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26.

Wir schätzen uns nicht genug mehr, wenn wir uns mittheilen. Unsre eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwätzig. Sie könnten sich selbst nicht mittheilen, wenn sie wollten. Das macht, es fehlt ihnen das Wort. Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mittheilsames erfunden. Mit der Sprache vulgarisirt sich bereits der Sprechende. — Aus einer Moral für Taubstumme und andere Philosophen.

27.

»Dies Bildniss ist bezaubernd schön!« ... Das Litteratur-Weib, unbefriedigt, aufgeregt, öde in Herz und Eingeweide, mit schmerzhafter Neugierde jederzeit auf den Imperativ hinhorchend, der aus den Tiefen seiner Organisation »aut liberi aut libri« flüstert: das Litteratur-Weib, gebildet genug, die Stimme der Natur zu verstehn, selbst wenn sie Latein redet und andrerseits eitel und Gans genug, um im Geheimen auch noch französisch mit sich zu sprechen »je me verrai, je me lirai, je m'extasierai et je dirai: Possible, que j'aie eu tant d'esprit?«

28.

Die »Unpersönlichen« kommen zu Wort. — »Nichts fällt uns leichter, als weise, geduldig, überlegen zu sein. Wir triefen vom Oel der Nachsicht und des Mitgefühls, wir sind auf eine absurde Weise gerecht, wir verzeihen Alles. Eben darum sollten wir uns etwas strenger halten; eben darum sollten wir uns, von Zeit zu Zeit, einen kleinen Affekt, ein kleines Laster von Affect züchten. Es mag uns sauer angehn; und unter uns lachen wir vielleicht über den Aspekt, den wir damit geben. Aber was hilft es! Wir haben keine andre Art mehr übrig von Selbstüberwindung: dies ist unsre Asketik, unser Büsserthum« ... Persönlich werden — die Tugend des »Unpersönlichen«...

29.

Aus einer Doctor-Promotion. — »Was ist die Aufgabe alles höheren Schulwesens?« — Aus dem Menschen eine Maschine zu machen. — »Was ist das Mittel dazu?« — Er muss lernen, sich langweilen. — »Wie erreicht man das?« — Durch den Begriff der Pflicht. — »Wer ist sein Vorbild dafür?« — Der Philolog: der lehrt ochsen. — »Wer ist der vollkommene Mensch?« — Der Staats-Beamte. — »Welche Philosophie giebt die höchste Formel für den Staats-Beamten?« — Die Kant's: der Staats-Beamte als Ding an sich zum Richter gesetzt über den Staats-Beamten als Erscheinung. —

30.

Das Recht auf Dummheit. — Der ermüdete und langsam athmende Arbeiter, der gutmüthig blickt, der die Dinge gehen lässt, wie sie gehn: diese typische Figur, der man jetzt, im Zeitalter der Arbeit (und des »Reichs«! —) in allen Klassen der Gesellschaft begegnet, nimmt heute gerade die Kunst für sich in Anspruch, eingerechnet das Buch, vor Allem das Journal, — um wie viel mehr die schöne Natur, Italien ... Der Mensch des Abends, mit den »entschlafenen wilden Trieben«, von denen Faust redet, bedarf der Sommerfrische, des Seebads, der Gletscher, Bayreuth's ... In solchen Zeitaltern hat die Kunst ein Recht auf reine Thorheit, — als eine Art Ferien für Geist, Witz und Gemüth. Das verstand Wagner. Die reine Thorheit stellt wieder her ...

31.

Noch ein Problem der Diät. — Die Mittel, mit denen Julius Cäsar sich gegen Kränklichkeiten und Kopfschmerz vertheidigte: ungeheure Märsche, einfachste Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, beständige Strapazen — das sind, in's Grosse gerechnet, die Erhaltungs- und Schutz-Maassregeln überhaupt gegen die extreme Verletzlichkeit jener subtilen und unter höchstem Druck arbeitenden Maschine, welche Genie heisst. —

32.

Der Immoralist redet. — Einem Philosophen geht Nichts mehr wider den Geschmack als der Mensch, sofern er wünscht ... Sieht er den Menschen nur in seinem Thun, sieht er dieses tapferste, listigste, ausdauerndste Thier verirrt selbst in labyrinthische Nothlagen, wie bewunderungswürdig erscheint ihm der Mensch! Er spricht ihm noch zu ... Aber der Philosoph verachtet den wünschenden Menschen, auch den »wünschbaren« Menschen — und überhaupt alle Wünschbarkeiten, alle Ideale des Menschen. Wenn ein Philosoph Nihilist sein könnte, so würde er es sein, weil er das Nichts hinter allen Idealen des Menschen findet. Oder noch nicht einmal das Nichts, — sondern nur das Nichtswürdige, das Absurde, das Kranke, das Feige, das Müde, alle Art Hefen aus dem ausgetrunkenen Becher seines Lebens ... Der Mensch, der als Realität so verehrungswürdig ist, wie kommt es, dass er keine Achtung verdient, sofern er wünscht? Muss er es büssen, so tüchtig als Realität zu sein? Muss er sein Thun, die Kopf- und Willensanspannung in allem Thun, mit einem Gliederstrecken im Imaginären und Absurden ausgleichen? — Die Geschichte seiner Wünschbarkeiten war bisher die partie honteuse des Menschen: man soll sich hüten, zu lange in ihr zu lesen. Was den Menschen rechtfertigt, ist seine Realität, — sie wird ihn ewig rechtfertigen. Um wie viel mehr werth ist der wirkliche Mensch, verglichen mit irgend einem bloss gewünschten, erträumten, erstunkenen und erlogenen Menschen? mit irgend einem idealen Menschen? ... Und nur der ideale Mensch geht dem Philosophen wider den Geschmack.

33.

Naturwerth des Egoismus. — Die Selbstsucht ist so viel werth, als Der physiologisch werth ist, der sie hat: sie kann sehr viel werth sein, sie kann nichtswürdig und verächtlich sein. Jeder Einzelne darf darauf hin angesehen werden, ob er die aufsteigende oder die absteigende Linie des Lebens darstellt. Mit einer Entscheidung darüber hat man auch einen Kanon dafür, was seine Selbstsucht werth ist. Stellt er das Aufsteigen der Linie dar, so ist in der That sein Werth ausserordentlich, — und um des Gesammt-Lebens willen, das mit ihm einen Schritt weiter thut, darf die Sorge um Erhaltung, um Schaffung seines optimum von Bedingungen selbst extrem sein. Der Einzelne, das »Individuum«, wie Volk und Philosoph das bisher verstand, ist ja ein Irrthum: er ist nichts für sich, kein Atom, kein »Ring der Kette«, nichts bloss Vererbtes von Ehedem, — er ist die ganze Eine Linie Mensch bis zu ihm hin selber noch ... Stellt er die absteigende Entwicklung, den Verfall, die chronische Entartung, Erkrankung dar (- Krankheiten sind, in's Grosse gerechnet, bereits Folgeerscheinungen des Verfalls, nicht dessen Ursachen), so kommt ihm wenig Werth zu, und die erste Billigkeit will, dass er den Wohlgerathenen so wenig als möglich wegnimmt. Er ist bloss noch deren Parasit ...

34.

Christ und Anarchist. — Wenn der Anarchist, als Mundstück niedergehender Schichten der Gesellschaft, mit einer schönen Entrüstung »Recht«, »Gerechtigkeit«, »gleiche Rechte« verlangt, so steht er damit nur unter dem Drucke seiner Unkultur, welche nicht zu begreifen weiss, warum er eigentlich leidet, — woran er arm ist, an Leben ... Ein Ursachen-Trieb ist in ihm mächtig: Jemand muss schuld daran sein, dass er sich schlecht befindet ... Auch thut ihm die »schöne Entrüstung« selber schon wohl, es ist ein Vergnügen für alle armen Teufel, zu schimpfen, — es giebt einen kleinen Rausch von Macht. Schon die Klage, das Sich-Beklagen, kann dem Leben einen Reiz geben, um dessentwillen man es aushält: eine feinere Dosis Rache ist in jeder Klage, man wirft sein Schlechtbefinden, unter Umständen selbst seine Schlechtigkeit Denen, die anders sind, wie ein Unrecht, wie ein unerlaubtes Vorrecht vor. »Bin ich eine canaille, so solltest du es auch sein«: auf diese Logik hin macht man Revolution. — Das Sich-Beklagen taugt in keinem Falle etwas: es stammt aus der Schwäche. Ob man sein Schlecht-Befinden Andern oder sich selber zu misst —. Ersteres thut der Socialist, Letzteres zum Beispiel der Christ —, macht keinen eigentlichen Unterschied. Das Gemeinsame, sagen wir auch das Unwürdige daran ist, dass jemand schuld daran sein soll, dass man leidet — kurz, dass der Leidende sich gegen sein Leiden den Honig der Rache verordnet. Die Objekte dieses Rach-Bedürfnisses als eines Lust-Bedürfnisses sind Gelegenheits-Ursachen: der Leidende findet überall Ursachen, seine kleine Rache zu kühlen, — ist er Christ, nochmals gesagt, so findet er sie in sich ... Der Christ und der Anarchist — Beide sind décadents. — Aber auch wenn der Christ die »Welt« verurtheilt, verleumdet, beschmutzt, so thut er es aus dem gleichen Instinkte, aus dem der socialistische Arbeiter die Gesellschaft verurtheilt, verleumdet, beschmutzt: das »jüngste Gericht« selbst ist noch der süsse Trost der Rache — die Revolution, wie sie auch der socialistische Arbeiter erwartet, nur etwas ferner gedacht ... Das »Jenseits« selbst — wozu ein Jenseits, wenn es nicht ein Mittel wäre, das Diesseits zu beschmutzen?...