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Seine Träume müssen zunichtegemacht geworden sein, als Mirar aus Si floh. Aber es ist besser so. Wenn er sich von den Göttern abgewandt hätte, um Traumweber zu werden, wäre seine Seele bei seinem Tod verloren gewesen.

Die Vorstellung, dass Siyee Traumweber werden könnten, beunruhigte sie. Es war eine Ironie des Schicksals, dass ein Siyee auf dem Weg gewesen war, Traumweber zu werden, während Auraya in Jarime das Hospital aufgebaut hatte - das am Ende die Zahl der Traumweber vielleicht verringern würde, weil es mögliche Schüler zur Priesterschaft führte.

Es war beinahe eine Erleichterung, nicht länger die Verantwortung für das Hospital zu tragen. Juran hatte von guten Fortschritten berichtet. Es war schön zu wissen, dass die Einrichtung nach wie vor den Menschen in der Stadt zugutekam, während sie gleichzeitig die Kenntnisse der Zirkler in der Heilkunst vertiefte. Aber sie hatte sich nie wohlgefühlt mit dem Wissen, dass sie auf diese Weise zwar die Seelen jener rettete, die sich sonst vielleicht den Traumwebern angeschlossen hätten, dass sie damit aber gleichzeitig auf den Niedergang der Traumweber hinarbeitete.

Jetzt waren die Siyee ihre einzige Sorge. Sie verbannte das Krankenhaus aus ihren Gedanken und ging auf den Wasserfall zu.

Sein Wasser stürzte von einem Felsüberhang hinab, und Auraya stellte fest, dass sie hinter dem Wasser in eine Höhle gelangen konnte. Während das Wasser genug Licht durchließ, um den vorderen Teil der Höhle zu erhellen, lag der hintere Teil in Dunkelheit. Sie zog Magie in sich hinein, schuf ein Licht, das einen Tunnel enthüllte, und setzte ihren Weg dann fort. Vor ihr erschien ein weiteres Licht, das sie um eine Ecke herum in eine größere Höhle führte. An einer Wand standen Töpfe und Krüge, und in der Mitte des Raums waren einige primitive Möbel angeordnet.

Eine Frau saß mit dem Rücken zu Auraya auf einem von zwei einfachen Betten. Ihre Kleidung war schlicht, aber das Haar, das sich über ihre Schultern ergoss, war von einem kräftigen Rot. Sie bewegte die Arme, doch Auraya konnte nicht sehen, was sie tat.

»Bist du Jade Tänzerin?«, fragte Auraya in der Sprache der Siyee. Da die Frau einen Boten zu Auraya geschickt hatte, musste sie in der Lage sein, sich mit dem Himmelsvolk zu verständigen.

Die Frau blickte von ihrer Arbeit auf, wandte sich jedoch nicht um. »Ja. Komm herein. Ich mache gerade heiße Maita. Wir haben viel zu besprechen.«

»Ach ja?« Auraya trat vor.

Die Frau kicherte. »Ja.«

Etwas an diesem Ort machte Auraya unruhig. Sie fühlte sich verletzbar, obwohl sie keine Bedrohung in der Höhle erkennen konnte. Nach einigen Schritten blieb sie stehen, zog Magie in sich hinein und schuf eine Barriere um sich herum.

Die Frau drehte sich um und sah Auraya neugierig an. »Warum so argwöhnisch? Ich will dir nichts Böses.«

Auraya erwiderte ihren Blick und hielt Ausschau nach irgendwelchen Hinweisen in den Zügen der Frau. Sie hatte ein schönes Gesicht, aber die Linien um Mund und Augen ließen vermuten, dass sie sich bereits gut in der Mitte ihres Lebens befand. Es waren Linien, die von Lachen rührten, aber auch von Trauer oder Bitterkeit.

»Warum überzeugt mich das nicht?«

Jade kniff die Augen zusammen und musterte Auraya nachdenklich. Dann winkte sie sie heran. »Komm ein paar Schritte näher.«

Auraya zögerte kurz, dann gehorchte sie. Als sie das tat, brach ihre Barriere zusammen. Sie griff nach weiterer Magie, konnte aber keine finden.

Als ihr klar wurde, was ihre Sinne ihr die ganze Zeit über gesagt hatten, stieg eine Welle der Furcht in ihr auf. Es gab keine Magie um sie herum. Sie war ebenso verletzbar wie jeder Sterbliche, der über keinerlei Gaben verfügte. Sie wich zurück und fand sich wieder umgeben von Magie.

»Was du spürst, ist ein Leerer Raum. Er ist nur einige Schritte tief. Siehst du?« Die Frau machte eine achtlose Handbewegung, und ein Lichtfunke erschien vor ihr. »Du kannst zuerst ein wenig Magie sammeln, um dich zu schützen, wenn du ihn betrittst.«

Auraya betrachtete die Frau. Wenn sie den Augenblick meiner Verletzbarkeit hätte ausnutzen wollen, hätte sie es getan. Sie zog Magie in sich hinein, schuf eine weitere Barriere und speiste sie mit Magie, während sie durch die Höhle ging. Jetzt, da ihre Aufmerksamkeit auf den Leeren Raum gelenkt worden war, war er leicht wahrzunehmen. Trotzdem würde sie sich nicht wohlfühlen, bis sie diesen Teil der Höhle wieder verlassen hatte.

Jade sah sie mit einem wissenden Lächeln an und deutete auf das andere Bett.

»Nimm Platz.«

Auraya setzte sich. Zwischen den Betten befand sich ein großer Steinbrocken, in den ein glattes, rundes Loch gehauen war. Die Vertiefung war gefüllt mit kochendem Wasser, von dem Jade nun etwas in eine Schale schöpfte. Die Körner in der Schale lösten sich zu einer dunkelroten Flüssigkeit auf, und der unverkennbare Geruch von Maita drang zu Auraya hinüber. Die Frau goss das Getränk in zwei kleine Becher und reichte einen davon an Auraya weiter.

»Während des vergangenen Jahres hat Mirar auf diesem Bett geschlafen«, sagte sie.

Auraya nickte langsam. »Dann bist du also die Freundin. Das hatte ich mir gedacht.«

»Das war, bevor du versucht hast, ihn zu töten«, fuhr Jade fort, ohne auf Aurayas Bemerkung einzugehen. »Aber du konntest es nicht tun.« Ihre Augen wurden schmal. »Warum nicht?«

»Ich hatte meine Gründe.«

Der Blick der Frau war offen und direkt. »Er hat dir seinen Geist geöffnet und dir die Wahrheit gezeigt. Deshalb konntest du es nicht tun. Er hat viel riskiert, um dich diese Dinge wissen zu lassen.«

»Oder einfach um sich zu retten.«

Jade zog die Augenbrauen hoch. »Ist es das, was du glaubst? Ist dir nicht der Gedanke gekommen, er könnte es aus Liebe getan haben?«

Auraya sah die Frau fest an. »Liebe hatte nichts damit zu tun. Er wollte, dass ich die Wahrheit erfahre, aber er hätte sie mir nicht enthüllt, wäre ich nicht im Begriff gewesen, ihn zu töten. Er hätte mich weiterhin getäuscht.«

Die Frau nickte. »Aber du musst wissen, dass er dich liebt. Liebst du ihn ebenfalls?«

Einmal mehr stiegen widerstreitende Gefühle in Auraya auf, Gefühle, die sie alsbald beiseitedrängte. Warum stellte Jade diese Fragen? Warum wollte sie wissen, ob Auraya Mirar liebte? War sie eifersüchtig oder einfach nur eine Freundin, die einen Freund beschützen wollte? Auraya erwog verschiedene Antworten und überlegte, wie Jade darauf reagieren könnte. Ein Leugnen könnte sie erzürnen, und Auraya wollte das Risiko nicht eingehen, womöglich auf weitere Überraschungen in dieser eigenartigen Höhle zu stoßen. Andererseits würde die Frau eine Bestätigung vielleicht hinterfragen.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie aufrichtig. »Ich bezweifle es, da ich ihn im Grunde nicht kenne - das heißt, ich kenne nur einen Teil von ihm. Liebst du ihn?«

»Als einen Freund.«

»Du hast ihm geholfen, seine Identität zurückzuerlangen.«

»Ja.« Jade blickte auf ihren Becher hinab und runzelte die Stirn. »Ich habe ihn nach der Schlacht hierhergebracht. Er war vollkommen durcheinander, war sich nicht sicher, wer er war. In einem Augenblick war er Leiard, im nächsten Mirar.« Sie verzog das Gesicht. »Er hat seine Probleme schließlich gelöst. Ich dachte, er wäre hier in Si sicher, aber er hat ein Talent dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Zuerst hättest du ihn um ein Haar getötet, dann ist er in Sennon nur mit knapper Not den Weißen entkommen, und jetzt…« Sie schüttelte den Kopf.

Auraya sah Jade zweifelnd an. »Da du offensichtlich darauf hinauswillst, dass ich dich frage: Wo ist er jetzt?«

In den Augen der Frau blitzte Erheiterung auf. »Will ich das? Aber ich kann es dir nicht sagen, sonst würden die Götter es in deinem Geist lesen, wenn du den Leeren Raum verlässt.«

»Wenn ich…?« Auraya zog die Brauen zusammen und blickte sich in der Höhle um, obwohl sie nicht erwartete, irgendwelche sichtbaren Hinweise zu finden, die ihren Argwohn bestätigten.