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Der andere war der Verurteilte.

Als er mich erblickte, stand er auf, doch Gabriels Vater blieb unbeweglich sitzen, als ob er weder sehen noch hören könnte.

»Ah! Doktor«, sagte der Verurteilte, der sich mit der Hand auf den Tisch stützte, um nicht umzufallen, wie mir schien.

»Sie haben es also auf sich genommen, mich zu besuchen? Ich kannte wohl Ihr gutes Herz, und ich gestehe, dennoch zweifelte ich daran, daß Sie mich besuchen würden.«

»Mein Vater, mein Vater«, rief der Verurteilte dann, indem er dem Greis auf die Schultern klopfte, »es ist der Doktor Fabien, von dem ich so oft gesprochen habe. - Entschuldigen Sie ihn«, fuhr der junge Mann fort, der sich nun zu mir zurückwandte und auf Thomas Lambert deutete, »meine Verurteilung hat ihm einen solchen Schlag beigebracht, daß ich glaube, er wird wahnsinnig.«

»Sie haben mich zu sprechen gewünscht, mein Herr, und ich habe mich beeilt, Ihrer Aufforderung zu folgen«, sagte ich. »Ein Arzt hat die Pflicht, solchen Bitten nachzukommen, es ist keine Güte.«

»Nun, Doktor«, erwiderte der Verurteilte, »Sie wissen ... morgen .«

Und er fiel wieder auf seinen Schemel zurück, wischte seine schweißnasse Stirn mit einem durchfeuchteten Taschentuch und setzte ein Glas Wasser an die Lippen, von dem er nur ein paar Tropfen trank; seine Hand zitterte so sehr, daß ich das Glas an seinen Zähnen klirren hörte.

Während des kurzen Stillschweigens, das nun eintrat, schaute ich ihn aufmerksam an.

Nie hatte die schmerzlichste Krankheit eine gräßlichere Veränderung bei einem Menschen hervorgebracht.

War er mir in der Kleidung eines Dandys immer etwas lächerlich erschienen, so war er in der Zuchthaustracht nur noch ein bemitleidenswertes Geschöpf. Stets sehr hager für seine lange Gestalt, war sein Körper noch mehr abgezehrt. Die hohlen Augen schienen in Blut zu schwimmen. Das Gesicht war leichenblaß, und der Schweiß hatte die Haare an die Stirn und an die Schläfen geklebt.

»Mein Vater«, sagte er, den immer noch unbeweglichen, stummen Greis schüttelnd, »mein Vater, es ist der Doktor.«

»Wie?« murmelte der Greis.

»Ich sage Euch, daß es der Doktor ist«, fuhr er, die Stimme hebend, fort, »und ich möchte gern mit ihm allein sprechen. Ei! Mein Gott«, rief er ungeduldig, »wir haben keine Zeit zu verlieren, steht auf und laßt uns allein.«

Dann griff er ihm unter die Achseln und versuchte ihn zum Aufstehen zu bewegen.

»Was gibt es? Was gibt es?« fragte der Greis. »Kommen sie schon, dich zu holen? Es ist noch nicht Zeit, erst morgen früh um sechs Uhr.«

Der Verurteilte fiel auf seinen Schemel zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Hören Sie, Doktor«, sprach er, »bringen Sie ihn zur Vernunft, sagen Sie ihm, daß ich mit Ihnen allein zu sein wünsche.«

Und er schluchzte, streckte die Arme aus und legte das Gesicht auf den Tisch.

Ich bedeutete dem Schließer durch ein Zeichen, er möge mir helfen. Er näherte sich mit mir dem Greis.

»Mein Herr«, sagte ich, »ich bin ein alter Bekannter Ihres Sohnes. Er will mir ein Geständnis anvertrauen; haben Sie die Güte, uns allein zu lassen.«

Zu gleicher Zeit hoben wir ihn auf, jeder an einem Arm, um ihn in den Gang zu führen.

»Das ist es nicht, was man mir versprochen hat«, rief er. »Man hat mir versprochen, ich könnte bis zum letzten Augenblick bei ihm bleiben. Ich habe die Erlaubnis erhalten, warum will man mich wegführen?«

Und durch das Übermaß des Schmerzes wieder zu sich gekommen, warf sich der Greis auf den halb auf dem Tisch liegenden jungen Mann.

»Er wird nicht gehen«, murmelte dieser, »und er muß doch einsehen, daß jede Minute für mich kostbarer ist als ein Jahr in dem Leben eines anderen.« »Verstehen Sie wohl, man will Ihnen Ihren Sohn nicht entreißen, mein Herr«, sagte ich. »Ihr Sohn wünscht nur einen Augenblick mit mir allein zu bleiben.«

»Ist das wahr, Gabriel?« fragte der Greis.

»Ei, mein Gott, ja, ich wiederhole es Euch seit einer Stunde.«

»Dann ist es gut, ich gehe; doch ich will ganz in der Nähe seines Kerkers bleiben.«

»Sie können sich hier im Gang aufhalten.«

»Und ich kann zurückkehren?«

»Sobald es Ihr Sohn verlangt.«

»Sie wollen mich nicht täuschen, Doktor? Einen Vater zu hintergehen wäre gräßlich.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie in einem Augenblick zurückkehren können.«

»Dann verlasse ich Sie«, sagte der Greis; er drückte die Hände auf die Augen und ging hinaus.

Der Wärter ging gleichzeitig mit ihm hinaus und schloß die Tür.

Ich setzte mich auf den Platz, den der Greis verlassen hatte.

»Nun, Herr Lambert«, sagte ich, »wir sind allein, was kann ich für Sie tun? Sprechen Sie.«

Er hob langsam den Kopf, stützte sich auf die Hände, schaute mit irren Augen umher und heftete dann auf mich einen Blick, der immer starrer wurde.

»Sie können mich retten«, sagte er.

»Ich«, rief ich bebend, »wie denn?«

Er griff nach meiner Hand.

»Still«, sagte er, »und hören Sie mich.«

»Ich höre.«

»Erinnern Sie sich, daß wir eines Tages in der Rue Taitbout saßen, wie wir hier sitzen, und daß ich Ihnen, auf eine Banknote geschrieben, die Worte zeigte: Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tod.«

»Ja.«

»Erinnern Sie sich, daß ich mich damals über die Härte des Gesetzes beklagte und daß Sie mir sagten, der König beabsichtige den Kammern eine Verwandlung der Strafe vorzuschlagen.«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Nun ja! Ich bin zum Tode verurteilt, vorgestern ist mein Gesuch, das Urteil zu revidieren, verworfen worden; es bleibt mir keine Hoffnung mehr als die auf ein Gnadengesuch, das ich an den König geschickt habe.«

»Ich verstehe.«

»Sie sind noch immer einer der Ärzte am Hofe des Königs?«

»Ja, und ich habe sogar heute Dienst.«

»Nun, mein lieber Doktor, als Arzt des Königs können Sie diesen in jeder Stunde sehen; ich bitte Sie, begeben Sie sich zu ihm, Sie kennen mich, haben Sie den Mut, und verlangen Sie meine Begnadigung von ihm; ich flehe Sie im Namen des Himmels darum an.«

»Doch diese Begnadigung«, entgegnete ich, »vorausgesetzt, ich würde darum bitten, wird immer nur eine Strafverwandlung sein.«

»Ich weiß es wohl.«

»Und täuschen Sie sich nicht, diese Strafverwandlung wird darin bestehen, daß Sie auf Lebenszeit zu den Galeeren verdammt werden.«

»Was wollen Sie?« murmelte der Verurteilte mit einem Seufzer. »Das ist immer noch besser als der Tod.«

Ich fühlte nun, wie auch mir der kalte Schweiß auf der Stirn perlte.

»Ja«, sprach Gabriel, »ja, ich begreife, was in Ihnen vorgeht; Sie verachten mich, Sie finden mich feig, Sie sagen, es sei hundertmal besser zu sterben, als sein Leben lang, besonders wenn man erst sechsundzwanzig Jahre alt ist, die schändliche Kettenkugel zu schleppen.

Aber was wollen Sie, seitdem dieser Spruch gefällt worden ist, habe ich nicht eine Stunde geschlafen: Schauen Sie meine Haare an . die Hälfte ist weiß geworden . Ja, ich habe Angst vor dem Tod. Warum soll gerade ich sterben. Was habe ich denn getan? Ich habe Banknoten gefälscht, nun gut. Ich wollte reich werden - ich wollte auch reich werden, ich wollte auch ein Haus haben, Wagen und Pferde und einen Platz in der Oper. Und deshalb soll ich sterben? Wie sind denn alle die anderen reich geworden, die Bankiers, der Abgeordnete, der mir Versprechungen gemacht, der Richter, der mich verurteilt hat. Sie sind auch nur von dort hergekommen, wo ich hergekommen bin, sie waren ein Nichts wie ich und sind jetzt große Leute. Sie verachten mich, weil ich Geld gemacht habe - und was haben sie getan? Sie haben spekuliert, sie haben gestohlen, geraubt, gemordet; aber einer deckt den anderen, daß nichts laut wird von ihren Verbrechen. Bin ich nicht genausoviel wert wie sie, habe ich nicht das gleiche Recht wie sie? Oder sind sie nur schlauer gewesen als ich und haben jetzt Angst, daß ihnen ihre Plätze streitig gemacht werden sollen? - Doktor, retten Sie mich vor dem Tod, das ist alles, was ich von Ihnen erbitte, sie mögen dann mit mir machen, was sie wollen.«