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Er seufzte. »Ja, aber für wie lange noch?«

»Das liegt in den Händen der Götter«, erwiderte sie.

Er nickte, dann trat er in die Wüstennacht hinaus und ging zu seinem Zelt.

Die Möwe spürte, wie die Macht der Welle sich hinter ihm sammelte. Als sie ihn erreichte, streckte er sich und ritt auf dem Kamm der Welle. Die Felssäule mit ihrer steilen Wand schien auf ihn zuzuschießen. Im letzten Augenblick drehte er ab, fing automatisch den Aufprall ab, spürte die vertrauten Risse unter den Fingern und die schmalen Vorsprünge, die den Füßen Halt gaben. Während die Welle sich zurückzog, begann er zu klettern.

Er hatte dies so viele Male getan, dass er nicht darüber nachzudenken brauchte, wo er sich als Nächstes festhalten konnte. Als er die Höhle erreichte, zog er sich hinein und richtete sich auf.

Er blickte noch einmal hinaus und betrachtete die dunklen Wellen, die den Felssockel umwogten. Er konnte keine Spur von dem Schiffswrack entdecken. Selbst an einem klaren, hellen Tag hätte er nicht so weit sehen können. Aber er brachte seinen Geist zur Ruhe und griff hinaus.

Schweigen.

Die Möwe schüttelte den Kopf und seufzte. Sie waren wahrscheinlich alle ertrunken. Die Ironie des Ganzen war, dass er die Absicht gehabt hatte, das Piratenschiff selbst zu versenken, aber zur richtigen Zeit. Nachdem er Gelegenheit gehabt hatte, die Mannschaft kennenzulernen und die Unglücklichen von den Schlechten zu scheiden.

Er hatte keine Zeit gehabt. Wenn er nicht geschlafen hätte, hätte er die herannahenden Elai vielleicht gespürt und jenen Seeleuten, die es wert waren, gerettet zu werden, helfen können. Aber er musste schlafen, geradeso wie jeder Sterbliche es musste.

Doch er vergeudete keine Mühe darauf, sich über die Elai zu ärgern. Ihre Angriffe auf die Schiffe der Seeräuber waren nach allem, was sie erlitten hatten, gerechtfertigt. Er machte sich allerdings Sorgen, wohin ihre neu entdeckte Zuversicht und ihre Vorliebe für das Töten sie führen würde, aber er würde nicht versuchen, sie in irgendeine Richtung zu lenken. Obwohl er und die Elai gleichermaßen berühmt waren für ihre Beziehung zum Meer, hatten sie keine andere Verbindung. Seit Jahrtausenden war er eine legendäre Gestalt in den Märchen der Landgeher, die die Elai hassten. Die Elai waren eine junge Rasse, erschaffen von einer Göttin, die Unsterbliche hasste.

Huan, dachte er düster. Stirnrunzelnd vergegenwärtigte er sich die eigenartigen, entstellten Geschöpfe, tot oder kaum noch am Leben, auf die er vor langer Zeit zufällig gestoßen war. Über ein Jahrhundert lang tauchten immer wieder solche Geschöpfe auf. Erst als gegen Ende dieses Jahrhunderts die frühen Vorfahren der Elai erschienen waren, hatte er die Lösung für dieses Rätsel gefunden. Die missgebildeten Geschöpfe waren Experimente und Fehlschläge der Zauberer gewesen, die Huans großen Ehrgeiz erfüllt hatten, ein an das Leben im Meer angepasstes Volk zu erschaffen. Sie und ihre Anhänger hatten nicht so leiden müssen, wie die Menschen und Tiere es taten. Zumindest haben die Menschen ihr Schicksal freiwillig gewählt, obwohl sie gewiss nicht erwartet haben, dass man sie ins Meer werfen oder zum Sterben allein lassen würde, wenn ein Experiment scheiterte.

Zu guter Letzt hatte Huan Erfolg gehabt. Aus der Vision einer Göttin und der Bereitschaft Sterblicher, ihren Befehlen zu folgen, waren zwei wundersame Völker entstanden, die Elai und die Siyee. Aus Grausamkeit war Schönheit geworden. Dies war auch die Natur des Ozeans. Manchmal waren die schönsten Geschöpfe die tödlichsten. Sternfächerfische waren leuchtend bunt, aber so giftig, dass ein Stich von ihren Stacheln binnen weniger Atemzüge töten konnte. Die Doi waren verspielte, intelligente Geschöpfe, und sie waren treu und liebevoll. Die Seeleute hielten es für ein glückliches Omen, wenn Doi in der Bugwelle ihres Schiffes schwammen. Aber die Möwe hatte Doi ihresgleichen mit einer Grausamkeit behandeln sehen, die er ansonsten nur bei Menschen beobachtet hatte.

Er zuckte die Achseln. Die Götter waren einst Sterbliche gewesen. Sie wurden von denselben Gefühlen und Bedürfnissen getrieben. Daher war es keine Überraschung, dass sie genauso grausam sein konnten wie Menschen. Es gab nur ein Problem: Während nur wenige Menschen geneigt waren, sich schlecht zu benehmen, waren alle Götter irgendwann einmal grausam mit Menschen verfahren.

Nein, nicht alle, korrigierte er sich. Die alten Götter waren nicht alle schlecht gewesen. Ist es so eigenartig, dass jene, die übrig geblieben sind, zu Grausamkeit neigen? Sie waren es, die die Bereitschaft hatten, die übrigen zu ermorden.

Seine Gedanken begannen, in alten, vertrauten Kreisen umherzuschweifen. Das störte ihn im Grunde nicht weiter, aber er hatte sich bereitgefunden, sich in dieser Nacht mit den Zwillingen in Verbindung zu setzen. Also zog er sich in den hinteren Teil der Höhle zurück und legte sich auf einige alte Decken. Dann schloss er die Augen und sandte einen Gedankenruf aus.

Möwe, antwortete Tamun. Du bist spät dran.

Achte nicht auf sie, warf Surim ein. Sie hat schlechte Laune.

Oh? Warum denn?

Es geht alles zu schnell. Das macht ihr Angst.

Ich habe keine Angst!, protestierte Tamun.

Kein bisschen, pflichtete Surim ihr wenig überzeugend bei.

Was geht zu schnell?, fragte die Möwe.

Emerahl will, dass wir nach Diamyane gehen, erklärte Surim. Und du auch.

Sie will versuchen, die Götter zu töten?

Nur wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Sie hat vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine Schande wäre, wenn sich eine solche Möglichkeit auftäte und wir nicht da wären, um sie zu nutzen.

Das ist wahr.

Bist du bereit, nach Diamyane zu gehen und dich mitten auf ein Schlachtfeld zu stellen, mit allen Risiken, die ein solches Tun mit sich brächte, nur für den Fall, dass es Auraya irgendwie gelingen sollte zu entkommen und dass sie sich dazu entscheidet, uns zu helfen, ihre geliebten Götter zu töten?

Die Möwe dachte nach. Er konnte erkennen, welche Vorteile es hatte, an einem Ort zu sein, an dem die Weißen und die Stimmen aufeinandertrafen. Die Götter würden gewiss zugegen sein. Sie würden vielleicht in der Lage sein, sie alle gleichzeitig zu töten.

Aber er konnte auch erkennen, dass ihre Chancen auf Erfolg gering waren.

Aber wenn es auch nur die geringste Chance gab …

Ja, sagte er. Wenn ich mich im Wasser verborgen halte, ist eine Entdeckung unwahrscheinlich.

Tamun fluchte.

Tut mir leid, Schwester, sagte Surim. Diesmal hat Emerahl gewonnen. Wir sollten besser anfangen zu packen.

Und ich habe eine weite Reise vor mir, fügte die Möwe hinzu.

Wirst du es rechtzeitig schaffen?

Ja, falls ich noch heute Nacht aufbreche.

Dann reise wohl. Wir werden morgen Abend wieder zu dir sprechen, beendete Surim ihre Unterhaltung.

Die Möwe schlug die Augen auf und starrte zur Decke der Höhle empor. Er erhob sich und ging zum Höhleneingang hinüber. Nachdem er die Augen abermals geschlossen hatte, sandte er seinen Geist aus und suchte nach einem vertrauten Gedankenmuster.

Er brauchte nicht lange, um es zu finden. Träge, männlich und ruhig erhob sich der Geist bei seiner vertrauten Präsenz. Er stellte eine Frage; sie wurde bejaht.

Erfreut wartete die Möwe.

Einige Zeit später spürte er, dass der gleiche Geist gleich einzutreffen erwartete. Er senkte den Blick und sah den gewaltigen Kopf des Roale, so groß wie ein Fischerboot, aus dem Wasser aufsteigen, sich umwenden und wieder hinunterkrachen. Ein Auge glitzerte im Sternenlicht.