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Aurayas Augen leuchteten auf. »Du veränderst deine Position in Bezug zur Welt. Mit Hilfe von Magie.«

Emerahl starrte Auraya an; sie wusste, dass ihr Gesicht absolutes Unverständnis ausdrückte, aber es war ihr gleichgültig. In Aurayas Zügen zeichnete sich Enttäuschung ab.

»Die Klippe könnte die einzige Möglichkeit sein. Vielleicht musst du dich nur über einen gewissen Zeitraum hinweg sehr schnell bewegen, um dich …«

»Ich werde es weiter versuchen«, erwiderte Emerahl.

Eine Weile später hörte sie auf. Ihre Knie und Knöchel schmerzten. Ihr Körper sagte ihr, dass Stunden verstrichen waren, aber die Welt, die sie immer noch nicht zu spüren vermochte, hielt irgendwie die Illusion aufrecht, es sei noch früh am Morgen.

»Es funktioniert nicht«, murmelte sie vor sich hin. »Es muss einen anderen Weg geben.«

»Wenn wir einen steilen Hang fänden, könnten wir eine Rutschbahn für dich hineinkerben«, schlug Auraya vor. »Das wäre beinahe wie ein Sturz.«

Ein Sturz? Emerahls Haut begann zu kribbeln, als ihr plötzlich eine Idee kam. Sie drehte sich um und betrachtete den Wasserfall. Der Teich darunter war tief. Als Kind war sie mit großer Begeisterung in den Ozean gesprungen …

»Es wird kalt sein«, warnte Auraya, die Emerahls Absicht erraten hatte.

»Wenn ich den Ozean im Winter aushalten kann, werde ich mit dieser kühlen kleinen Pfütze ebenfalls fertig«, erwiderte Emerahl.

Sie holte ein Seil aus der Höhle. Der Aufstieg zu den Felsen über dem Wasserfall war nicht einfach. In den Ritzen war in der feuchten Umgebung reichlich Moos gewachsen, so dass man sich nur mit Mühe festhalten konnte. Oben angekommen, band Emerahl das Seil an einen Baum, dann knotete sie Schlaufen hinein, um es wie eine Strickleiter benutzen zu können.

Sie ging zum Fluss hinüber und trat in das Wasser. Die Strömung zog an ihren Beinen, als wolle sie sie aus dem Gleichgewicht bringen. Am Rand des Wasserfalls war der Sog besonders beharrlich und gab sich alle Mühe, sie davon zu überzeugen, dass sie in keine andere Richtung gehen konnte als über den Rand.

Beim ersten Mal werde ich mich einfach darauf konzentrieren, den Sprung richtig hinzubekommen - ohne auf den Grund des Teichs zu schlagen und dabei das Bewusstsein zu verlieren.

Sie schloss die Augen und sandte ihren Geist zurück in eine Zeit, als sie jünger gewesen war - viel jünger - und da die eingebildeten Ungeheuer, die in den dunklen Ecken ihres Elternhauses lauerten, ihr mehr Angst gemacht hatten als die Vorstellung, sich von einer Klippe in den wilden Ozean zu stürzen.

Schließlich öffnete sie die Augen, beugte die Knie, ließ sich nach vorn fallen und sprang in die gischterfüllte Luft.

Der Teich schoss ihr entgegen und traf sie mit schockierender Kälte. Als das kühle Wasser sie umgab, wölbte sie instinktiv den Körper vor, um den Sprung zu verkürzen. Ihre Knie schlugen auf dem Grund des Teiches auf.

Dann schwamm sie zur Oberfläche empor. Ihre durchweichten Sandalen klebten an ihren Füßen, als sie zum Ufer watete. Sie zog Magie in sich hinein und erwärmte die Luft um sich herum.

Auraya saß auf einem Felsbrocken in der Nähe. Sie lächelte und zog eine Augenbraue hoch.

»Ich hab’s nicht mal versucht«, erklärte Emerahl. »Ich wollte zuerst den Sprung richtig hinbekommen.«

Auraya betrachtete das Seil, das an der Klippe herabhing. Sie öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder und zuckte die Achseln.

Emerahl, die sich jetzt wärmer fühlte und den Rausch ihres Sprungs noch immer auskostete, schleuderte die Sandalen von den Füßen und ging auf ihre provisorische Leiter zu.

Wenn ich schon von Klippen springen muss, um das zu lernen, dachte sie, kann ich genauso gut meinen Spaß dabei haben.

Danjin öffnete die Tür und zögerte. Auf dem Haar und den Kleidern der beiden Traumweber glänzten Regentropfen, und um ihre Stiefel herum bildeten sich Pfützen. Raeli folgte seinem Blick und lächelte schwach.

Eine warme Brise berührte Danjins Haut. Von den Kleidern der Traumweber stieg Dampf auf, und einen Moment später waren beide trocken.

»Wir sind hier, weil Ellareen von den Weißen uns darum gebeten hat«, sagte Raeli. »Dies ist Traumweber Kyn, der Ersatz für Traumweber Fareeh.«

»Willkommen«, erwiderte er. »Ellareen von den Weißen erwartet euch.«

Danjin geleitete die Traumweber hinein. Ella stand neben dem Tisch, wenige Schritte entfernt von dem Sitzmöbel, das sie voller Zuneigung ihren »Spionierstuhl« getauft hatte. Einen Moment lang sah er sie, wie diese Traumweber sie sehen mussten: eine junge zirklische Heilerin, die sie kannten und mit der sie zusammengearbeitet hatten, durch schmucklose, weiße Roben, elegant frisiertes Haar und die Gunst der Götter in eine beeindruckende, mächtige Frau verwandelt.

»Traumweberratgeberin der Weißen, Raeli«, stellte Danjin die Frau in seiner Begleitung vor. »Und Traumweber Kyn. Dies ist Ellareen von den Weißen.«

Ella lächelte die beiden an. »Danke, dass ihr hergekommen seid. Ich entschuldige mich für die bescheidene Umgebung. Nehmt Platz, wenn ihr wollt.«

Als die Traumweber sich auf den Stühlen niederließen, setzte Ella sich auf ihren Platz am Fenster. Weitere Stühle gab es in dem Raum nicht, daher blieb Danjin stehen.

Die Traumweber wirkten gelassen und entspannt. Er hatte Raeli seit Aurayas Rücktritt nicht häufig gesehen, nicht einmal im Vorbeigehen im Turm. Der Traumweber, der mit ihr gekommen war, war ein Mann in mittleren Jahren mit magerem Gesicht und kurzem Bart. Er erinnerte Danjin ein wenig an Leiard.

»Wie können wir dir helfen, Ellareen von den Weißen?«, fragte Raeli.

Ella lächelte. »Ich hatte gehofft, dass ich vielleicht euch helfen könnte. Vor einigen Wochen wurde ich mit der Aufgabe betraut, eine Möglichkeit zu finden, den Gewalttaten gegen Traumweber und das Hospital ein Ende zu machen.« Falls diese Neuigkeit die beiden Gäste freute, ließen sie sich nichts davon anmerken, wie Danjin feststellte. »Auf Anraten meines Ratgebers, Danjin Speer, habe ich mich mit den Gründen beschäftigt, warum die Menschen euch und dem Hospital Böses wollen. Deshalb habe ich diesen Raum benutzt.« Sie blickte zum Fenster hinüber. »Um die Gedanken derer zu beobachten, die am Hospital vorbeigehen.«

Die beiden Traumweber zogen die Augenbrauen hoch.

»Hast du dabei etwas Nützliches entdeckt?«, fragte Raeli.

»Allerdings. Ich brauche euch nicht darauf hinzuweisen, dass einige Bewohner dieser Stadt eine überaus unvernünftige Abneigung gegen Traumweber hegen.« Ellas Gesichtsausdruck war jetzt ernst. »Diese Abneigung gibt es schon seit langer Zeit und liefert keine Erklärung für die jüngsten Angriffe. Ich vermute, dass vor einigen Monaten etwas geschehen sein muss, das die Meinung der Menschen geändert hat.« Sie hielt inne und blickte von einem Traumweber zum anderen. »Ich glaube, der Grund dafür ist die Neuigkeit, dass Mirar noch lebt.«

Raeli sah sie scharf an. »Ein Gerücht«, sagte sie. »Mehr nicht.«

Ella nickte. »Ein Gerücht, dem einige Leute so viel Glauben schenken, dass sie anfangen, Traumweber zu töten.«

»Möchtest du, dass wir das Gerücht bestreiten?«, wollte Kyn wissen. »Sie werden uns nicht glauben.«

»Das ist wahr«, gab Ella ihm recht. »Manche Menschen werden immer nur das glauben, was sie glauben wollen. Die meisten sind jedoch lediglich Mitläufer, die sich ohne weiteres dazu hinreißen lassen, gegen das Gesetz zu verstoßen. Genauso leicht kann man sie jedoch wieder auf den Boden des Gesetzes zurückholen. Wir müssen die Anführer finden, uns aber gleichzeitig darum bemühen, ihre Anhänger wieder auf unsere Seite zu ziehen. Um das zu erreichen …« Ella hielt inne und blickte zum Fenster hinüber. Dann runzelte sie die Stirn und wandte sich wieder zu den Traumwebern um. »Um das zu erreichen, müssen wir ihre Ängste lindern. Und diese Ängste gelten, wie ich erfahren habe, der Frage, was geschehen wird, wenn Mirar seinen Einfluss auf die Traumweber zurückgewinnt. Die Menschen befürchten, dass die Traumweber unter seiner Führung zu einer gefährlichen Größe werden könnten.«