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Als der Mann eine Hand an die Tür legte, zog Ella Magie in sich hinein und sandte eine Barriere aus, um ihn aufzuhalten. Er stieß gegen den unsichtbaren Schild und drehte sich um, um sie wütend anzufunkeln.

»Ella!«, blaffte Kleven. »Lass ihn gehen!«

»Nein«, erwiderte sie gelassen. »Yranna hat mir aufgetragen, ihn festzuhalten. Sie hat nicht gesagt, warum. Vielleicht wollte sie verhindern, dass er uns Schaden zufügt. Aber vielleicht wollte sie auch verhindern, dass er das Hospital verlässt.«

Der Mann entfernte sich rückwärts von der Tür und starrte Ella an, das Gesicht verzerrt vor Zorn. Sie spürte Klevens Hand auf ihrem Arm.

»Ella. Wir können nicht…«

Seine Stimme verklang, und sie hörte, wie er hastig Luft holte. Von der Tür ertönte ein Klopfen. Kleven ließ sie los.

»Lass deine Barriere sinken, Ella«, murmelte er. »Rian von den Weißen ist hier.«

Sie tat wie geheißen. Die Tür schwang auf. Ein Mann, der einen schmucklosen Zirk trug, trat über die Schwelle. Rian, der rothaarige Weiße, betrachtete den Fremden mit uralten Augen.

»Du hast uns eine hübsche Jagd beschert, Lemarn Schiffsmacher.«

Während der Fremde mit bleichem Gesicht zurückwich, trat eine Hohepriesterin in die Halle. Auf ein Nicken von Rian deutete sie mit der Hand auf den Mann und vollführte einige knappe Bewegungen. Im nächsten Moment ging er steif an ihr vorbei und durch die Tür, offensichtlich geführt von einer unsichtbaren Kraft.

Rian wandte sich den Menschen im Hospital zu. »Die Unruhestifter sind klugerweise weitergezogen. Ihr könnt jetzt gefahrlos fortgehen. Oder hierbleiben und eure Arbeit fortsetzen, ganz wie ihr wünscht.«

Überall im Raum wurden Seufzer der Erleichterung laut. Kleven trat vor und machte das formelle, beidhändige Zeichen des Kreises.

»Ich danke dir, Rian von den Weißen.«

Rian nickte und sah dann zu Ella hinüber. »Gut gemacht, Priesterin Ellareen. Wir suchen schon seit Monaten nach diesem Mann. Die Götter sind beeindruckt von deiner Ergebenheit und deinem Gehorsam. Es würde mich nicht überraschen, wenn mir zu Ohren käme, dass man dir gerade noch rechtzeitig eine Position als Hohepriesterin anbieten würde.«

Sie starrte ihn erstaunt an. Er erwartete offensichtlich keine Antwort, denn er wandte sich ab und trat hinaus.

»… gerade noch rechtzeitig …« Er will doch nicht etwa andeuten, dass… nein, das ist unmöglich.

Aber bis zur Erwählungszeremonie für den nächsten Weißen blieb nur noch ein Monat Zeit. Welchen anderen Grund könnte es für eine rechtzeitige Ernennung zur Hohepriesterin geben?

Ich brauche nur abzuwarten.

Benommen kehrte sie in das Hospital zurück und machte sich wieder an die Arbeit.

Teil 1

1

Das stete Rauschen des in die Tiefe stürzenden Wassers hallte zwischen den Felswänden wider. Während Emerahl tiefer in den Tunnel hinabstieg, verebbte der Lärm, aber das Gleiche galt für das Licht. Sie zog ein wenig Magie in sich hinein und schuf einen Funken, dann sandte sie ihn voraus zum Ende des Tunnels.

Alles war noch so, wie sie es zurückgelassen hatte: die primitiven Betten in der Mitte der Höhle, die aus zusammengebundenen Baumstämmen und groben, zu einem straffen Netz gewobenen Streifen Borke gemacht waren; die steinernen Schalen, die Mirar hergestellt hatte, als er im letzten Sommer hier hatte ausharren müssen, bis er die Fähigkeit gemeistert hatte, seinen Geist vor den Göttern zu verbergen; die Krüge, Kisten und Taschen mit getrocknetem oder eingelegtem Essen und Heilmitteln, die an einer der Wände aufgestapelt waren, allesamt Dinge, die sie während ihrer gemeinsamen Monate hier gesammelt hatten.

Nur einen wesentlichen Teil der Höhle konnte man nicht sehen. Emerahl ging langsam weiter und spürte, wie die Magie, die die Welt um sie herum durchströmte, verebbte, bis nichts mehr übrig war, und sie lächelte zufrieden. Mithilfe der Magie, die sie in sich gesammelt hatte, ließ sie ihr Licht weiterbrennen und trat in die Mitte der Höhle, wo sie wieder von Magie umgeben war. Sie befand sich im Leeren Raum.

Seufzend setzte sie sich auf eins der Betten. Als sie im vergangenen Frühjahr hierher zurückgekehrt war, hatte sie sofort eine Veränderung wahrgenommen: Der Raum, in dem es keine Magie gab, war seit ihrem letzten Besuch ein Jahrhundert zuvor zusammengeschrumpft. Langsam drang die Magie der Welt wieder dorthin vor. Das ließ darauf schließen, dass der ursprüngliche Leere Raum noch größer gewesen sein musste, bevor sie ihn entdeckt hatte, und dass er irgendwann aufhören würde zu existieren.

Für den Augenblick würde er jedoch genügen. Sie war durch das wilde Land von Si gewandert, eine Reise, bei der sie häufiger klettern als gehen musste, um diesen Ort zu erreichen. Bei jedem zweiten Schritt hatte sie Mirar, der ihr Freund und ebenfalls ein Unsterblicher war, dafür verflucht, dass er sie überredet hatte, Auraya zu unterrichten. Bei jedem dritten Schritt hatte sie die Zwillinge verflucht, Unsterbliche, die noch älter waren als sie und Mirar und denen sie vor einigen Monaten zum ersten Mal begegnet war. Ihnen warf sie vor, dass sie sich Mirars Meinung angeschlossen hatten.

Wir müssen wissen, was Auraya ist, hatte ihr Tamun in der Nacht, nachdem Mirar seine Bitte vorgebracht hatte, in einer Traumvernetzung gesagt. Wenn sie eine Unsterbliche wird, könnte sie damit auch zu einer kostbaren Verbündeten für uns werden.

Und was ist, wenn sie es nicht schafft?

Dann muss sie trotzdem eine mächtige Zauberin sein, hatte Surim mit untypischem Ernst erwidert. Vergiss nicht, die Götter mögen unabhängige Zauberer ebenso wenig, wie sie uns Unsterbliche mögen. Wenn wir ihr nicht helfen, werden sie sie töten.

Ach ja? Nur weil sie die Weißen verlassen hat, heißt das nicht, dass sie sich gegen sie gestellt hat, hatte Emerahl bemerkt. Auraya ist nach wie vor eine Priesterin. Sie dient immer noch den Göttern.

Ihr Geist ist voller Zweifel, hatte Tamun gesagt. Der Befehl der Götter, Mirar ohne eine Verhandlung zu töten, hat Aurayas Wertschätzung für sie geschwächt.

Emerahl nickte. Das wusste sie selbst. Sobald Auraya den Ring der Götter abgestreift hatte, war ihr Geist nicht länger abgeschirmt gewesen. Mithilfe der Zwillinge hatte Emerahl gelernt, Gedanken abzuschöpfen, und gelegentlich hatte sie in Aurayas Geist geblickt.

Das Problem ist, dass Aurayas Ergebenheit gegenüber einigen Göttern zwar schwächer geworden sein mag, dass sie aber das Bedürfnis hat, sich mit einem von ihnen nach wie vor gutzustellen. Wenn sie herausfindet, wer ich bin, wird sie wissen, dass die Götter meinen Tod wollen. Und anders als bei Mirar verbindet sie mit mir keine frühere Freundschaft, die sie daran hindern würde, mich anzugreifen.

Dennoch glaubte Emerahl nicht, dass Auraya sie töten würde, es sei denn, die Götter gäben ihr den Befehl dazu. Sie hatte genug von Aurayas Geist gesehen, um zu wissen, dass die frühere Weiße das Töten nicht mochte. Wenn ihre Begegnung gut verlief, würden die Götter nicht einmal erfahren, dass Emerahl hier war. Sie sah sich abermals in der Höhle um. Die Götter waren Wesen aus Magie und konnten daher nur dort existieren, wo es Magie gab. Diese seltenen, unerklärlichen Leeren Räume konnten sie nicht betreten, ebenso wenig wie sie sehen konnten, was darin lag, es sei denn, sie betrachteten es durch die Augen von Menschen, die sich außerhalb dieser Räume befanden. Sobald Auraya hier war, würden die Götter ihre Gedanken nicht mehr lesen können.

Es bestand trotzdem eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Emerahl ganz umsonst durch den halben Kontinent gereist war. Sie konnte Auraya nicht dazu zwingen, etwas zu lernen. Außerdem würde sie sehr vorsichtig sein müssen mit dem, was sie der Frau erzählte. Wenn Auraya den Leeren Raum verließ, bevor sie lernte, ihre Gedanken zu verbergen, würden die Götter alles erfahren, was sie wusste.