Emerson. — Viel aufgeklärter, schweifender, vielfacher, raffinirter als Carlyle, vor Allem glücklicher ... Ein Solcher, der sich instinktiv bloss von Ambrosia nährt, der das Unverdauliche in den Dingen zurücklässt. Gegen Carlyle gehalten ein Mann des Geschmacks. — Carlyle, der ihn sehr liebte, sagte trotzdem von ihm: »er giebt uns nicht genug zu beissen«: was mit Recht gesagt sein mag, aber nicht zu Ungunsten Emerson's. — Emerson hat jene gütige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmuthigt; er weiss es schlechterdings nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird, — er könnte von sich mit einem Wort Lope de Vega's sagen: »yo me sucedo a mi mismo«. Sein Geist findet immer Gründe, zufrieden und selbst dankbar zu sein; und bisweilen streift er die heitere Transscendenz jenes Biedermanns, der von einem verliebten Stelldichein tamquam re bene gesta zurückkam. »Ut desint vires, sprach er dankbar, tamen est laudanda voluptas.« —
Anti-Darwin. — Was den berühmten Kampf um's Leben betrifft, so scheint er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor, aber als Ausnahme; der Gesammt-Aspekt des Lebens ist nicht die Nothlage, die Hungerlage, vielmehr der Reichthum, die Üppigkeit, selbst die absurde Verschwendung, — wo gekämpft wird, kämpft man um Macht ... Man soll nicht Malthus mit der Natur verwechseln. — Gesetzt aber, es giebt diesen Kampf — und in der That, er kommt vor —, so läuft er leider umgekehrt aus als die Schule Darwin's wünscht, als man vielleicht mit ihr wünschen dürfte: nämlich zu Ungunsten der Starken, der Bevorrechtigten, der glücklichen Ausnahmen. Die Gattungen wachsen nicht in der Vollkommenheit: die Schwachen werden immer wieder über die Starken Herr, — das macht, sie sind die grosse Zahl, sie sind auch klüger ... Darwin hat den Geist vergessen (- das ist englisch!), die Schwachen haben mehr Geist ... Man muss Geist nöthig haben, um Geist zu bekommen, — man verliert ihn, wenn man ihn nicht mehr nöthig hat. Wer die Stärke hat, entschlägt sich des Geistes (- »lass fahren dahin! denkt man heute in Deutschland — das Reich muss uns doch bleiben« ... ). Ich verstehe unter Geist, wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die List, die Verstellung, die grosse Selbstbeherrschung und Alles, was mimicry ist (zu letzterem gehört ein grosser Theil der sogenannten Tugend).
Psychologen-Casuistik. — Das ist ein Menschenkenner: wozu studirt er eigentlich die Menschen? Er will kleine Vortheile über sie erschnappen, oder auch grosse, — er ist ein Politikus! ... Jener da ist auch ein Menschenkenner: und ihr sagt, der wolle Nichts damit für sich, das sei ein grosser »Unpersönlicher«. Seht schärfer zu! Vielleicht will er sogar noch einen schlimmeren Vortheiclass="underline" sich den Menschen überlegen fühlen, auf sie herabsehn dürfen, sich nicht mehr mit ihnen verwechseln. Dieser »Unpersönliche« ist ein Menschen-Verächter: und jener Erstere ist die humanere Species, was auch der Augenschein sagen mag. Er stellt sich wenigstens gleich, er stellt sich hinein ...
Der psychologische Takt der Deutschen scheint mir durch eine ganze Reihe von Fällen in Frage gestellt, deren Verzeichniss vorzulegen mich meine Bescheidenheit hindert. In Einem Falle wird es mir nicht an einem grossen Anlasse fehlen, meine These zu begründen: ich trage es den Deutschen nach, sich über Kant und seine »Philosophie der Hinterthüren«, wie ich sie nenne, vergriffen zu haben, — das war nicht der Typus der intellektuellen Rechtschaffenheit. — Das Andre, was ich nicht hören mag, ist ein berüchtigtes »und«: die Deutschen sagen ,"Goethe und Schiller«, — ich fürchte, sie sagen »Schiller und Goethe« ... Kennt man noch nicht diesen Schiller? — Es giebt noch schlimmere »und«; ich habe mit meinen eigenen Ohren, allerdings nur unter Universitäts-Professoren, gehört »Schopenhauer und Hartmann«
Die geistigsten Menschen, vorausgesetzt, dass sie die muthigsten sind, erleben auch bei weitem die schmerzhaftesten Tragödien: aber eben deshalb ehren sie das Leben, weil es ihnen seine grösste Gegnerschaft entgegenstellt.
Zum »intellektuellen Gewissen«. — Nichts scheint mir heute seltner als die echte Heuchelei. Mein Verdacht ist gross, dass diesem Gewächs die sanfte Luft unsrer Cultur nicht zuträglich ist. Die Heuchelei gehört in die Zeitalter des starken Glaubens: wo man selbst nicht bei der Nöthigung, einen andern Glauben zur Schau zu tragen, von dem Glauben losliess, den man hatte. Heute lässt man ihn los; oder, was noch gewöhnlicher, man legt sich noch einen zweiten Glauben zu, — ehrlich bleibt man in jedem Falle. Ohne Zweifel ist heute eine sehr viel grössere Anzahl von Überzeugungen möglich als ehemals: möglich, das heisst erlaubt, das heisst unschädlich. Daraus entsteht die Toleranz gegen sich selbst. — Die Toleranz gegen sich selbst gestattet mehrere Überzeugungen: diese selbst leben verträglich beisammen, — sie hüten sich, wie alle Welt heute, sich zu compromittiren. Womit compromittirt man sich heute? Wenn man Consequenz hat. Wenn man in gerader Linie geht. Wenn man weniger als fünfdeutig ist. Wenn man echt ist ... Meine Furcht ist gross, dass der moderne Mensch für einige Laster einfach zu bequem ist: so dass diese geradezu aussterben. Alles Böse, das vom starken Willen bedingt ist — und vielleicht giebt es nichts Böses ohne Willensstärke — entartet, in unsrer lauen Luft, zur Tugend ... Die wenigen Heuchler, die ich kennen lernte, machten die Heuchelei nach: sie waren, wie heutzutage fast jeder zehnte Mensch, Schauspieler. —
Schön und hässlich. — Nichts ist bedingter, sagen wir beschränkter, als unser Gefühl des Schönen. Wer es losgelöst von der Lust des Menschen am Menschen denken wollte, verlöre sofort Grund und Boden unter den Füssen. Das »Schöne an sich« ist bloss ein Wort, nicht einmal ein Begriff. Im Schönen setzt sich der Mensch als Maass der Vollkommenheit; in. ausgesuchten Fällen betet er sich darin an. Eine Gattung kann gar nicht anders als dergestalt zu sich allein ja sagen. Ihr unterster Instinkt, der der Selbsterhaltung und Selbsterweiterung, strahlt noch in solchen Sublimitäten aus. Der Mensch glaubt die Welt selbst mit Schönheit überhäuft, — er vergisst sich als deren Ursache. Er allein hat sie mit Schönheit beschenkt, ach! nur mit einer sehr menschlich-allzumenschlichen Schönheit .... Im Grunde spiegelt sich der Mensch in den Dingen, er hält Alles für schön, was ihm sein Bild zurückwirft: das Urtheil »schön« ist seine Gattungs-Eitelkeit .... Dem Skeptiker nämlich darf ein kleiner Argwohn die Frage in's Ohr flüstern: ist wirklich damit die Welt verschönt, dass gerade der Mensch sie für schön nimmt? Er hat sie vermenschlicht: das ist Alles. Aber Nichts, gar Nichts verbürgt uns, dass gerade der Mensch das Modell des Schönen abgäbe. Wer weiss, wie er sich in den Augen eines höheren Geschmacksrichters ausnimmt? Vielleicht gewagt? vielleicht selbst erheiternd? vielleicht ein wenig arbiträr? ... »Oh Dionysos, Göttlicher, warum ziehst du mich an den Ohren?« fragte Ariadne einmal bei einem jener berühmten Zwiegespräche auf Naxos ihren philosophischen Liebhaber. »Ich finde eine Art Humor in deinen Ohren, Ariadne: warum sind sie nicht noch länger?«
Nichts ist schön, nur der Mensch ist schön: auf dieser Naivetät ruht alle Aesthetik, sie ist deren erste Wahrheit. Fügen wir sofort noch deren zweite hinzu: Nichts ist hässlich als der entartende Mensch, — damit ist das Reich des ästhetischen Urtheils umgrenzt. — Physiologisch nachgerechnet, schwächt und betrübt alles Hässliche den Menschen. Es erinnert ihn an Verfall, Gefahr, Ohnmacht; er büsst thatsächlich dabei Kraft ein. Man kann die Wirkung des Hässlichen mit dem Dynamometer messen. Wo der Mensch überhaupt niedergedrückt wird, da wittert er die Nähe von etwas »Hässlichem«. Sein Gefühl der Macht, sein Wille zur Macht, sein Muth, sein Stolz — das fällt mit dem Hässlichen, das steigt mit dem Schönen ... Im einen wie im andern Falle machen wir einen Schluss: die Prämissen dazu sind in ungeheurer Fülle im Instinkte aufgehäuft. Das Hässliche wird verstanden als ein Wink und Symptom der Degenerescenz: was im Entferntesten an Degenerescenz erinnert, das wirkt in uns das Urtheil »hässlich«. Jedes Anzeichen von Erschöpfung, von Schwere, von Alter, von Müdigkeit, jede Art Unfreiheit, als Krampf, als Lähmung, vor Allem der Geruch, die Farbe, die Form der Auflösung, der Verwesung, und sei es auch in der letzten Verdünnung zum Symbol — das Alles ruft die gleiche Reaktion hervor, das Werthurtheil »hässlich«. Ein Hass springt da hervor: wen hasst da der Mensch? Aber es ist kein Zweifeclass="underline" den Niedergang seines Typus. Er hasst da aus dem tiefsten Instinkte der Gattung heraus; in diesem Hass ist Schauder, Vorsicht, Tiefe, Fernblick, — es ist der tiefste Hass, den es giebt. Um seinetwillen ist die Kunst tief ...