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Die Erste Stimme Nekaun trat vor, um das Wort an die Menge zu richten. Mirar hörte nach wenigen Sätzen nicht mehr zu. Er hatte das alles schon früher gehört.

»Woran denkst du?«, erklang dicht neben ihm eine leise Stimme.

Als er sich umdrehte, sah er die Zweite Stimme an seiner Seite stehen.

»Ich denke über die Sinnlosigkeit des Krieges nach«, antwortete er.

Imenja lächelte. Er fand sie liebenswürdig, aber sie hatte lange genug gelebt, um ihre Fähigkeit, anderen Menschen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, so weit zu verfeinern, dass man es nicht wahrnahm.

»Du denkst, dieser Krieg sei sinnlos?«, fragte sie.

Er zuckte die Achseln. »Selbst wenn ihr die Weißen tötet und die Zirkler besiegt, wird der Zirkel der Götter weiter existieren.«

Sie nickte. »Das ist wahr. Was nach dieser Schlacht kommt, wird wichtiger sein als der Krieg selbst. Wir hoffen, dass die Menschen im Norden mit der Zeit einsehen werden, dass unsere Sitten besser und freundlicher sind, und dass sie sich dann ebenfalls den Fünf anschließen werden. Es wird immer jene geben, die auch weiterhin dem Zirkel huldigen, aber die Macht des Zirkels über Nordithania wird verringert sein.«

»Dann ist dieser Krieg in deinen Augen also nicht gänzlich sinnlos«, vollendete er ihre Ausführungen.

Sie lächelte abermals. »Nein. Aber ich würde es verstehen, wenn du wünschtest, dass wir auch die zirklischen Götter töten könnten. Die Welt wäre dann viel sicherer für dich. Weshalb lächelst du?«

Mirar lachte leise. »Allein der Gedanke, dass ihr die zirklischen Götter für mich töten würdet.« Und noch etwas anderes erheitert mich: Wenn wir Unsterblichen die Stimmen und die Weißen »entdecken« ließen, wie man es angehen muss, könnten wir Unsterblichen uns einfach zurücklehnen und zusehen, wie sie unsere Probleme aus der Welt schaffen.

Was vielleicht kein schlechter Notfallplan wäre, wenn sich keine Gelegenheit bot, Auraya zu befreien, oder wenn sie sich weigerte, ihnen zu helfen. Er hatte bisher keine andere Möglichkeit zur Befreiung Aurayas finden können, als sich mit Gewalt einen Weg in ihr Gefängnis zu erzwingen, was das gute Verhältnis zwischen den Stimmen und ihm gewiss trüben und vielleicht auch für seine Leute Konsequenzen haben würde. Die beste Möglichkeit für die Traumweber bestand darin zu hoffen, dass Imenja ihr Versprechen halten würde.

Wenn die Stimmen die Schlacht jedoch gewannen, würden vielleicht keine Weißen mehr da sein, die die pentadrianischen Götter angreifen konnten. Trotzdem konnten die Stimmen die zirklischen Götter töten, und das war möglicherweise alles, was die Wilden brauchten. Die pentadrianischen Götter hatten bisher keinen allzu schlechten Eindruck gemacht.

Nekaun verfiel in Schweigen, und die Menge jubelte. Dann bedeutete er Imenja und den anderen Stimmen mit einer weit ausladenden Geste, ihm zu den Sänften hinunterzufolgen. Imenjas Lächeln veränderte sich leicht, und Mirar war davon überzeugt, dass es jetzt ein erzwungenes Lächeln war.

Als die Stimmen hinuntergingen, folgte er ihnen mit einigen Schritten Abstand, zusammen mit ihren Gefährten und Ratgebern. Kurz bevor sie die Wagen erreichten, drehte Genza sich zu ihm um, und ihre Augen waren schmal und nachdenklich.

»Hättest du etwas dagegen, wenn der Traumweber mit mir reisen würde, Erste Stimme?«, fragte sie. »Du weißt, ich finde lange Reisen ermüdend.«

Nekaun blieb stehen, um sie mit hochgezogenen Augenbrauen zu mustern. »Es wird wohl kaum eine lange Reise werden«, sagte er. Dann wandte er sich zu Mirar um und lächelte höflich. »Traumweber Mirar, würdest du mir die Ehre erweisen, mir Gesellschaft zu leisten, wenn wir aufbrechen?«

»Die Ehre ist ganz meinerseits«, erwiderte Mirar glatt.

Genza zuckte die Achseln. »Vielleicht später, wenn all das Gerede über Gewalt und Strategie anfängt, ihn zu langweilen.«

Sie nahmen in den Sänften Platz, die von mehreren muskulösen, in prächtige Gewänder gehüllten Sklaven angehoben wurden. Die Armee konnte ihre Anführer deutlich sehen. Und mich, überlegte Mirar grimmig. Er hatte in der vergangenen Nacht die Träume der Traumweber erkundet. Ihre Reaktion auf sein Abkommen mit den Stimmen war gemischt. Einige waren damit einverstanden, andere nicht. Mit wenigen Ausnahmen glaubten sie alle, er sei zu dem Handel gezwungen worden, wahrscheinlich durch die Umstände, vielleicht auch durch eine direktere Drohung.

»Lass dir von Genza nicht das Gefühl geben, du seist zu irgendetwas… verpflichtet«, sagte Nekaun zu ihm, als die Sänfte sich in Bewegung setzte.

»Gewiss nicht«, erwiderte Mirar lächelnd. Als sie im Sanktuarium angekommen waren, hatte Genza aufgehört, mit ihm zu flirten; das brauchte Nekaun allerdings nicht zu wissen.

»Ich finde, ich sollte dich warnen. Sie kann sehr beharrlich sein. Je mehr Widerstand du ihr leistest, umso interessanter wirst du ihr erscheinen.«

»Ich kenne diesen Typ Frau«, versicherte Mirar ihm trocken.

Nekaun kicherte. »Davon bin ich überzeugt. Außerdem weißt du sicher, dass sie dich in Ruhe lassen würde, sobald sie ihre Neugier befriedigt hat. Sie möchte lediglich herausfinden, ob dein Ruf verdient ist, ein Gefühl, das sie gewiss mit vielen Frauen teilt.«

»Ich bin kein Sklave meines Rufs«, erwiderte Mirar.

»Nein, das bist du nicht. Das respektiere ich.« Nekauns Augen leuchteten zufrieden auf. »Du bist ein Mann, der weiß, wann er flexibel sein muss und wann unnachgiebig.«

Mirar verkniff sich eine Grimasse angesichts dieses Hinweises auf seine Bereitschaft, den Stimmen zu helfen. Er lächelte verschlagen. »Ich dachte, es seien nur Frauen, die solche Gerüchte über mich ausstreuen.«

Als die Sänfte sich zwischen den Reihen von Götterdienern und Soldaten hindurchbewegte, hallte die Promenade von Nekauns Gelächter wider.

Als Tamun vom Bug des Bootes aufblickte, lächelte sie. Ihr Bruder stand mit geraden Schultern da, das Haar vom Wind zerzaust. Das Boot schoss durch das Wasser, angetrieben von Magie, geleitet von seiner Willenskraft. Von beiden Seiten des Bugs spritzte Wasser auf, und der Rumpf erzitterte, wann immer er auf eine Welle schlug.

Sie betrachtete die Muskeln seiner Arme, die er sich verdient hatte durch viele Stunden, die er durch den Sumpf gerudert war. Er war männlicher geworden, seit sie hier Quartier genommen hatten. Ihre Schwester war zu einem recht gutaussehenden Bruder geworden. Warum hatte sie das nicht schon vorher bemerkt?

Vielleicht verbrachte sie so viel Zeit mit ihm, dass sie nie zurücktrat und ihn ansah. Aber die Veränderungen waren nicht nur körperlicher Natur. Und Surim hatte sich langsam verändert, um ihr Zeit zu geben, sich daran zu gewöhnen. Außerdem war er abenteuerlustiger geworden.

Das war ihm früher wahrscheinlich nicht möglich, dachte sie. Sie waren körperlich wie auch geistig miteinander verbunden gewesen. Tamun strich über die Narbe an ihrer Seite. Wie immer brachten die Erinnerungen an ihre Trennung Schmerz und Kummer, aber es war auch eine Erleichterung gewesen. Mehr für ihn als für mich, gestand sie sich. Wir mögen Zwillinge sein, aber wir unterscheiden uns in vielen Dingen. Ich sitze in unserer Höhle und grolle ihm, dass er mich allein lässt, voller Angst, dass die Götter mich finden werden, wenn mich irgendjemand sieht. Er erkundet den Sumpf und mischt sich unter die Menschen dort überzeugt davon, dass die Veränderung die Götter daran hindert, ihn zu erkennen. Und jetzt waren sie weit fort von den Roten Höhlen, weit fort von dem Sumpf, und sie schossen über das Wasser zu ebendem Ort, an dem tausende von Sterblichen und vielleicht einige Unsterbliche sie sehen würden - und die Götter würden sich dort gewiss ebenfalls versammeln. Sie schauderte. Es war Wahnsinn. Aber es war auch unbestreitbar vernünftig. Wenn sie die Götter jemals töten wollten, dann mussten sie in ihrer Nähe sein.

Dass diese Gelegenheit sich während der nächsten Tage bieten würde, war zweifelhaft. Wenn sie allzu viel darüber nachdachte, wurde ihr unangenehm schwindlig. Sie schloss die Augen und streckte ihre Sinne auf der Suche nach anderen Geistern aus.