»Es gibt keine …« Mirar brach ab, als ihm klar wurde, was sie meinte. Es gab keine Traumweberhäuser in Jarime, aber es gab einige Schutzhäuser - Häuser von Menschen, die den Traumwebern wohlwollend gegenüberstanden und ihnen Quartiere anboten.
Menschen wie Millo und Tanara Bäcker. Ein Frösteln überlief ihn, als er an das Ehepaar dachte, bei dem er in Jarime gewohnt hatte. Nur Freunde wussten, dass ihr Heim ein Schutzhaus war - bis ich kam. Dann wurde ich Traumweberratgeber der Weißen, und von da an müssen viel mehr Leute vom Schutzhaus der Bäckers gewusst haben. Ich hoffe nur, es war nicht ihr Haus, das niedergebrannt worden ist.
»Davon hatte ich noch nicht gehört«, sagte er. »Ich werde mich heute Nacht mit den nördlichen Traumwebern vernetzen, um möglichst viel über meine Freunde dort in Erfahrung zu bringen.«
»Was führt dich nach Dekkar?«, fragte ein junger Mann.
Mirar zuckte die Achseln. »Ich reise gern. Ich wollte den Süden sehen.«
»Du bist nicht fortgegangen, um dem Morden zu entkommen?«
Tintel schnalzte warnend mit der Zunge und warf dem Mann einen missbilligenden Blick zu. Mirar lächelte.
»Es ist eine durchaus angebrachte Frage«, erklärte er. »Ich wusste nicht, dass es dort so schnell derart schlimm werden würde. Ich bin froh, dass die Situation hier so gut ist, aber ich wünschte, ich könnte meinen Freunden helfen.«
Die Männer und Frauen am Tisch nickten mitfühlend.
»Das Leben ist gut hier für die Traumweber«, sagte einer der jungen Männer.
Mirar nickte. »Ich habe festgestellt, dass die Götterdiener…« Er suchte nach dem richtigen Wort. »… dass sie freundlich sind.«
»Sie verstehen sich nicht auf die Heilkunst, wie wir es tun«, erklärte eine junge Frau. »Und sie zahlen gut.«
»Die Götterdiener erlauben euch, sie zu heilen?«, fragte er überrascht.
Die Traumweber nickten.
»Ich habe gehört, im Norden seien Vernetzungen verboten. Ist das wahr?«, fragte die junge Frau.
»Ja.« Als Mirar sie ansah, lächelte sie. Etwas an ihrem Lächeln trieb ihn dazu, genauer hinzuschauen. Als er die unterschwelligen Botschaften in ihrer Körpersprache erkannte, beschleunigte sich sein Pulsschlag.
Ah. Sie weiß genau, was ihr an einem Mann gefällt, und sie hat keine Angst, es sich zu nehmen, dachte er. Es würde ihn nicht überraschen, wenn sie später zu ihm kam. Die Frage war, was würde er dann tun?
»Die Traumweber im Norden vernetzen sich überhaupt nicht?«, fragte jemand.
Er nickte dem jungen Mann zu. »Wir tun es durchaus, aber wir binden es den Zirklern nicht auf die Nase.«
Ein erheitertes Gemurmel wurde laut. Die junge Frau lächelte ihn immer noch an.
»Wenn du viel auf Reisen bist, hast du sicher nicht oft Gelegenheit, dich zu vernetzen. Wir könnten heute Nacht zusammenkommen.«
Es ist kein Zusammenkommen in Gedanken, was sie meint, ging es ihm durch den Kopf. Aber eine Gedankenvernetzung wäre ein großes Risiko. Ich habe zu viel zu verbergen … Obwohl ich ihnen jetzt, da Emerahl mir geholfen hat, die Fähigkeit zurückzugewinnen, meinen Geist abzuschirmen, zuhören können sollte, ohne mich zu offenbaren. Allerdings nicht heute Nacht.
»Danke, aber ich brauche unbedingt etwas mehr Schlaf«, erwiderte er.
Die anderen wirkten keineswegs gekränkt. Stattdessen musterte Tintel die junge Frau mit einem Stirnrunzeln, bevor sie sich mit entschuldigender Miene zu ihm umwandte, als mache sie sich Sorgen, dass er an dem Angebot Anstoß genommen haben könnte.
»Du musst Dardel verzeihen, sie ist oft etwas voreilig. Du kannst an einer Vernetzung teilnehmen, wenn du es wünschst, aber wenn du es nicht tust, werden wir dir deshalb keine Fragen stellen. Der Norden und der Süden sind Feinde, und vielleicht weißt du etwas, das Konflikte oder einen Krieg heraufbeschwören könnte, sollte es sich durch eine Vernetzung verbreiten und die falschen Leute erreichen.«
Überrascht von ihrem Scharfsinn dankte Mirar ihr für ihre Rücksichtnahme. Die übrigen Traumweber wandten sich wieder anderen Dingen zu, und er versuchte, ihrem Gespräch zu folgen, obwohl sie wieder in die einheimische Mundart verfallen waren. Schließlich erhoben sie sich vom Tisch und begannen, das Geschirr abzuräumen.
»Ich werde dich auf dein Zimmer bringen«, erbot sich Tintel. Sie führte ihn in einen Flur und dann eine Treppe hinauf. »Wenn du morgen Abend noch da bist, bist du herzlich eingeladen, dich nach dem Essen zu uns zu gesellen.«
»Vielen Dank. Ich werde vielleicht nicht viel zu sagen haben. Ein großer Teil der avvenschen Sprache ist mir immer noch unverständlich, und das Dekkarische ist für mich Neuland.«
»Wie lange willst du in Kave bleiben?«
»Das weiß ich nicht. Wie viel Zeit sollte ich für die Erkundung der Stadt einplanen?«
Sie lächelte. »Manche Leute meinen, man müsse ein volles Jahr bleiben, um Kave wirklich kennenzulernen, andere sagen, eine Stunde genüge. Wenn du die Zeit hast, darfst du bleiben, solange du willst.« Sie hielt vor einer geöffneten Tür inne. »Das ist dein Zimmer. Schlaf gut.«
Er dankte ihr noch einmal, dann trat er ein und zog die Tür hinter sich zu. Der Raum war schmal und enthielt nur ein Bett, einige Regale und einen kleinen Tisch. Er stellte seine Tasche neben die Regale, dann setzte er sich ans Fußende des Bettes. Es war noch zu früh, um zu schlafen, aber er verspürte den verzweifelten Wunsch, sich mit Arleej in Verbindung zu setzen. Sie würde wissen, was in Jarime geschah.
Schließlich stand er wieder auf und begann, sich auszuziehen. Er hatte gerade das Wams abgelegt, als es an der Tür klopfte.
Nachdem er die Tür geöffnet hatte, lächelte er, als er Dardel draußen stehen sah.
Sie war nicht schön, aber auch nicht unattraktiv. Einige Frauen waren einfach reizvoll. Es war eine Mischung aus ehrlichem, kühnem Interesse an Sex und einem kurvenreichen, weiblichen Körper, der Vergnügen verhieß. Man muss eine Frau einfach mögen, die weiß, was sie will und wie sie darum bitten muss.
Sie hielt eine große Schale und einen Krug mit Wasser in Händen. »Für dich«, sagte sie. »Um den Reisestaub abzuwaschen.«
»Danke.« Er nahm die Schüssel und den Krug entgegen und wandte sich ab, um wieder hineinzugehen.
»Wenn du Hilfe brauchst …?«
Hilfe beim Waschen? Er unterdrückte ein Lachen und drehte sich wieder um, um sie anzusehen. Sie lehnte jetzt am Türrahmen, die Arme unter ihren üppigen Brüsten verschränkt. Ein verschlagenes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Ich muss mit Arleej reden, rief er sich ins Gedächtnis. Ich muss herausfinden, ob Tanara und Millo Bäcker noch leben und unverletzt sind.
»Ich werde zurechtkommen, danke«, antwortete er.
Ihr Lächeln verblasste. »Wir reden dann morgen«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. Irgendwie brachte sie es fertig, ihre Worte wie ein Versprechen klingen zu lassen. »Schlaf gut.«
Als sich die Tür mit einem Klicken schloss, sog er tief den Atem ein und stieß ihn langsam wieder aus. Wie kann ich mich für diese Frau interessieren, obwohl…? Nein. Wie kann ich mir eine so dumme Frage stellen? Ich lebe. Ich mag Frauen. Leiard ist fort und kann mich nicht aufhalten. Warum sollte ich diese Frau Aurayas wegen abweisen?
Und doch hatte er es getan. Er war keineswegs so müde, und er hätte sich später mit Arleej in Verbindung setzen können. Das ist doch einfach dumm. Ich liebe Auraya, und ich könnte um ihretwillen alle anderen Frauen ignorieren, aber ich kann sie nicht haben. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie meine Liebe erwidert. Zumindest hat sie außer mir noch einen weiteren Geliebten gehabt. Was hindert mich also?
Er schüttelte den Kopf. Was mich hindert, ist die Hure, mit der sie mich nach der Schlacht gesehen hat. Damals erschien mir ihr Verhalten ungerechtfertigt, aber jetzt weiß ich, wie weh es ihr getan hat. Das möchte ich nicht noch einmal riskieren. Sollte es uns jemals gelingen zusammenzukommen, ohne dass die Götter einen von uns oder uns beide töten wollen, wäre es eine Ironie des Schicksals und ausgesprochen ärgerlich, wenn ich feststellen müsste, dass ich wieder alles verdorben habe.