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Raeli schürzte die Lippen, während sie über Ellas Worte nachdachte. Schließlich sah sie zu Kyn hinüber, der besorgt die Stirn runzelte.

»Du möchtest, dass wir die Menschen vom Gegenteil überzeugen?«, fragte er. »Aber auch das werden sie uns nicht glauben.«

Danjin erwartete, dass Ella dies bestreiten würde, aber sie sagte nichts. Er sah sie an und stellte fest, dass sie wieder aus dem Fenster starrte. Als sie sich umdrehte, lag ein geistesabwesender Ausdruck auf ihrem Gesicht, der jedoch schnell wieder verschwand.

»Nein«, erwiderte sie und sah Kyn dabei fest in die Augen. »Ihr sollt deutlich machen, dass ihr nichts mit Mirar zu tun haben wollt. Dass die Traumweber hundert Jahre lang ohne ihn zurechtgekommen sind und dies auch in Zukunft tun werden.« Sie wandte sich an Raeli, die den Mund geöffnet hatte, um zu protestieren. »Habt ihr diesen verschwundenen Traumweberschüler bereits gefunden?«

Raeli schloss den Mund, dann schüttelte sie den Kopf. »Wir glauben, dass er tot ist.«

Ella verzog das Gesicht. »Armer Ranaan.« Sie seufzte. »Ich weiß, mein Vorschlag erzürnt euch, aber ich frage euch: Was ist wichtiger, das Leben eurer Anhänger oder eure Ergebenheit einem Mann gegenüber, der euch über hundert Jahre lang euch selbst überlassen hat und der jetzt nicht hier sein kann, um euch zu helfen, gegen die Gewalttätigkeiten zu kämpfen, die seine Rückkehr… entschuldigt mich bitte.« Ihre Augen weiteten sich, und sie stand auf und wandte sich gleichzeitig zum Fenster, dann wirbelte sie herum, ging mit langen Schritten auf die Tür zu und verließ den Raum.

Die beiden Traumweber sahen Danjin fragend an. Er zuckte die Achseln, um zu zeigen, dass er keine Erklärung für Ellas Verhalten habe, dann eilte er ihr nach.

Sie stand bereits am Fuß der Treppe. Als er die Stufen hinunterging, hielt sie inne und blickte zu ihm auf.

»Bleib hier, Danjin.«

Dann war sie fort. Er kehrte widerstrebend in den Raum zurück. Raeli war ans Fenster getreten und schaute auf die Straße hinunter.

»Ich sehe nichts Ungewöhnliches«, sagte sie.

Als Danjin sich zu ihr gesellte, sah sie ihn an und machte ihm Platz. Er blickte nach draußen und sog hastig die Luft ein. Ella war auf die Straße getreten. Die Passanten blieben stehen und musterten sie überrascht, aber sie ignorierte sie. Stattdessen ging sie zu einem Brotverkäufer hinüber, der an seinem Karren lehnte. Als dem Mann klar wurde, dass sie auf ihn zukam, richtete er sich auf und sah sich nach beiden Seiten um, als halte er Ausschau nach einem Fluchtweg. Dann wandte er sich ihr zu, wobei er den Blick auf den Boden gerichtet hielt.

Sie richtete einige Worte an ihn, und mit einem Mal stand ein Ausdruck des Entsetzens auf seinen Zügen. Dann drehte sie sich um und ging davon. Der junge Mann zögerte und sah sich noch einmal um. Ella blickte hinter sich und begann abermals zu sprechen. Die Schultern des Brotverkäufers sackten herab, und er schlurfte hinter ihr her.

Als die beiden aus seinem Blickfeld verschwanden, trat Danjin vom Fenster zurück. Sie muss einige seiner Gedanken aufgefangen und etwas Wichtiges darin gelesen haben. Etwas sehr Wichtiges. Aus keinem geringeren Grund wäre sie das Risiko eingegangen zu offenbaren, dass sie den Menschen vor dem Hospital heimlich nachspioniert hatte.

Die Stille im Raum wurde zunehmend peinlich. Danjin begann, den beiden Traumwebern höfliche Fragen zu stellen. Wie es Raeli seit dem Krieg ergangen war? Wo Kyn geboren worden war? Der Traumweber stammte aus Dunwegen, wie sein Name vermuten ließ, aber seine Mutter war Genrianerin. Es war eine ungewöhnliche Abstammung, und Danjin vermutete, dass sich der Mann, indem er sich den Traumwebern anschloss, den Respekt erworben hatte, den man einem Mischling wie ihm andernfalls weder in Dunwegen noch in Genria je entgegengebracht hätte.

Als das Geräusch einer zufallenden Tür durch das Haus hallte, hielt Danjin inne, um zu lauschen. Er hörte ferne Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Dann näherten sich Schritte.

Die Tür wurde geöffnet, und Ella trat ein.

»Bitte entschuldigt, dass ich euch so abrupt allein gelassen habe«, sagte sie. »Ich habe nur gerade jemanden gefunden, nach dem ich gesucht hatte, und konnte nicht riskieren, dass er weiterging, bevor ich eine Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden.« Sie setzte sich und strich ihren Zirk glatt. »Und nun … ich habe euch gebeten hierherzukommen, um euch über die Ergebnisse meiner Nachforschungen in Kenntnis zu setzen.« Ihre Miene wurde ernst. »Ich hoffe, ihr werdet meinen Rat annehmen, aber ich würde es auch verstehen, wenn ihr es nicht tut. Es ist gewiss nicht leicht. Ihr könnt euch mit Mirar in Verbindung setzen, wenn ihr euch dafür entscheidet, meinen Rat anzunehmen, und ihm erklären, dass es notwendig ist - und nur eine vorübergehende Maßnahme.«

Sie lächelte und sah die beiden Traumweber erwartungsvoll an. Raeli und Kyn tauschten einen Blick, dann wandte Raeli sich wieder Ella zu.

»Danke, dass du uns diese Information gegeben hast. Es ist beruhigend zu wissen, dass den Weißen unser Wohlergehen so sehr am Herzen liegt. Ich werde deinen Rat an Traumweberälteste Arleej weitergeben und dich wissen lassen, wie sie sich entschieden hat.«

Ella nickte und stand auf. »Gebt mir Bescheid, wenn ihr irgendetwas von uns brauchen solltet.«

Die Traumweber erhoben sich, und Danjin geleitete sie hinaus. Als er zurückkam, stand Ella oben an der Treppe.

»Jemand, nach dem du gesucht hast?«, fragte er.

Sie lächelte grimmig. »Ja.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trommelte mit den Fingern auf ihren Ärmel. »Gleich werden unsere Gäste draußen auf der Gasse sein … Da sind sie schon. Komm mit, Danjin. Wir gehen zurück in den Weißen Turm.«

Er folgte ihr die Treppe hinunter und hinaus auf die Gasse zu dem alten geschlossenen Plattan, mit dem sie immer fuhren. Als Ella nach der Türlasche griff, hielt sie inne und legte einen Finger auf seine Lippen, bevor sie ihm bedeutete einzutreten.

Es saß bereits jemand im Wagen, begriff er. Zwei Menschen. Langsam und vorsichtig stieg er ein. Einer der Männer war der Fahrer. Der andere war der Brotverkäufer, der gefesselt und geknebelt dasaß und verängstigt dreinblickte.

Die ganze Szene hatte etwas Beunruhigendes. Danjin stellte sich vor, was geschehen war, nachdem Ella und der Brotverkäufer aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Hatte sie den Mann gezwungen, in den Plattan zu steigen? Hatte sie ihn gefesselt? Nein, das muss der Fahrer für sie getan haben.

Ella stieg nun ebenfalls ein. Ihre Miene war grimmig, während sie den Gefangenen musterte. Sie nickte dem Fahrer zu, und er stieg aus. Der Plattan schwankte, als der Mann auf den Fahrersitz kletterte und das Arem sich in Bewegung setzte.

»Bagem«, begann Ella und zeigte auf ihren Gefangenen, »ist dafür bezahlt worden, das Hospital zu beobachten. Er sollte vor allem nach Traumwebern Ausschau halten und ihnen folgen, wenn es möglich war.«

Und sie töten?, dachte Danjin und musterte den jungen Mann nachdenklich. Obwohl der Brotverkäufer restlos eingeschüchtert wirkte, konnte das seinen Grund einfach darin haben, dass eine der Weißen ihn gefangen genommen hatte.

»Er sollte ihnen nicht persönlich Schaden zufügen«, sagte Ella. »Aber er wusste, dass seine Informationen wahrscheinlich zur Ermordung weiterer Traumweber führen würden. Er kann seinen Auftraggeber und andere, die an dem Spiel beteiligt waren, identifizieren. Ich denke, die anderen Weißen werden ebenfalls sehen wollen, was ich in seinen Gedanken gesehen habe.« Sie wandte sich zu Danjin um, und ihre Augen waren geweitet vor Sorge. »Denn wenn die Männer, die Bagem bezahlt haben, nicht eine Verkleidung trugen, müssen es Priester gewesen sein.«