Выбрать главу

Auraya wandte den Blick ab. »Das Gedankenabschöpfen ist ganz ähnlich wie das Gedankenlesen. Manchmal erfährt man Dinge, die man lieber nicht gewusst hätte.«

»Ah.« Jade warf die Vögel auf den Kochstein zwischen den Betten. »Glaub mir, das Zuviel an Wissen ist ein vertrauter Fluch für uns Unsterbliche.«

»Ebenso wie die Kenntnis des Geheimnisses der Unsterblichkeit?«

Jade sah Auraya mit zusammengekniffenen Augen an. »Nein, das ist ein Wissen, das zu haben ich nicht bedaure.« Sie spitzte die Lippen. »Und es ist ein Wissen, an dem du ebenfalls Anteil hast. Du musst lediglich ein wenig Zeit darauf verwenden, darüber nachzudenken.«

Jade hatte recht. In den Augen der Götter war der Umstand, dass sie sich auf die magische Heilung verstand, beinahe ebenso vernichtend wie das Wissen um die Unsterblichkeit. Und Huan hatte Auraya gestattet, das Heilen mit Magie zu erlernen, um die anderen Götter davon zu überzeugen, dass man sie töten sollte.

»Ich brauche Zeit zum Nachdenken? Das ist alles, was dazu erforderlich ist?«

»Ja.« Jade lächelte. »Betrachte alles, was Mirar dich über das Heilen eines Körpers durch Magie gelehrt hat. Dann brauchst du dieses Wissen nur noch auf deinen eigenen Körper anzuwenden. Tritt in einen dauerhaften Zustand der Erneuerung ein, und du brauchst niemals zu altern oder zu sterben. Mirar sagte, du hättest das Heilen mühelos erlernt; dies hier sollte genauso selbstverständlich für dich sein. Aber denk nicht jetzt darüber nach«, fügte sie mit plötzlich nüchternem Tonfall hinzu. »Du musst nämlich diese gefiederten Lieblinge rupfen und ausnehmen, während ich ein wenig Gemüse holen gehe.«

Das Haus roch schwach nach schalem Schweiß und Moder, ein Geruch, der sich in den Duft von reinigenden Kräutern mischte. Danjin ging die Treppe hinauf und versuchte, nicht allzu tief einzuatmen.

Ella hatte einige Räume in einem Haus gegenüber dem Hospital gemietet. An dem Zustand, in dem die Räume waren, ließ sich nichts ändern. Man sollte von dort aus die Menschen sehen können, die am Hospital vorbeigingen, und da das Hospital nun einmal im Armenviertel lag, waren die meisten Gebäude dort ausgesprochen schmutzig. Ella schien der Gestank nichts auszumachen. Das Essen, das die Frau des Hausbesitzers ihr brachte, rührte sie jedoch nicht an, und Danjin ließ sich das zur Warnung gereichen. Wenn jemand, der Gedanken lesen konnte, eine Mahlzeit lieber stehen ließ, dann war es immer klug, seinem Beispiel zu folgen.

Ella hatte Danjin versichert, dass der Hausbesitzer und seine Frau nicht über ihre Gäste reden würden. Nachdem sie die wütenden Menschenmengen, die sich vor dem Hospital versammelten, gesehen und von den Morden an Traumwebern gehört hatten, würden ihre Gastgeber nicht das Risiko eingehen, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Die Gasse hinter dem Haus wurde von Obdachlosen und Tagedieben freigehalten. Ella und Danjin kamen jeden Tag in einem gewöhnlichen Plattan dort an und gingen durch den Hintereingang ins Haus, und Ella saß dann einige Stunden am Fenster und beobachtete die Menschen auf der Straße unter ihnen. Sie hatte gestern in den Gedanken eines Mannes den Plan gelesen, den Eingang des Hospitals zu blockieren, und sie hatte diese Absicht durchkreuzen können, indem sie verhinderte, dass Botschaften zwischen den Unruhestiftern überbracht werden konnten.

Die Nachricht von dem jüngsten Mord an einem Traumweber und vom Verschwinden seines Schülers hatte sie enttäuscht und wütend gemacht. Sie hatte den Traumweber gekannt und respektiert, obwohl sie sich an seinen Schüler kaum erinnern konnte. Danjin wusste, wie sehr ihr dieses Ereignis zusetzte. Sie hatten gehofft, solche Verbrechen in Zukunft verhindern zu können, indem sie die Menschen in der Nähe des Hospitals beobachteten. Seit der Ermordung des Traumwebers versah Ella ihre Pflicht mit noch größerem Ingrimm.

Als Danjin die Treppe erklommen hatte, ging er zu der letzten Tür im Flur hinüber und klopfte an. Ein leises Klicken war zu hören, dann schwang die Tür nach innen auf. Ella saß wie gewöhnlich am Fenster.

»Komm herein, Danjin Speer«, sagte sie.

Danjin schloss die Tür hinter sich und blickte zu Ella hinüber, die sich gerade die Schläfen rieb.

»Du wirkst gequält, Ellareen von den Weißen.«

Sie verzog das Gesicht. »Die vielen Stunden des Gedankenlesens kosten Kraft.« Sie richtete sich auf. »Ich bin zu einigen Schlussfolgerungen gelangt. Nimm Platz und sag mir, was du davon hältst.«

Er ließ sich auf einem klobigen Holzstuhl nieder, dessen Unbequemlichkeit von einigen abgewetzten Kissen nur geringfügig gemildert wurde. Ella blickte wieder aus dem Fenster, und ihre Augen wurden schmal. »Ich habe bereits einmal erwähnt, dass der Mörder, den wir befragt haben, die Traumweber nicht nur hasste, sondern sie auch fürchtete. Du erinnerst dich? Ich habe nach dem Grund geforscht, aus dem die Menschen die Traumweber fürchten. Es war sehr interessant. Sie fürchten keine einzelnen Traumweber, und ebenso wenig fürchten sie die Traumweber im Allgemeinen. Die Traumweber waren schon immer zu gering an Zahl, um eine Bedrohung darzustellen; auch gebrach es ihnen an Einfluss und Ehrgeiz. Was die Menschen fürchten, ist, dass dies sich verändern wird.« Sie sah Danjin an. »Sie fürchten, dass Mirars Rückkehr die Traumweber gefährlich machen wird.«

»Also wird das Hospital wieder sicher sein, sobald dieses Gerücht stirbt.«

Ella schüttelte den Kopf. »Es wird nicht sterben. Mirar ist zurückgekehrt.«

Er starrte sie entsetzt an. Mirar, der unsterbliche Anführer der Traumweber, lebte? Jetzt verstand er, was jene, die das Gerücht glaubten, empfinden mussten. Wer würde keine Furcht empfinden angesichts des Wissens, dass der legendäre, unsterbliche Feind der Götter noch lebte? Um unsterblich zu sein, musste ein Zauberer über ungeheure Gaben verfügen. Juran, der mächtigste der Auserwählten der Götter, hatte seinerzeit den Auftrag bekommen, Mirar hinzurichten. Alle glaubten, dass er seine Aufgabe mit Erfolg erfüllt hatte. War das eine Lüge gewesen, oder war Juran getäuscht worden?

»Wie konnte er überleben?«, fragte er Ella.

»Mirar wurde begraben und sein Körper zerschmettert, aber mit seiner heilenden Magie konnte er genug von sich selbst bewahren, um sich später zu erholen. Er unterdrückte sein eigenes Wissen um seine wahre Identität und konnte sich auf diese Weise vor den Göttern verstecken.«

Er hatte sich ein Jahrhundert versteckt. Hatte auf seine Chance gewartet, um… um was zu tun?

»Warum hat er sich jetzt offenbart?«, fragte Danjin, wobei er ebenso zu sich selbst sprach wie zu Ella. »Hat er es absichtlich getan?«

Ella lächelte. »Nein.«

»Was ist geschehen?«

Sie wandte den Blick ab. »Es steht mir nicht frei, dir das zu erzählen. Noch nicht.«

Danjin lächelte und nickte. »Aber es gibt noch mehr zu erzählen.« Über diesen Umstand würde er später nachdenken. Fürs Erste konnte er ihr nur aufgrund der Informationen, die sie ihm gegeben hatte, einen Rat erteilen. »Die meisten Menschen werden sich nicht sicher sein, ob das Gerücht der Wahrheit entspricht oder nicht«, überlegte er laut. »Deine Sorge gilt jenen, die es glauben und denen der Gedanke so zuwider ist, dass sie Traumweber und das Hospital angreifen.«

Sie nickte. »Die Angst der Menschen vor Mirar sitzt tief. Einige von ihnen wagen es sogar nicht einmal mehr, sich von einem Traumweber helfen zu lassen, aus Furcht, der Betreffende könnte Mirar sein. Vielleicht könnten wir Bilder von ihm malen lassen, damit die Leute wissen, dass der Traumweber, den sie zu Rate ziehen, ein ganz gewöhnlicher Mann ist.«

»Die Leute, die ins Hospital kommen, sind nicht diejenigen, um die du dir Sorgen machen musst«, bemerkte er. »Ich bezweifle, dass die Unruhestifter auch nur erwägen würden, die Hilfe von Traumwebern zu suchen. Du sagtest, die Menschen fürchteten, dass die Traumweber sich unter Mirars Einfluss verändern könnten. Das ist die Furcht, die sie dazu treibt zu töten.«

»Wie kann ich dagegen ankämpfen?«, fragte sie stirnrunzelnd. »Ich könnte ihnen sagen, dass wir die Traumweber mühelos aufhalten werden, sollten sie sich gegen uns stellen, aber warum sollten die Menschen mir glauben? Wenn sie auch nur das geringste Zutrauen in uns hätten, würden sie jetzt niemanden angreifen.«