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Ich begann den Mut meines Kranken zu begreifen. Es war zu hundert Prozent angelegtes Geld; ein Duell konnte ihm eine hübsche Frau und fünfzigtausend Franc Rente einbringen. Das war der Grund dafür, warum er das Duell herausgefordert hatte. Es sollte ihm den Aufstieg in die Gesellschaft sichern.

Ich stand auf.

»Wann werde ich Sie wiedersehen, Doktor?«

»Morgen komme ich, um den Verband abzunehmen.«

»Ich hoffe, wenn man von diesem Duell in Ihrer Gegenwart spricht, werden Sie sagen, ich habe mich gut benommen.«

Wieder spürte ich ganz deutlich, daß ich einen Menschen vor mir hatte, der glaubte, einen Weg zu Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg gefunden zu haben, der diesen Weg ging, ohne rechts und links zu blicken, einen Weg, wie ihn so viele gingen.

»Ich werde sagen, was ich gesehen habe, mein Herr.«

»Dieser elende Olivier«, murmelte der Verwundete, »ich hätte hunderttausend Franc gegeben, wäre ich imstande gewesen, ihn auf der Stelle zu töten.«

»Wenn Sie reich genug sind, mit hunderttausend Franc den Tod eines Menschen zu bezahlen«, erwiderte ich, »haben Sie den Verlust dieser Heirat doch nicht so sehr zu beklagen, denn sie hätte Ihrem Vermögen ja nur eine Rente von fünfzigtausend Franc hinzugefügt.«

»Sie haben recht, aber an dieser Heirat lag mir sehr viel, denn sie hätte mir erlaubt, gewagte Geschäfte aufzugeben; ein junger Mann, geboren mit aristokratischem Geschmack, ist übrigens nie reich genug. Außerdem spekuliere ich an der Börse; es ist wahr, ich habe Glück; im vergangenen Monat habe ich mehr als dreißigtausend Franc gewonnen.«

»Ich mache Ihnen ein Kompliment, mein Herr; morgen also.«

»Warten Sie doch ... Ich glaube, es hat geläutet!« »Ja.«

»Es kommt jemand?«

»Ja.«

Ein Bedienter trat ein.

Zum erstenmal sah ich die Augen des Barons auf einen Menschen geheftet.

»Nun?« fragte er, ohne daß er dem Bedienten Zeit ließ zu sprechen.

»Herr Vicomte«, sagte der Lakai, »es ist der Herr Graf de Macartie, der sich nach Ihnen erkundigt.«

»Er selbst?«

»Nein, er schickt seinen Kammerdiener.«

»Ah!« machte der Kranke. »Und was haben Sie geantwortet?«

»Der Herr Vicomte sei schwer verwundet, doch der Doktor bürge für seine Genesung.«

»Ist es wahr, Doktor, tun Sie das?«

»Ja, tausendmal ja«, erwiderte ich, »das heißt, wenn Sie keine Unklugheit begehen.«

»Da seien Sie unbesorgt. Sagen Sie, Doktor: daß der Graf de Macartie sich nach mir erkundigen läßt, beweist, daß er nicht an die Worte von Herrn Olivier glaubt?«

»Ohne Zweifel.«

»Nun, so heilen Sie mich rasch, und Sie werden bei der Hochzeit sein.«

»Ich werde mein Bestes tun, um das zu erreichen.«

Ich grüßte und ging hinaus.

8. Kapitel

 Eine Banknote für 500 Franc

Sobald ich wieder draußen war, atmete ich freier: Dieser Mensch flößte mir seltsamerweise einen Widerwillen ein, und es drängte mich, ihn außer Gefahr zu sehen, um jede Verbindung mit ihm aufgeben zu dürfen.

Am anderen Tage kam ich, wie ich ihm versprochen hatte; die Heilung ging gut voran.

Das eigentümliche bei Verwundungen durch Degenstiche ist, daß sie entweder unmittelbar töten oder rasch heilen.

Die Wunde Herrn de Favernes verhieß schnelle Heilung.

Acht Tage später war er ausgefahren.

Nach dem Versprechen, das ich mir geleistet, kündigte ich ihm an, meine Besuche, die nunmehr unnötig geworden waren, vom nächsten Tag an einzustellen.

Er drang in mich wiederzukommen, doch mein Entschluß war gefaßt, und ich blieb fest.

»In jedem Fall«, sprach der Wiedergenesene, »in jedem Fall werden Sie sich nicht weigern, mir das Portefeuille zurückzubringen, das ich Ihnen gegeben habe. Es ist von zu großem Wert, als daß man es einem Bedienten anvertrauen könnte, und ich zähle auf diesen letzten Akt Ihrer Gefälligkeit.«

Ich versprach ihm das.

Am anderen Tag brachte ich ihm das Portefeuille; Herr de Faverne bat mich, auf seinem Bett Platz zu nehmen.

Halb damit spielend, öffnete er das Portefeuille. Es mochte ungefähr sechzig Banknoten, meistens i ooo Franc-Scheine, enthalten; der Baron zog zwei oder drei heraus und belustigte sich damit, sie zu zerknittern.

Ich stand auf.

»Doktor«, sagte er, »wundern Sie sich nicht über eines?«

»Worüber?« fragte ich.

»Daß man den Mut hat, eine falsche Banknote zu machen.«

»Das wundert mich, weil es eine feige und ehrlose Handlung ist.«

»Ehrlos vielleicht - aber feige? Wissen Sie, daß man eine feste Hand braucht, um die zwei kleinen Zeilen zu schreiben: >Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tod.<?«

»Ja, allerdings, doch das Verbrechen, besitzt einen eigenen Mut. Derjenige, welcher einen Menschen am Waldrand erwartet, um ihn zu ermorden, hat beinahe ebensoviel Mut wie ein Soldat, der Sturm läuft oder eine Batterie nimmt; dessenungeachtet dekoriert man den einen, und den anderen schickt man auf das Schafott.«

»Auf das Schafott ...! Ich begreife, daß man einen Mörder auf das Schafott schickt; doch finden Sie nicht, Doktor, daß es sehr grausam ist, einen Menschen zu guillotinieren, weil er Banknoten nachgemacht hat?«

Der Vicomte sagte diese Worte mit so bebender Stimme und einer

so sichtbaren Veränderung seiner Züge, daß es mir auffiel.

»Sie haben recht«, erwiderte ich. »Ich weiß auch aus sicherer Quelle, daß man diese Strafe in nächster Zeit mildern und auf die Galeere beschränken wird.«

»Sie wissen das, Doktor?« rief der Kranke lebhaft. »Sie wissen das . Sind Sie Ihrer Sache sicher?«

»Ich habe es den sagen hören, von dem der Vorschlag ausgehen wird.« »Vom König. In der Tat, es ist wahr, Sie sind Vierteljahresarzt des Königs. Ah, der König hat es gesagt. Und wann soll der Antrag gestellt werden?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich bitte Sie, Doktor, erkundigen Sie sich, das interessiert mich.«

»Es interessiert Sie?« fragte ich erstaunt.

»Ganz gewiß. Interessiert es nicht jeden Freund der Menschheit, zu erfahren, ob ein zu strenges Gesetz aufgehoben wird?«

»Es wird nicht aufgehoben, mein Herr, die Galeeren werden nur den Tod ersetzen; erscheint Ihnen das als eine große Erleichterung des Schicksals dieser Unglücklichen?«

»Nein, gewiß nicht!« erwiderte der Vicomte verlegen. »Man könnte sogar sagen, das wäre noch schlimmer; doch es bleibt wenigstens das Leben, es bleibt die Hoffnung; das Bagno ist ein Gefängnis, und es gibt keins, aus dem man nicht entweichen kann.«

Ich wurde des Geredes überdrüssig und machte eine Bewegung, mich zu entfernen.

»Doktor, Sie verlassen mich schon?« sagte der Vicomte, während er mit einer gewissen Verlegenheit ein paar Banknoten zusammenrollte, wohl mit der Absicht, sie mir in die Hand zu schieben.

»Allerdings«, antwortete ich, indem ich abermals einen Schritt rückwärts machte. »Sind Sie nicht geheilt, mein Herr? Womit sollte ich Ihnen jetzt noch dienen können?«

»Rechnen Sie denn das Vergnügen Ihrer Gesellschaft so gering?«

»Leider haben wir Ärzte nur wenig Zeit für dieses Vergnügen, so gern wir sie dafür erübrigen würden. Unsere Gesellschaft ist die Krankheit, und sobald wir sie aus einem Haus vertrieben haben, müssen wir hinter ihr hinausgehen und sie in einem anderen weiterverfolgen. Erlauben Sie mir also, Herr Vicomte, daß ich mich von Ihnen verabschiede.«