>Bah, wie soll das eine schlimme Wendung nehmen, Herr Granger?< erwiderte Gabriel. >Ich werde ganz einfach Schreibmeister, statt Ackerknecht zu sein.<
>Schreibmeister ist kein Beruf in einem Dorf<, versetzte mein Vater.
>Dann gehe ich nach Paris und treibe dort dieses Geschäft<, antwortete Gabriel.
Mich meinerseits, die ich nicht einsah, was aus der Nachahmung der Schrift anderer Schlimmes hervorgehen konnte, belustigte das Talent ungemein, das jeden Tag bei Gabriel Fortschritte machte. Denn Gabriel beschränkte sich nicht mehr darauf, allein die Handschrift nachzuahmen, er ahmte alles nach.
Ein Kupferstich war ihm in die Hände gefallen, und mit einer wunderbaren Geduld kopierte Gabriel Linie für Linie so genau, daß es, abgesehen von der Größe des Papiers und der Farbe der Tinte, schwer gewesen wäre, das Original von der Kopie zu unterscheiden. Der arme Vater, der in dieser Kopie das sah, was sie wirklich war, nämlich ein Meisterwerk, ließ sie vom Glaser des Dorfes einrahmen und zeigte sie jedermann.
Der Bürgermeister und sein Gehilfe kamen, um sie anzuschauen, und der Bürgermeister sagte zu seinem Begleiter, als sie wieder gingen: >Dieser Junge hat ein Vermögen in seinen Fingerspitzen.<
Gabriel hörte diese Worte. Sie müssen einen ungeheuren Eindruck auf ihn gemacht haben. Er hatte ja oft genug gehört, wie der oder jener plötzlich reich geworden war und in der eigenen Kutsche spazierenfuhr.
Mein Vater hatte ihn alles gelehrt, was er ihn lehren konnte, und Gabriel kehrte in seine Meierei zurück.
Da er das ältere von den beiden Kindern und da Thomas nicht reich war, mußte er zu arbeiten anfangen.
Doch die Arbeit mit dem Pflug war ihm unerträglich, er träumte oft von dem Vermögen, das in seinen Fingerspitzen wohnen sollte.
Ganz im Gegensatz zu den Bauern wäre Gabriel gern spät zu Bett gegangen und spät aufgestanden; sein größtes Glück war, bis um Mitternacht zu wachen, um mit seiner Feder alle Arten von verzierten Buchstaben, Zeichnungen und Nachahmungen anzufertigen; der Winter war auch seine selige Zeit, und die Nachtwachen bildeten seine Feststunden.
Andererseits brachte der Widerwille gegen die Feldarbeiten den Vater zur Verzweiflung. Thomas Lambert war nicht reich genug, einen unnützen Mund zu füttern. Er hatte geglaubt, die Anwesenheit von Gabriel würde ihm einen Ackerknecht ersparen, doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß er sich getäuscht hatte.«
11. Kapitel
Abreise nach Paris
»Glücklicher- oder unglücklicherweise besuchte eines Tages der Bürgermeister, dessen Weissagung zufolge Gabriels Zukunft in den Spitzen seiner Finger läge, den Vater Thomas und machte ihm den Antrag, er wolle Gabriel gegen Kost und hundertfünfzig Franc jährlich als Schreiber beschäftigen.
Gabriel betrachtete diesen Antrag als ein Glück, doch der Vater Thomas schüttelte den Kopf und sagte: >Wohin wird dich das führen, Junge?<
Beide nahmen nichtsdestoweniger den Antrag des Bürgermeisters an, und Gabriel vertauschte wirklich den Pflug gegen die Feder.
Wir waren nicht nur gute Freunde geblieben: Gabriel liebte mich, und auch ich liebte ihn von ganzem Herzen.
Jeden Abend gingen wir, wie dies in den Dörfern üblich ist, bald am Strand, bald am Ufer der Touque spazieren. Niemand kümmerte sich darum; wir waren beide arm, und wir paßten gut zusammen.
Nur schien Gabriel von der fixen Idee besessen, nach Paris zu kommen; er hatte die Überzeugung, wenn er nach Paris käme, würde er sein Glück machen.
Paris war also für uns das Ziel jedes Gesprächs. Paris war die magische Stadt, die uns beiden die Pforte des Reichtums und des Glückes öffnen sollte.
Ich gab mich dem Fieber hin, das ihn schüttelte, und wiederholte: >O ja, Paris! Paris!<
In unseren Zukunftsträumen hatten wir unsere Existenzen so miteinander verkettet, daß ich mich jetzt schon als die Frau von Gabriel betrachtete, obgleich damals nie ein Wort von Heirat unter uns ausgetauscht, obgleich, ich muß es sagen, nie ein Versprechen gegeben wurde.
Die Zeit verlief.
Imstande, sich seiner Lieblingsbeschäftigung zu widmen, schrieb Gabriel jeden Tag; er führte die Register der Bürgermeisterei mit einer außerordentlichen Pünktlichkeit und einem bewunderungswürdigen Geschmack.
Der Bürgermeister war entzückt, solch einen Schreiber zu haben.
Es kam die Zeit der Wahlen; einer von den Deputierten, die sich um die Wiederwahl bewarben, machte seine Rundreise, er kam nach Trouville; Gabriel war das Wunder von Trouville; man zeigte ihm die Register der Bürgermeisterei, und Gabriel wurde ihm am Abend vorgestellt.
Der Kandidat hatte ein Rundschreiben abgefaßt, doch es gab nur in Le Havre eine Druckerei; man mußte das Manifest in die Stadt schicken, und das verspätete die Sache um drei oder vier Tage.
Die Schreiben mußten jedoch so schnell wie möglich verteilt werden, da der Kandidat eine größere Opposition traf, als er zuvor erwartet hatte.
Gabriel machte sich anheischig, in der Nacht und am nächstfolgenden Tag fünfzig Exemplare zu schreiben. Der Abgeordnete versprach ihm dreihundert Franc, wenn er ihm diese fünfzig Exemplare in vierundzwanzig Stunden liefern würde.
Gabriel sagte alles zu, lieferte siebzig statt fünfzig.
Im höchsten Maß erfreut, gab ihm der Kandidat fünfhundert Franc statt dreihundert und leistete ihm das Versprechen, ihn einem reichen Bankier in Paris zu empfehlen, der ihn wahrscheinlich auf diese Empfehlung hin zu seinem Sekretär nehmen würde.
Gabriel kam an diesem Abend freudetrunken zu mir.
>Marie<, sagte er zu mir, >Marie, wir sind gerettet; ehe ein Monat vergeht, reise ich nach Paris; ich erhalte einen guten Platz, schreibe dir sodann, und du kommst zu mir.<
Ich dachte nicht einmal daran, ihn zu fragen, ob ich als seine Frau zu ihm kommen sollte, so fern war mir der Gedanke, Gabriel könnte mich täuschen.
Ich bat ihn nur um die Erklärung dieser Zusage, die noch ein Rätsel für mich war. Er erzählte mir alles, sprach von der Protektion des Abgeordneten und zeigte mit ein gedrucktes Papier.
>Was für ein Papier ist das?< fragte ich.
>Eine Banknote von fünfhundert Franc<, antwortete er.
>Wie<, rief ich, >dieser Papierfetzen ist fünfhundert Franc wert?<
>Ja<, sagte Gabriel, >und wenn wir zwanzig davon hätten, wären wir reich.<
>Das wären zehntausend Franc<, versetzte ich.
Mittlerweile verschlang Gabriel das Papier mit den Augen.
>Woran denkst du, Gabriel?< fragte ich.
>Ich denke, daß solch eine Banknote nicht schwerer nachzuahmen ist als ein Kupferstich.<
>Ja ... aber das muß ein Verbrechen sein?<
>Schau<, sagte Gabriel.
Und er zeigte mir die zwei Zeilen, die am unteren Rand des Geldscheines zu lesen waren: >Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tode.<
>Ah, ohne das<, rief er, >hätten wir bald zehn und zwanzig und fünfzig.<
>Gabriel<, meinte ich bebend, >was sagst du da?<
>Nichts, Marie, ich scherze.<
Und er steckte die Banknote wieder in die Tasche.
Acht Tage später fanden die Wahlen statt.
Trotz der Rundschreiben wurde der Kandidat nicht gewählt. Nach dessen Niederlage begab sich Gabriel zu ihm, um ihn an sein Versprechen zu erinnern; doch der Kandidat war schon abgereist.