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Es ist eine grausame Ironie, dass ich, der Mann, der dieses Ritual erfunden und die Lebensweise dieser Menschen begründet hat, jetzt zögere, mich ihnen anzuschließen, dachte er. Aber es gibt vieles, was ich von ihnen lernen kann und was mir Aufschluss über die Menschen Südithanias geben würde. Es ist das Risiko wert.

Der Griff des Mannes, der seine rechte Hand hielt, wurde jetzt kräftiger, dann begann die Hand zu seiner Linken zu zucken. Vorsichtig und darauf bedacht, den Schild um seine Gedanken stark zu halten, suchte er nach dem Geist der Menschen um sich herum. Schon bald konnte er Stimmen hören und Bruchstücke von Erinnerungen sehen.

Er sah die Erinnerung eines Traumwebers, der ein krankes Baby untersucht hatte. Der Säugling hatte unterentwickelte und deformierte Organe, und kein gewöhnlicher Traumweber konnte ihn heilen. Der Vater war ein pentadrianischer Götterdiener, wie Mirar zu seinem Erschrecken erkannte. Der Traumweber hatte dem Mann die schlimmen Neuigkeiten überbracht. Der Pentadrianer hatte seine Worte akzeptiert und gesagt, dass niemand dem Kind helfen könne, wenn ein Traumweber es nicht vermochte …

… Steuern wurden in diesem Jahr erhoben, wahrscheinlich, um den Bau der Brücke zu bezahlen. Ein Diener der Götter hatte die Rechnungsbücher des Traumweberhauses in Augenschein genommen und war mit dem Ergebnis zufrieden, und er hatte nur eine kleine Bestechung gefordert. Er war trotzdem dankbar für den Rat gewesen, den man ihm und seiner Frau gegeben hatte, was ihre Eheprobleme betraf, nicht ahnend, dass es sich dabei um etwas höchst Alltägliches handelte …

… Wasser plätscherte über die Ränder der Plattform, auf der das Traumweberhaus erbaut war. Die Flut hatte letztes Jahr gedroht, bis in das Gebäude vorzudringen. Wie würde es dieses Jahr werden …

… wo einst riesige Bäume gestanden hatten, waren jetzt nur noch verkohlte Stämme inmitten der Ernten übrig geblieben. Erinnerungen an den früheren Wald und die neuen Felder überlappten einander. Schockierend, aber die Einheimischen mussten leben. Das Problem war, dass er diese kleine Pflanze mit den rosafarbenen Blüten nicht hatte wiederfinden können. Hoffentlich war das nicht der einzige Ort, an dem sie …

… sie ist so schön. Das Bild eines nackten Körpers schien auf und wurde hastig wieder unterdrückt …

… wohin würde er dann gehen? Nach Norden, den Golf hinauf? Unwahrscheinlich. Zurück nach Westen? Eher nicht. Was, wenn er nach Süden ging? Was, wenn er irgendwo hier in der Nähe ist? Er könnte gerade jetzt in ebendiesem Innenhof sein …

… diese Geschichten, nach denen Mirar zurückgekehrt sei, gründlich überdenken. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich sie glaube. Wenn Mirar wieder da ist, warum hat ihn dann keiner von uns gesehen? Nein …

Mirar unterdrückte den Drang, laut aufzulachen. Selbst während einer Gedankenvernetzung tratschten die Traumweber noch über seine Rückkehr. Aber dann wurde er wieder ernst. Sie hielten nach ihm Ausschau. Er musste vorsichtig sein.

Oder vielleicht nicht? Wäre es wirklich so schlecht, wenn er seine Identität bekannt werden ließe?

Während die Vernetzung ihren Gang nahm, hörte er zu und beobachtete. Wie immer erregten die Erinnerungen einer Person die Aufmerksamkeit der anderen. Ratschläge wurden erteilt, Trost zugesprochen. An einer Stelle tauchte ein Traumweber in Erinnerungen an ein Fest in der Stadt ein, das vor kurzem stattgefunden hatte, und die anderen sahen voller Interesse zu. Niemand schien auf Mirars eigene Gedanken einzugehen, und dann hörte er Tintel bemerken, dass er sich der Vernetzung nicht angeschlossen habe. Es hat funktioniert, überlegte er voller Erleichterung.

Eine Weile später läutete Tintel das Ende der Vernetzung ein. Die Traumweber zogen ihren Geist zurück, lenkten ihr Bewusstsein wieder auf die eigene Person und versicherten sich dabei ihrer Identität. Mirar öffnete die Augen und ließ die Hände, die er gehalten hatte, los. Die Traumweber um ihn herum taten dasselbe. Er bemerkte, dass eine Frau ihn beobachtete.

Dardel. Sie lächelte und zwinkerte ihm zu, so auffällig wie eh und je. Er erwiderte ihr Lächeln, bis etwas an seinen Gedanken zupfte. Er suchte danach, aber es war bereits fort.

Vermutlich versucht irgendjemand, sich über eine Traumvernetzung mit mir in Verbindung zu setzen.

Einige Traumweber blieben zurück und fanden sich zu kleinen Gruppen zusammen, um miteinander zu reden. Andere verabschiedeten sich. Mirar schlüpfte davon, ging in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Als es einigermaßen still um ihn herum wurde, spürte er wieder die Berührung in seinem Geist.

Er legte sich auf sein Bett und ließ sich in eine Traumtrance sinken. Dort verweilte er für einige Minuten. Gerade als er sich zu fragen begann, ob er sich geirrt hatte, erklang am Rand seiner Gedanken eine vertraute Stimme.

Mirar?

Emerahl.

Endlich! Was hat dich so lange aufgehalten?

In ihrem Tonfall lag ein Anflug von Hinterhältigkeit, und er ertappte sich dabei, dass er an Dardel dachte. Gewissensbisse stiegen in ihm auf.

Eine Vernetzungszeremonie, antwortete er.

Eine Vernetzungszeremonie? Ich dachte, du wolltest sie vermeiden?

Ich habe nur teilgenommen. Ich konnte den Gedanken der anderen lauschen.

Hast du etwas Nützliches in Erfahrung gebracht?

Vielleicht. Wie geht es Auraya?

Ein guter Freund würde zuerst fragen, wie es mir geht.

Ich bin kein guter Freund. Wie geht es dir?

Besser. Ich werde bald von hier fortgehen.

Du hast sie in das Geheimnis der Unsterblichkeit eingeweiht?

Ja und nein. Ich habe es ihr erklärt, aber ich habe sie nicht unterrichtet. Ich kann sie nicht dazu zwingen, es zu lernen, wenn sie es nicht will. Und sie will es nicht.

Das kann ich mir vorstellen. Die Enttäuschung traf ihn stärker, als er gedacht hätte.

Sie wird es wahrscheinlich selbst herausfinden, sollte sie jemals ihre Meinung ändern.

Das wird sie tun. Und es wird ihr mühelos gelingen.

Davon bin ich überzeugt, stimmte Emerahl ihm zu.

Dann hast du deine Meinung über sie also geändert?

Ich habe nie behauptet, dass sie nicht klug sei.

Aber du magst sie jetzt ein wenig mehr.

Was bringt dich auf diese Idee?

Du hast aufgehört, im Zusammenhang mit ihr Worte zu benutzen wie »in die Götter vernarrt« und »voller Selbstmitleid«.

Ach ja? Vielleicht bin ich es leid, mich zu wiederholen. Ich sollte mir bessere Schmähungen einfallen lassen.

Das solltest du wirklich.

Oder vielleicht ist die Reihe jetzt an dir. Ich habe schlechte Neuigkeiten für dich. Ich habe den Zwillingen versprochen, sie dir schonend beizubringen, aber ich bin mir nicht sicher, wie ich das tun soll.

Er stutzte. Es war schwer zu sagen, ob sie sich einen Scherz mit ihm erlauben wollte oder ob sie es ernst meinte.

Ich bin an deine Direktheit gewöhnt, Emerahl. Welche Neuigkeiten hast du für mich, die so schrecklich sind?

Sie schwieg einen Moment lang, und als sie weitersprach, tat sie es mit leiser Stimme.