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Man sah, daß er seit dem vorhergegangenen Tag nicht frisiert worden war und daß diese Frisur durch die Unruhe der Nacht sehr in Unordnung geraten war; sein Bart war lang, und sein Hemd war sicherlich dasselbe, in dem er sich abends niedergelegt hatte.

»Dieser Mensch ist offenbar ein Bauernkerl«, murmelte Olivier.

Ich gab ihm einen von den Degen, während man den andern seinem Gegner reichte. Olivier nahm ihn bei der Klinge, und es war, als schaute er ihn gar nicht an; man hätte glauben können, er hielte ein Spazierstöckchen in der Hand.

Herr de Faverne nahm dagegen den seinen am Griff und peitschte zwei- oder dreimal die Luft mit der Klinge; dann umwickelte er die Hand mit einem seidenen Taschentuch, um den Degen nicht so leicht verlieren zu können.

Olivier zog jetzt erst seine Handschuhe aus, hielt es aber für unnötig, sich der Vorsichtsmaßregeln zu bedienen, die sein Gegner getroffen hatte; ich gewahrte nun seine Hand; sie war weiß und zart wie eine Frauenhand.

»Nun! Mein Herr«, sagte Herr de Faverne. »Nun?«

»Ich warte«, antwortete Olivier.

»Vorwärts, meine Herren«, rief Alfred.

Die Gegner, die zehn Schritte voneinander entfernt waren, näherten sich jetzt; ich bemerkte, daß das Gesicht von Olivier immer sanfter wurde und immer mehr lächelte, je näher er seinem Gegner kam.

Das Gesicht seines Feindes nahm im Gegenteil einen Charakter von Wildheit an, wie ich ihn so ausgeprägt nicht für möglich gehal-ten hätte; sein Auge schien blutunterlaufen, und seine Gesichtshaut war aschfarben.

Ich mußte mich nun auch zu Oliviers Meinung bekennen: Dieser Mensch hatte Angst vor dem Duell.

In dem Augenblick, wo die Degen sich berührten, öffneten sich seine Lippen und zeigten krampfhaft zusammengepreßte Zähne.

Beide legten sich aus; doch so einfach, so leicht und zierlich die Stellung Oliviers war, so steif und eckig, obgleich in allen Regeln der Kunst, war die seines Gegners.

Man sah, daß dieser Mensch in einem gewissen Alter fechten gelernt hatte, während der andere seit seiner Kindheit mit Rapieren gespielt hatte.

Herr de Faverne begann den Angriff: Seine ersten Stöße waren lebhaft, geschlossen, genau; als er aber diese Stöße getan hatte, hielt er inne, als wäre er erstaunt über den Widerstand seines Gegners. Olivier hatte in der Tat seine Angriffe mit derselben Leichtigkeit pariert, wie er das bei einer Übung im Fechtsaal getan haben dürfte.

Herr de Faverne wurde noch bleicher, und Oliver lächelte noch mehr.

Herr de Faverne veränderte seine Auslage, bog die Knie, spreizte die Beine wie die italienischen Fechtmeister und wiederholte dieselben Stöße, jedoch indem er sie mit jenen Schreien begleitete, die, um ihre Gegner zu erschrecken, die Regimentsprofosse auszustoßen pflegten.

Doch dieser veränderte Angriff hatte keinen Einfluß auf Olivier; ohne einen Schritt zurückzuweichen, ohne auch nur einen Fußbreit seinen Standpunkt zu ändern, ohne eine einzige von seinen Bewegungen zu beschleunigen, kreuzte sich sein Degen mit dem seines Gegners, ja, Olivier kam ihm manchmal sogar zuvor, als hätte er gewußt, welche Stöße de Faverne führen wollte.

Er besaß in der Tat, wie er selbst sagte, eine furchtbare Kaltblütigkeit.

Der Schweiß der Ohnmacht und der Müdigkeit floß von der Stirn de Favernes; Hals- und Armmuskeln schwollen an wie Stricke; seine Hand ermattete sichtbar, und es war sicher, daß sein Degen, wenn er nicht durch das seidene Tuch am Handgelenk befestigt gewesen wäre, bei dem ersten, etwas lebhafteren Angriff seines Gegners aus der Hand fallen würde.

Olivier dagegen schien mit seinem Degen immer noch zu spielen.

Wir schauten schweigend diesem furchtbaren Spiel zu, dessen Ausgang sich leicht erraten ließ. Wir waren uns dessen gewiß, daß de Faverne ein verlorener Mann war.

Nach einem Augenblick wurde ein noch bezeichnenderes Lächeln auf den Lippen Oliviers sichtbar. Er machte ein paar Scheinstöße, dann zuckte ein Blitz in seinen Augen; er fiel weit aus und stieß de Faverne den Degen durch den Leib.

Statt die in solchen Fällen gewöhnliche Vorsichtsmaßregel zu gebrauchen, das heißt, statt sich einen Schritt rückwärts zu werfen, senkte Olivier seinen blutigen Degen und wartete.

Herr de Faverne stieß einen Schrei aus, fuhr mit seiner linken Hand nach der Wunde, schüttelte die rechte Hand, um sie vom Degen zu befreien, der ihn, an sein Handgelenk gebunden, wie eine Keule belastete, wurde völlig leichenblaß, wankte einen Augenblick und fiel ohnmächtig nieder.

Ohne ihn ganz aus dem Auge zu verlieren, wandte sich Olivier zu Fabien um und sagte mit gewöhnlichem Ton, in dem sich nicht die geringste Aufregung erkennen ließ: »Nun Doktor, das übrige geht, glaube ich, Sie an.«

Fabien war schon bei dem Verwundeten. Der Degen war ihm nicht nur durch den Leib gedrungen, sondern er hatte auch das Hemd im Rücken durchlöchert, so tief war der Stich gewesen; das Blut haftete auf mehr als zehn Zoll an der Klinge.

»Hier, mein Lieber«, sagte Olivier zu mir, »hier ist Ihr Degen; es ist erstaunlich, wie gut er mir in der Hand liegt. Bei wem haben sie ihn gekauft?«

»Bei Devismes.«

»Haben Sie die Güte, mir einen ähnlichen zu bestellen?«

»Behalten Sie diesen; Sie bedienen sich seiner zu gut, als daß ich ihn wieder von Ihnen zurücknehmen sollte.«

»Ich danke, es wird mir Vergnügen machen, ihn zu besitzen.« Dann, sich gegen den Verwundeten umwendend: »Ich glaube, ich habe ihn getötet, das würde mir leid tun; ich weiß nicht, warum es mir vorkommt, als müßte dieser Unglückliche nicht durch die Hand eines ehrlichen Mannes sterben.«

Da wir nun nichts mehr hier zu tun hatten, da auch Herr de Faverne in den Händen Fabiens, das heißt eines der geschicktesten Ärzte von Paris war, stiegen wir wieder in unseren Wagen, während man den Verwundeten in den seinen brachte. Zwei Stunden später erhielt ich eine herrliche türkische Pfeife, die mir Olivier als Gegengeschenk für meinen Degen schickte.

Am Abend erkundigte ich mich persönlich nach Herrn de Faverne; am anderen Tag schickte ich meinen Bedienten, am dritten Tag meine Karte; als ich an diesem dritten Tag erfuhr, daß er durch die Sorge Fabiens außer Gefahr war, hörte ich auf, mich um ihn zu kümmern.

Zwei Monate danach empfing ich meinerseits seine Karte. Dann unternahm ich eine Reise, und ich sah ihn nicht mehr bis zu dem Tag, an dem ich ihn im Bagno fand. Olivier hatte sich über die Zukunft dieses Menschen nicht getäuscht.

6. Kapitel

 Das Manuskript

Man errät nun, wie neugierig ich war, die Ereignisse kennenzulernen, die diesen Menschen, mit dem ich, wie er sagte, in der Gesellschaft zusammengetroffen war, auf die Galeere gebracht hatten.

Ich dachte ganz natürlich an Fabien, der mehr über ihn erfahren haben mußte, denn er hatte ja einige Zeit lang die Wunde behandelt, die ihm Olivier beigebracht hatte.

Bei meiner Rückkehr nach Paris war Fabien deshalb auch der erste, dem mein Besuch galt. Ich hatte mich nicht getäuscht; Fabien, der Tag für Tag das, was er tut, aufzuschreiben pflegt, ging an seinen Sekretär und suchte unter mehreren voneinander getrennten Heften eines, das er mir übergab.

»Nehmen Sie, mein Freund«, sagte er. »Sie finden hierin jede Auskunft, die Sie zu haben wünschen; ich will es Ihnen anvertrauen, machen Sie damit, was Ihnen beliebt, aber verlieren Sie es nicht; dieses Heft gehört zu einem großen Werk, das ich über die moralischen Krankheiten, die ich behandelt habe, abzufassen gedenke.«