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Unser Geistlicher war ein frommer Greis mit weißem Haar und ruhigem, lächelndem Antlitz, bei dessen Anblick der Schwache, der Unglückliche oder der Schuldige fühlt, Unterstützung zu finden.

Ich war also fest entschlossen, ihm alles zu sagen und mich von seinen Ratschlägen leiten zu lassen.

Am Vorabend des Tages, an dem alle jungen Mädchen zur Beichte zu gehen pflegen, begab ich mich zu ihm.

Ich gestehe, mein Herz krampfte sich zusammen, als ich die Hand nach der Klingel des Pfarrhauses ausstreckte. Ich hatte die Nacht abgewartet, damit mich niemand dort eintreten sah, wohin ich in anderen Zeiten ganz offen zwei- oder dreimal wöchentlich kam; auf der Schwelle verließ mich der Mut, und ich war genötigt, mich an die Mauer zu lehnen, um nicht zu fallen.

Doch ich raffte meine Kräfte zusammen und läutete mit einer ungestümen Bewegung.

Die alte Haushälterin öffnete mir sogleich.

Der Pfarrer war, wie ich es mir gedacht hatte, allein in einem kleinen, abgelegenen Zimmer, wo er beim Schein der Lampe sein Brevier las.

Ich folgte der alten Katherine, die mir die Tür öffnete und mich meldete.

Der Pfarrer hob den Kopf. Sein schönes, ruhiges Antlitz befand sich nun ganz im Licht, und ich begriff: Wenn es in der Welt einen Trost für gewisse unwiderrufliche Unglücksfälle gibt, so ist es der, sein Unglück solchen Menschen zu bekennen.

Ich blieb indessen an der Tür stehen und wagte nicht, weiter ins Zimmer hineinzutreten.

>Es ist gut, Katherine<, sagte der Pfarrer, >lassen Sie uns allein, und wenn jemand kommt und nach mir fragt .. .<

>... werde ich sagen, der Herr Pfarrer sei nicht zu Hause<, erwiderte die alte Haushälterin.

>Nein<, sprach der Pfarrer, >man darf nicht lügen, meine gute Katherine; Sie sagen, ich sei im Gebet begriffen.< >Gut, Herr Pfarrer<, erwiderte Katherine. Und sie ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. Ich blieb unbeweglich stehen, ohne ein Wort zu reden. Der Pfarrer suchte mich mit den Augen in der Dunkelheit, die außerhalb des engen Lichtscheins der Lampe herrschte; er streckte mir dann die Hand entgegen und sagte zu mir: >Komm, meine Tochter . ich erwartete dich .<

Ich tat zwei Schritte, nahm seine Hand und fiel vor ihm auf die Knie.

>Sie erwarteten mich, mein Vater?< erwiderte ich. >Sie wissen also, was mich zu Ihnen führt?< >Ich vermute es<, antwortete der würdige Priester. >Oh, mein Vater, ich habe mich sehr strafbar gemacht!< rief ich, in Schluchzen ausbrechend. >Sag unglücklich, mein armes Kind.<

>Aber, mein Vater, vielleicht wissen Sie nicht alles, denn wie hätten Sie erraten können .<

>Höre, meine Tochter, ich will es dir sagen<, entgegnete der Priester. >Ich erspare dir damit ein Geständnis, das dir mir gegenüber peinlich wäre, nicht wahr?<

>Oh, ich fühle nun, daß ich Ihnen alles mitteilen kann; sind Sie nicht der Diener Gottes, der alles weiß?< >Sprich mein Kind<, sagte der Priester. >Sprich, ich höre dich.< >Mein Vater<, rief ich, >mein Vater .. .<

Und die Stimme stockte, ich hatte mir zuviel zugemutet und konnte nun nicht mehr.

>Ich vermute alles schon seit dem Tag der Abreise Gabriels<, sagte der Priester. >An diesem Tag, mein armes Kind, habe ich dich gesehen, ohne daß du mich sahst. Ich war in der Nacht gerufen worden, um die Beichte eines Sterbenden zu empfangen, und begegnete,

als ich morgens um vier Uhr zurückkam, Gabriel, von dem jeder glaubte, er wäre am Abend zuvor abgereist. Als er mich erblickte, versteckte er sich hinter einer Hecke, und ich stellte mich, als sähe ich ihn nicht; hundert Schritt weiter fand ich ein junges Mädchen, das, den Kopf in den Händen, an einem Grabenrand saß; ich erkannte dich, doch du schautest nicht empor.<

>Ich hörte Sie nicht, mein Vater<, erwiderte ich. >Denn ich war ganz in den Schmerz über die Trennung von Gabriel versunken!<

>Ich ging also vorüber. Obwohl ich zunächst stehenbleiben wollte, um mit dir zu sprechen, hielt mich doch der Gedanke zurück, du könntest dich, genau wie Gabriel, verbergen wollen; ich ging also meines Wegs. Als ich dann die offene Tür eures Hauses sah, begriff ich alles: Gabriel hatte die Nacht bei dir zugebracht.< >Ja, mein Vater, so ist es.<

>Als du dann nicht mehr in das Pfarrhaus kamst, wie du es früher getan, sagte ich zu mir: Die Arme, sie kommt nicht, weil sie in mir den Richter zu finden fürchtet.< Mein Schluchzen verdoppelte sich.

>Nun wohl!< sagte der Pfarrer. >Was kann ich für dich tun? Sprich, mein Kind.<

>Mein Vater<, sagte ich, >ich möchte wissen, ob Gabriel wirklich abgereist ist oder ob er sich noch in Paris befindet.< >Wie, du zweifelst?<

>Mein Vater, es ist mir ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf gegangen: der Gedanke, Gabriel habe, nur um sich meiner zu entledigen, vorgegeben, er reise ab.<

>Und wie bist du auf diesen Gedanken gekommen?< fragte der Priester.

>Einmal sein Stillschweigen: so überstürzt die Abreise auch hätte sein können: soviel Zeit, mir wenigstens ein Wort zu schreiben, wäre immer gewesen. Und wenn nicht von Paris, so von dem Ort, wo er sich einschiffte oder wo er angekommen wäre. Hätte er mir nicht Nachricht geben müssen? Weiß er nicht, daß ein Brief von ihm mein Leben und vielleicht das Leben meines Kindes bedeutet?< Der Pfarrer seufzte.

>Ja, ja<, murmelte er, >der Mensch ist im allgemeinen selbstsüchtig, und ich will niemand verleumden; doch Gabriel, Gabriel! Ich möchte das nicht von ihm glauben. - Du sagst also, du möchtest wissen .<

>Ob Gabriel wirklich von Paris abgereist ist.< >Das ist leicht zu erfahren ... mir scheint, durch seinen Vater. Höre, ermächtigst du mich, seinem Vater alles zu sagen?<

>Ich habe mein Leben und meine Ehre in Ihre Hände gelegt, mein Vater; tun Sie, was Sie für richtig halten.< >Erwarte mich, meine Tochter<, sprach der Priester. >Ich gehe zu Thomas Lambert.< Und er entfernte sich.

Ich blieb auf den Knien und stützte meinen Kopf auf den Arm des Lehnstuhls, ohne zu beten, ohne zu weinen, in meine Gedanken versunken.

Nach einer Viertelstunde öffnete sich die Tür ein weiteres Mal. Ich hörte Tritte, die sich mir näherten, und eine Stimme sprach zu mir: >Steh auf, meine Tochter, und komm in meine Arme.< Ich hob den Kopf und sah mich Gabriels Vater gegenüber. Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, bekannt durch seine Redlichkeit, einer von den Menschen, die nur eines kennen: das gegebene Wort zu erfüllen.

>Hat dir mein Sohn je gesagt, er würde dich heiraten?< fragte er mich. >Laß hören, antworte mir, wie du Gott antworten würdest.< >Nehmt<, sagte ich und reichte ihm Gabriels Brief, in dem er mir versprach, mich in drei Monaten zu sich kommen zu lassen, und in dem er mich seine Frau nannte.

>Und in der Überzeugung, er würde dein Gatte werden, hast du ihm nachgegeben?<

>Ich habe ihm nachgegeben, weil er abreisen wollte und weil ich ihn liebte.<

>Gut geantwortet^ sprach der Priester und nickte billigend mit dem Kopf. >Gut geantwortet, mein Kind.<

>Ja, Sie haben recht, Herr Pfarrer<, sagte Thomas Lambert, >Marie<, fuhr er fort, >du bist meine Tochter, und dein Kind ist mein Kind; in acht Tagen werden wir erfahren, wo Gabriel ist.< >Wie das?< fragte ich.

>Ich muß nach Paris fahren, um einige wichtige Dinge mit meinem Gutsherrn persönlich zu ordnen. Morgen reise ich ab. In Paris gehe ich zu dem Bankier, und ich schreibe dann an Gabriel, wo er auch sein mag, und ich werde ihn auffordern, sein Wort zu halten.<