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»Sie sind nicht ein und dieselben«, knurrte Nekaun mit zorndunklem Gesicht. »Meine Götter sehen nicht so aus wie diese. Sie klingen nicht einmal so wie sie.«

Was Auraya sagt, ist wahr, erklärte Chaia. Seine Gestalt veränderte sich, und plötzlich war er Sheyr. Die Stimmen starrten ihn entsetzt an.

»Das ist ein Trugbild!«, rief Nekaun aus.

Auraya drehte sich zu ihm um. »Du wirst die Wahrheit schon früh genug erfahren. Wenn die Götter deine magischen Gaben nicht stärken, wirst du schwächer sein. Du kannst nicht länger Gedanken lesen. Und unsterblich bist du ganz gewiss nicht.«

Ein Ausdruck der Unsicherheit trat in Nekauns Augen, und Auraya sah den gleichen Ausdruck auf den Gesichtern der Weißen.

»Es tut mir… leid«, sagte sie. »Aber wenn die Götter euch und die Stimmen weiterhin gegeneinander ausgespielt hätten, hättet ihr ohnehin nicht lange überlebt. Wenn ihr diesen Krieg fortführt, besteht natürlich eine gute Chance, dass ihr trotzdem sterbt.« Sie verzog das Gesicht. »Das ist eure Entscheidung. Ich werde euch weder helfen noch an irgendetwas hindern.«

Juran blickte von Auraya zu Chaia. »Ist das wahr?«

Ja.

Eine der Weißen stieß einen wortlosen Schrei des Zorns aus. Alle wandten sich zu der neuen Weißen, Ellareen, um, die Auraya mit vor Wut schneeweißem Gesicht anstarrte.

»Du«, fauchte sie. »Du Verräterin! Du verdienst es nicht zu leben!«

Sie machte eine abrupte Handbewegung, und ein weißes, pulsierendes Licht schnellte durch die Luft und prallte von Aurayas Barriere ab.

NEIN! AUFHÖREN!, schrien die Götter wie aus einem Munde. Yranna stellte sich vor Ella hin.

Wir brauchen die Magie, die du für den Angriff auf sie benutzt, um zu überleben, Ellareen. Würdest du uns töten, um uns zu rächen?

Ellareen starrte die Göttin wild an, dann schüttelte sie den Kopf. Sie trat einen Schritt zurück und sah Auraya mit hasserfüllten Augen an.

Dann drosch ein weiterer Angriff auf Aurayas Barriere ein, gefolgt von einem irren Lachen. Menschen und Götter brachen gleichermaßen in Protest aus, als sie sich der Quelle des Angriffs zuwandten. Nekaun lachte abermals, dann sandte er einen Schlag gegen Juran.

»Ihr Narren«, sagte er. »Ihr habt mir soeben erzählt, wie ich eure eigenen Götter töten kann!«

Chaia nahm wieder Sheyrs Gestalt an.

HALT!, befahl er. Nekaun lachte weiter.

»Darauf falle ich nicht noch einmal herein. Ich nehme an, du warst derjenige, der mich aufgehalten hat, als ich mich ein wenig mit Auraya amüsieren wollte. Nun, ich…«

Plötzlich taumelte er zurück, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Der Schauer, der bei seinen Worten über Aurayas Rücken gekrochen war, verebbte, als sie sah, dass die anderen Stimmen ihn mit ihrer Magie wegzogen. Er leistete ihnen Widerstand, konnte aber wenig ausrichten. Dann durchfuhr ihn plötzlich ein Ruck, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen, und er fiel bewusstlos zu Boden.

Sofort wandten sich die Stimmen wieder den Göttern zu, und alle lächelten befriedigt. Ein kurzes Schweigen folgte, dann sprach Juran Chaia an.

»Was wird aus den Sterblichen werden, wenn wir eure Leitung verlieren? Wie sollen wir verhindern, dass wir in gesetzloses Chaos stürzen?«

Jähe Zuneigung zu ihm stieg in Auraya auf. »Solange es gute Anführer wie dich gibt, Juran, werden die Sterblichen schon zurechtkommen.«

Chaia lächelte.

Sie hat recht.

»Und wenn ich sterbe?«, fragte Juran mit gepresster Stimme.

Der würdige Stellvertreter, den du auswählst, wird deinen Platz einnehmen.

Wir wählen ihn aus, korrigierte Huan ihn und trat vor, um Chaia wütend zu mustern. Dann wandte sie sich zu den Weißen und den Stimmen um. Eure Götter sind nicht tot. Wir leben! Ihr werdet hier einen Tempel erbauen. Ihr werdet hierherkommen, um unseren Rat zu suchen, was die Führung eurer Länder betrifft.

Chaia schüttelte den Kopf. Das Problem beim Krieg ist, dass die Mächtigsten und Skrupellosesten überleben. Sie geben keine angenehme Gesellschaft ab.

Huan sah ihn höhnisch an.

Du hast ebenfalls überlebt, stellte sie fest und wandte sich dann wieder an die Weißen und die Stimmen. Eine neue Ära der Zusammenarbeit muss beginnen. Ihr werdet hier einen Tempel errichten und Priester ernennen, die uns dienen. Ihr werdet eure stärksten Zauberer als Wachen hierlassen, während…

Auraya hörte nicht mehr zu, als sie Chaias Blick auffing.

Sie ist eine Närrin, sagte er. Wenn nicht einer deiner Freunde zurückkehrt, um uns den Rest zu geben, werden wir irgendwann doch zugrunde gehen. Es kostet nicht viel Energie, um unsere Existenz aufrechtzuerhalten. Wir könnten vielleicht sogar lange genug leben, um diesem Gefängnis zu entrinnen, aber wir wären dann nicht mehr dieselben. Die meisten der Götter, die wir in Leere Räume eingesperrt haben, haben den Verstand verloren, Auraya. Wir brauchen die Sterblichen als Verbindung mit der Welt der Dinge.

Gewissensbisse durchzuckten sie. »Es tut mir leid, dass ich dir misstraut habe. Ich hätte begreifen müssen, dass du das nicht warst. Aber gib die Hoffnung nicht auf. Viele Sterbliche werden hierherkommen. Sie werden diesen Tempel bauen, den Huan verlangt. Sie werden verhindern, dass du dem Wahnsinn anheimfällst.«

Er nickte.

Ja. Das werden sie tun. Wirst du es ebenfalls tun?

Sie zögerte, dann nickte sie. »Für dich werde ich es tun.«

Chaia lächelte.

Es ist gut, das zu wissen. Wenn Huan nicht wäre, würde ich dir das Versprechen abnehmen zurückzukommen. Aber wir beide wissen, dass Huan dir weiterhin nach dem Leben trachten wird, selbst aus dem Leeren Raum heraus. Was mich betrifft, so bin ich es schon vor tausend Jahren müde geworden, ein Gott ohne Körper zu sein. Ich würde lieber überhaupt nicht existieren, als tausend Jahre hier in ihrer Gesellschaft gefangen zu sein.

Aurayas Herz setzte einen Schlag aus. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr auf. »Sprich nicht so, als würdest du sterben, Chaia. Ich werde eine Möglichkeit finden, den Leeren Raum zu heilen. Es muss einen Weg geben.«

Chaia streckte die Hand aus und strich über ihre Wange; seine Berührung war gleichzeitig fremd und vertraut.

Tu das, Auraya. Es wäre in jedem Falle gut. Und benutze niemals das Wissen, das Huan dir offenbart hat. Das Leben als Gott ist nicht so herrlich, wie wir es die Sterblichen gern glauben machen. Ich habe schreckliche Dinge getan, aber ich bedaure es nicht, dich geschützt und gefördert zu haben. Lebwohl, Auraya.

Er trat von ihr zurück. Verwirrt konzentrierte sie sich auf die Magie um die Götter herum, weil sie erwartete, dass sie ersterben würde. Aber was übrig blieb, war noch genug, um Chaia und die anderen am Leben zu erhalten. Dann spürte sie, wie alle Magie auf Chaia zuströmte.

Und endlich begriff sie, was er tat.

»Chaia! Nicht!«

Grelles Licht blendete sie. Obwohl sie nichts sehen konnte, konnte sie die Götter immer noch spüren. Sie spürte, wie sie einer nach dem anderen verschwanden, Huan mitten im Satz. Chaia erlosch als Letzter, aber nicht bevor sie seine letzten drei Worte hörte.

Vergiss mich nicht.

51

Als die leuchtenden Gestalten zwischen den Weißen, den Stimmen und Auraya erschienen waren, hatte Reivan zuerst Ehrfurcht, dann Angst verspürt. Sie zweifelte nicht daran, dass sie Götter waren, aber welche Götter waren sie?