Obwohl leise gesprochen, schrien diese Worte die Zuversicht des Sprechers geradezu heraus. Aber es war keine Arroganz, wie Danjin feststellte. Es lagen einfach hohes Alter und Erfahrung in ihnen. Dies war die Stimme Mirars, des Unsterblichen.
Oder vielleicht höre ich auch nur, was ich zu hören erwarte, dachte er ironisch.
»Vielen Dank, Mirar«, erwiderte Danjin. »Obwohl ich mich fragen muss, ob du die Erlaubnis hast, mich im Namen der Pentadrianer willkommen zu heißen.«
»Was sie nicht wissen, wird sie nicht stören«, erwiderte Mirar.
Hatte da ein Anflug von Verachtung in Mirars Stimme gelegen?, fragte sich Danjin.
»Aber je eher ich zurückkehre, umso geringer ist die Chance, dass meine Abwesenheit bemerkt wird und Fragen aufwirft«, fügte Mirar nach kurzem Schweigen hinzu. »Was willst du mir sagen?«
Danjin straffte sich. »Die Weißen haben mich hergeschickt, um dir ein Angebot zu machen. Ich bin mit ihnen vernetzt. Wenn du also irgendwelche Fragen oder Bitten hast…«
»Sie wollen, dass ich mich aus der Schlacht heraushalte«, unterbrach Mirar ihn. »Dem kann ich nicht zustimmen.«
Danjin schluckte. »Nicht einmal im Gegenzug für die Freiheit deiner Leute?«
Mirar schwieg einen Moment lang. »Machen sie mir ein Angebot, oder drohen sie mir?«
»Es ist keine Drohung«, sagte Danjin hastig. »Sie werden versprechen, deinen Leuten zu gestatten, all ihre Gaben zu benutzen, einschließlich Gedankenvernetzungen - wenn du darauf verzichtest, den Pentadrianern zu helfen.«
»Und als Gegenleistung dafür, dass ich die Pentadrianer im Stich lasse, werden meine Leute hier leiden. Welche Seite wird diesen Krieg wohl eher gewinnen, wenn ich das Angebot der Weißen annehme, Danjin Speer?«
»Das lässt sich unmöglich vorhersagen.«
»Und welche Seite wird den Sieg davontragen, wenn ich bei den Pentadrianern bleibe?«
Danjin seufzte. »Deine.«
Frag ihn, ob Auraya ihm den Tod ihrer Freunde und der Menschen ihres Volkes vergeben würde. Ellas Stimme war ein Flüstern in Danjins Gedanken. Er widerstand dem Drang, ihren Ring zu berühren.
»Wie wird Auraya zu dir stehen, wenn du mithilfst, den Tod ihrer Freunde, ihrer Familie und ihres Volkes herbeizuführen?«, fragte er mit betont sanfter Stimme.
»Oh, sie wird außer sich sein vor Entzücken«, antwortete Mirar, dessen Stimme vor Sarkasmus troff. »Aber zumindest besteht eine geringe Chance, dass sie nicht tot sein wird. Wenn die Weißen siegen, wird sie sterben.«
»Ist das der Grund, warum du das tust?«, flüsterte Danjin. Warum flüstere ich? Denke ich, dass die Weißen mich dann nicht hören?
Mirar antwortete nicht. Sein Schweigen mochte andeuten, dass er nicht bereit war, irgendetwas zuzugeben. Dass er noch immer Gefühle für Auraya hat? Danjin dachte über Mirars Antworten nach. Er hatte nichts preisgegeben. Vielleicht will er nicht eingestehen, dass seine Gründe nicht gerade nobel sind. Dass er dies aus Rache tut.
»Gibt es irgendetwas, das die Weißen dir anbieten können?«, fragte Danjin.
Er war überrascht, Mirar seufzen zu hören. »Nein. Aber sei versichert, dass ich keine Zugeständnisse machen werde, was die Einstellung meiner Leute jedweder Gewalt gegenüber betrifft. Es ist ein Jammer, dass dein Volk nicht genauso konsequent geblieben ist. Noch vor wenigen Jahren waren sie erzürnt über die Bereitschaft der Pentadrianer, ein anderes Land anzugreifen. Jetzt trachten sie danach, ihrerseits anzugreifen. Sag den Weißen, dass sie, wenn meine Unterstützung der Pentadrianer den Zirklern zum Nachteil gereicht, ihre Invasionspläne vielleicht fallen lassen sollten. Es wäre besser für alle.«
Ärger flammte in Danjin auf. Wie konnte dieser heidnische Zauberer es wagen zu denken, er könne den Lauf eines Krieges verändern, als sei er ein Gott? Aber dann kam ihm eine Idee, bei der sich seine Entrüstung ein wenig legte.
»Wenn die Weißen also einverstanden wären, auf die Invasion zu verzichten, würdest du dann ebenfalls deine Unterstützung der Pentadrianer zurückziehen?«
Mirar hielt inne. »Ich würde es erwägen.« Er drehte sich abrupt um, um hinter sich zu blicken. »Eine Patrouille nähert sich. Du solltest gehen.«
Ein Stich der Furcht durchzuckte Danjin. »Wie weit?«
»Du hast genug Zeit fortzukommen, wenn du jetzt aufbrichst. Ich werde dein Boot so weit wie möglich aufs Meer hinausschieben.«
Danjin nickte dankbar, dann wurde ihm klar, dass man ihn bei dieser Dunkelheit wahrscheinlich ebenso schlecht sehen konnte wie Mirar.
»Danke«, sagte er.
Er wandte sich ab, eilte zu dem Boot hinüber und ging an Bord. Als er ein Spritzen von Wasser hörte, drehte er sich um und sah, dass Mirar ihm gefolgt war.
»Ich werde für Auraya tun, was ich kann«, sagte Mirar leise. »Aber sei gewarnt. Wenn sie zurückkehrt, wirst du feststellen, dass sie nicht mehr die Frau ist, die du gekannt hast. Die Götter haben sie verraten und sie benutzt wie einen Spielstein in einem Spiel schäbiger Rache untereinander. So etwas durchlebt man nicht und bleibt dabei frei von Verbitterung.«
Danjin schauderte. Diesmal hatte die Stimme des Mannes eindeutig den Klang hohen Alters und großer Erfahrung. Er hielt sich mit beiden Händen fest, als das Boot sich vom Sand befreite. Sobald es im Wasser trieb, drehte es sich, und Danjin blickte zum Ufer hinüber; er war gerade noch in der Lage, die Gestalt zu erkennen, die dort stand. Dann schnellte das Boot abrupt nach vorn. Es bewegte sich immer schneller und schneller, bis zu beiden Seiten die Gischt aufspritzte. Mit hämmerndem Herzen klammerte sich Danjin an die Seiten des Bootes. Er machte sich Sorgen, dass es gegen irgendein Hindernis prallen könnte, hatte aber zu große Angst, sich umzusehen.
Als das Boot endlich langsamer wurde, schlug eine Welle der Erleichterung über Danjin zusammen. Die Lichter der pentadrianischen Küste waren beruhigend weit entfernt. Er wandte sich um und sog die Luft ein. Die Lichter von Diamyane waren unerwartet nah.
Mirar hat mich weiter hinausgeschickt als Ella. Er runzelte die Stirn. Bedeutet das, dass er stärker ist?
Einige Minuten grübelte er über diese Frage nach. Das konnte doch gewiss nicht sein. Ella hatte Auraya ersetzt, daher musste sie ungefähr genauso stark sein wie diese. Die Götter hätten Auraya nicht den Auftrag gegeben, Mirar zu töten, wenn sie schwächer wäre als er.
Ein Spritzen in der Nähe des Bootes lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Umgebung. Er spähte über den Rand, ohne zu erwarten, etwas zu sehen. Doch stattdessen blickte er in ein Paar Augen.
Gelähmt vor Überraschung starrte er zurück. Dann schossen zwei dunkle Hände aus dem Wasser auf seine Kehle zu.
Er wich zurück und stieß die Hände gleichzeitig von sich, wobei er kalte, schlüpfrige Haut berührte. Die Hände packten den Rand des Bootes. Sie waren außerordentlich groß, und zwischen den Fingern spannten sich Schwimmhäute. Er hörte ein Klatschen, und als er sich umdrehte, sah er auf der anderen Seite des Bootes eine weitere Hand auftauchen - mit einer eigenartigen Waffe.
Ella!
Ich sehe sie! Gib mir einen Moment Zeit, um dich zu finden!
Köpfe tauchten auf. Schwarze, kahle Köpfe mit eigenartig trüben Augen. Furcht durchzuckte Danjin. Er griff nach einem der Riemen und schlug auf den ersten Angreifer ein. Der Kopf wurde rechtzeitig eingezogen. Er fuhr herum und attackierte den zweiten Angreifer. Ein befriedigendes Krachen war das Ergebnis.
Der Mann ließ sich ins Wasser sinken, dann verschwand auch der erste Angreifer. Danjin fragte sich, ob er ihm eine tödliche Verletzung beigebracht hatte. Wenn er den Mann verwundet hatte, würde sein Gefährte vielleicht versuchen, ihn fortzubringen. Wenn er ihn nicht verletzt oder ihn getötet hatte, würde zumindest einer der Angreifer zurückkehren, um Rache zu üben.