeige und fühlte, wie aus den Wänden ringsum Kälte auf ihn überzuspringen schien, während er sich vor-stellte, dass er Jahrzehnte in seiner Rettungskapsel durch ein System getrieben war, in dem es nichts gab außer den Trümmern eines Krieges. »Aber Sie sind dort durchgeflogen.«

»Ja. Wir mussten in ein System der Syndiks springen, in dem eines ihrer Hypernet-Portale existiert, und Grendel war dafür der ideale Ausgangspunkt. Abgeschieden, ruhig, leer.« Mit einem Finger ging sie durch die Darstellung des einzelnen Sterns. »Unsere Sensoren sind inzwischen leistungsfähiger und empfindlicher. Sie registrierten die Energie, mit der Ihre Rettungskapsel betrieben wurde, und nahmen die abgestrahlte Wärme wahr. Es hätte ein Energieleck von einer Spionagedrohne der Syndiks sein können, deshalb gingen wir der Entdeckung nach.« Sie schürzte die Lippen. »Die Flottenärzte schätzten, dass Sie nur noch ein paar Jahre in der Kapsel hätten zubringen können, bevor die Energie aufgebraucht gewesen wäre.«

Die Kälte drang in ihn ein und drohte, den Atem in seiner Luftröh-re gefrieren zu lassen. »Davon wusste ich nichts.«

»Die Kapseln sind nicht dafür ausgelegt, einen Menschen so lange am Leben zu erhalten. Der einzige Grund für Ihr Überleben ist der, dass Sie allein an Bord waren. Schon ein zweiter Überlebender hätte genügt, um die Energiereserven in kürzester Zeit aufzubrauchen.«

»Ich Glückspilz.«

Sie sah ihn wieder an. »Viele sind der Ansicht, dass das mit Glück nichts zu tun hatte, Captain Geary. Unglaublich viele Dinge mussten zusammenwirken, damit Sie genau zu dem Zeitpunkt auf dieses Kriegsschiff gebracht wurden, als die Allianz Sie am nötigsten hatte.

Als wir Sie am nötigsten hatten.«

Wunderbar. Ein Beweis mehr für die Gläubigen, dass mich die lebenden Sterne geschickt haben um… ja, um was eigentlich zu tun? Erwarten sie von mir »nur«, dass ich diese Flotte in Sicherheit bringe, oder ist das bloß der Anfang ihrer Träume?

Wie soll ich ihnen sagen, dass ich nichts weiter bin als ein fehlbarer Mensch, dem das Schicksal ein paar gemeine Schläge ausgeteilt hat? Und wie werden sie reagieren?

Ihm fiel auf, dass sie ihn mit Sorge betrachtete. »Was ist? Stimmt etwas nicht?«

»Nein, nein! Es ist nur… Sie haben so lange Zeit dagesessen, ge-schwiegen und vor sich hingestarrt. Deswegen war ich ein wenig besorgt.«

Die letzte Dosis Medikamente musste in ihrer Wirkung nachlas-sen, oder die jüngsten Ereignisse hatten ihn stärker mitgenommen, als es die Medikamente ausgleichen konnten. »Ich glaube, ich brauche etwas Ruhe.«

»Nichts spricht dagegen, dass Sie sich ausruhen. Wir verbringen drei Wochen im Sprungraum, bis wir Corvus erreichen. Genug Zeit, damit Sie sich erholen können.« Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Die Flottenärzte wollen Sie so bald wie möglich sehen. Das sollte ich Ihnen eigentlich sagen.«

Ich möchte wetten, dass sie mich sehen wollen. Gehe ich ihnen besser aus dem Weg, oder begebe ich mich zu ihnen? »Danke. Und danke auch für alles andere, Tanya. Ich bin froh, auf der Dauntless zu sein.«

Es war erstaunlich, wie sehr sich Captain Desjanis Gesichtszüge veränderten, wenn sie lächelte. »Die Freude ist ganz meinerseits, Captain Geary.«

Nachdem sie gegangen war, saß er eine Weile da und konnte weder die geistige noch die körperliche Kraft aufbringen, um überhaupt irgendetwas zu tun. Drei Wochen bis Corvus. Keine allzu lange Zeit, aber eine Ewigkeit für die Schiffe einer Flotte, deren Überleben vor Kurzem auf gerade einmal eine Stunde begrenzt schien.

Irgendwann war das Bettzeug ausgetauscht worden, womit Geary das Dilemma erspart blieb, entweder um Hilfe zu bitten, damit man ihm neues Bettzeug brachte, oder in Admiral Blochs Bett zu schlafen. Er schlief viele Stunden hintereinander, in denen eindringliche Träume auf ihn einstürzten, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, wenn er zwischendurch kurz aufwachte.

Schließlich stand er auf, da die Betriebsamkeit der Tagschicht an Bord der Dauntless ihm keine Ruhe gönnte, sondern trotz der guten Lärmisolation seiner Kabine bis zu ihm vordrang. Erleichtert stellte er fest, dass er sich wieder besser bei Kräften fühlte, und er begann, sich in seinem Quartier umzusehen, wobei er alles ignorierte, das nach dem persönlichen Hab und Gut von Admiral Bloch aussah.

Dabei stieß er auf ein paar ungeöffnete Verpflegungsriegel, die vermutlich genauso alt waren wie er selbst.

Da ihm der Sinn nicht nach einem großen Frühstück stand, be-gnügte er sich mit den Verpflegungsriegeln.

Und jetzt? Jetzt besaß er den Luxus von Freizeit. Die Allianz-Flotte würde Wochen im Sprungraum verbringen, also hätte er dann nichts zu tun. Er könnte herausfinden, was sich zugetragen hatte, seit er in diese Rettungskapsel gestiegen war und seinen langen Schlaf begonnen hatte. Danach zu urteilen, was er bislang gesehen und gehört hatte, konnte die jüngere Geschichte keine erfreuliche Lektüre sein. Doch er musste herausfinden, ob er diese Fremden wirklich besser kennenlernen wollte, die seinem Kommando unterstellt worden waren.

Wie sich herausstellte, enthielt die aktuelle Version des Schiffshandbuchs eine offenbar recht gut zusammengefasste Darstellung der Ereignisse seit seinem »letzten Gefecht«.

Geary übersprang schnell das Kapitel, das sich seiner einstmals letzten Konfrontation mit den Syndiks widmete. Es hatte ihm noch nie behagt, sich auch nur routinemäßiges Lob über seine Leistungen anhören zu müssen, und der Gedanke, einen Text zu lesen, in dem er offen verehrt wurde, ließ ihn regelrecht krank werden. Vor allem, wenn selbst ansonsten vernünftige und erfahrene Offiziere wie Captain Desjani daran glaubten, die lebenden Sterne hätten ihn zu ihnen geschickt, damit er die Allianz rette.

Als dann aber sein Blick auf das Datum gleich nach »Black Jack Gearys letztem Gefecht« fiel, hielt er inne. Fast genau hundert Jahre.

Für mich ist das alles gerade mal zwei Wochen her. Ich kann mich so deutlich daran erinnern, an die Schlacht, an die Leute, die zu meiner Crew ge-hörten, an meine Flucht in der Rettungskapsel, während um mich herum mein Schiff in Stücke geschossen wurde und mir der Tod auf den Fersen war. Das alles ist erst zwei Wochen her. Jedenfalls für mich.

Sie sind alle tot. Diejenigen, die auf meinem Schiff starben, genauso wie die, die sich in Sicherheit bringen konnten. Alle tot. Und sogar die Kinder der Überlebenden sind inzwischen tot. Nur ich bin noch da.

Er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und gab sich eine Weile der Trauer hin.

Als Geary schließlich die vergangenen hundert Jahre gelesen hatte, musste er feststellen, dass es sich um eine gnadenlos positive Schilderung von gewonnenen und verlorenen Schlachten handelte, die sogar das, was für Geary nach eindeutigen Niederlagen klang, so verdrehte, als sei es alles Teil eines großen, übergeordneten Plans.

Aber so las sich offizielle Geschichte nun mal. Wenn man zwischen den Zeilen las, wurde allerdings erkennbar, dass Captain Desjanis Beurteilung der Situation als eines seit Jahrzehnten andauernden Patts zwischen beiden Seiten durchaus zutraf. Je weiter die Geschichte sich der Gegenwart näherte, umso hysterischer wurden die patriotischen Bekundungen, was nach Gearys Auffassung ein sicheres Zeichen dafür war, dass es mit der Moral nicht zum Besten gestellt war.