»Oh, Teufel, mein Lieber«, erwiderte ich, »darin läge ein Schatz für mich.«
»Seien Sie unbesorgt, teurer Freund, sterbe ich an einer gewissen Pulsadergeschwulst, die mir von Zeit zu Zeit ganz leise in das Herz flüstert, daß ich nur Staub bin und wieder zu Staub zu werden gefaßt sein muß, so sind diese Hefte für Sie bestimmt, und mein Testamentsvollstrecker wird sie Ihnen zustellen.«
»Ich danke für die Absicht, doch ich hoffe, das Geschenk, das Sie mir versprechen, nie zu erhalten; Sie sind höchstens drei bis vier Jahre älter als ich.«
»Sie schmeicheln mir; wenn ich mich nicht täusche, bin ich zwölf oder dreizehn Jahre älter; aber was macht das Alter unter solchen Umständen? Ich kenne einen Greis von siebzig Jahren, der jünger ist als ich.«
»Gehen Sie, Doktor, Sie haben solche Gedanken?«
»Gerade weil ich Arzt bin, habe ich sie. Wollen Sie meine Krankheit sehen? Hier ist sie.«
Er führte mich zu einer Zeichnung, welche die Anatomie des Herzens darstellte.
»Ich habe diese Zeichnung nach meiner Unterweisung und zu meinem Privatgebrauch machen lassen, um meine Lage, wenn ich so sagen darf, materiell zu beurteilen. Sie sehen, es ist eine Pulsadergeschwulst; eines Tages wird dieses Gewebe hier zerbersten; wann? Ich weiß es nicht; vielleicht heute, vielleicht in zwanzig Jahren; es ist nur gewiß, daß es bersten wird: Dann ist in drei Sekunden alles vorbei.
Und an einem schönen Morgen hören Sie sagen: >Ach, der arme Fabien, Sie wissen?<
>Ja?<
>Er ist plötzlich gestorben.<
>Woran denn?<
>Oh, mein Gott, während er einem Kranken den Puls fühlte. Man sah ihn rot werden, erbleichen, und er fiel nieder, ohne nur einen Schrei von sich zu geben; als man ihn aufhob, war er tot.<
>Das ist seltsam!<
Man wird zwei Tage in der Gesellschaft, acht in der Medizinschule, vierzehn im Institut davon sprechen, und alles ist abgetan.«
»Sie sind verrückt, mein Lieber.«
»Es ist, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre hatte. - Doch ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich muß Sie verlassen, das Hospital erwartet mich; hier ist das Heft, machen Sie eine Abschrift davon, und tun Sie damit, was sie wollen. Gott befohlen.«
Ich drückte Fabien zum Dank noch einmal die Hand und nahm zugleich freudig und betrübt von ihm Abschied, betrübt über das, was er als seine Zukunft betrachtete, erfreut über die Auskunft, die ich durch das Heft erhalten sollte:
Nach Hause zurückgekehrt, befahl ich meinem Bedienten, niemand zu mir zu lassen, zog meinen Schlafrock an, streckte mich in einem großen Lehnstuhl aus, stützte meine Füße auf die Feuerböcke und öffnete mein kostbares Heft.
Ich schreibe buchstäblich ab, ohne an der Abfassung Fabiens das Geringste zu verändern.
... Oktober 18 ...
Heute morgen um ein Uhr wurde ich benachrichtigt, daß ein Duell zwischen Herrn Henri de Faverne und Herrn Olivier d'Hornoy stattfinden sollte, d'Hornoy ließe mich bitten, ihn und seinen Gegner auf den Kampfplatz zu begleiten.
Punkt fünf Uhr begab ich mich zu ihm. Um sechs Uhr waren wir in der Allee de la Muette, wo der Kampf stattfinden sollte. Um sechs Uhr und fünfzehn Minuten stürzte Henri de Faverne durch einen Degenstich verwundet nieder. Ich eilte auf ihn zu, während Olivier und seine Zeugen wieder in den Wagen stiegen und nach Paris zurückkehrten; der Verwundete war ohnmächtig.
Seine Wunde war offenbar, wenn nicht tödlich, so doch wenigstens sehr schwer. Die Spitze des dreieckigen Eisens war in die rechte Seite eingedrungen und mehrere Zoll links hinten wieder herausgekommen. Ich nahm sogleich einen Aderlaß vor.
Dem Kutscher empfahl ich bei der Rückkehr, durch die Allee von Neuilly und über die Champs-Elysees zu fahren, einmal, weil dieser Weg kürzer war, und dann auch, weil der Wagen, der hier kein Pflaster unter den Rädern hatte, nicht so rüttelte und also den Verwundeten schonte.
Als wir den Triumphbogen erreichten, gab Herr de Faverne einige Lebenszeichen von sich; seine Hand bewegte sich, schien den Sitz eines tiefen Schmerzes zu suchen und blieb auf der Brust liegen. Einige erstickte Seufzer, die das Blut aus seiner doppelten Wunde sickern ließen, entwanden sich voller Schmerzen seinem Munde; dann heftete er seinen Blick auf mich, erkannte mich und murmelte mit einer gewissen Anstrengung: »Ach, Sie sind es, Doktor? Ich bitte Sie, verlassen Sie mich nicht, ich glaube, es steht sehr schlimm um mich.«
Erschöpft durch diese Anstrengung, schloß er wieder die Augen, und ein leichter rötlicher Schaum trat ihm auf die Lippen. Die Lunge war offenbar mit getroffen.
»Seien Sie unbesorgt«, erwiderte ich. »Sie sind allerdings schwer verletzt, doch die Wunde ist nicht tödlich.«
Er antwortete mir nicht, öffnete die Augen nicht, aber er drückte mir schwach die Hand, mit der ich ihm den Puls fühlte.
Solange der Wagen auf dem Sandboden fortrollte, ging alles gut; aber als wir auf den Revolutionsplatz kamen, war der Kutscher genötigt, auf dem Pflaster zu fahren, und die Stöße des Wagens schienen dem Kranken solche Schmerzen zu bereiten, daß ich seine Zeugen fragte, ob nicht einer von ihnen in der Nachbarschaft wohnte, damit man dem Verwundeten den weiten Weg bis zur Rue Taitbout ersparen könnte.
Doch bei dieser Frage, die Herr de Faverne trotz seiner geistigen Abwesenheit hörte, rief er: »Nein, nein, zu mir!«
Überzeugt, die psychische Ungeduld könnte nur die körperliche Gefahr vermehren, gab ich meinen ersten Gedanken auf und ließ den Kutscher weiterfahren.
Nach zehn unendlichen Minuten, während deren ich das Gesicht des Verwundeten bei jedem Stoß sich zusammenziehen sah, kamen wir in die Rue Taitbout Nr. 11.
Herr de Faverne wohnte im ersten Stock. Einer von den Zeugen ging voraus, um die Bedienten zu benachrichtigen, die uns ihren Herrn tragen helfen sollten; zwei Bediente in glänzender, mit Tressen und Borten reichlich verzierter Livree kamen herab.
Ich habe die Gewohnheit, die Menschen nicht nur nach ihrer eigenen Person, sondern auch nach ihrer Umgebung zu beurteilen; ich schaute daher diese zwei Diener prüfend an: Weder der eine noch der andere zeigte auch nur die geringste Teilnahme für den Verwundeten.
Sie waren offenbar erst seit kurzer Zeit im Dienst Herrn de Favernes, und dieser Dienst hatte ihnen kein Mitgefühl für ihren Herrn eingeflößt.
Wir gingen durch eine Reihe von Zimmern, die mir kostbar ausgestattet vorkamen, ohne daß ich jedoch prüfen konnte, ob sie tatsächlich so kostbar waren, wie sie schienen, und gelangten in das Schlafzimmer; das Bett war ungemacht, wie es sein Herr verlassen hatte. An der Wand, neben dem Kopfkissen, bequem zu erreichen, hingen ein paar Pistolen und ein türkischer Dolch.
Wir legten den Verwundeten auf sein Bett, die zwei Bedienten und ich, denn die zwei Zeugen, die ihre Gegenwart für unnütz hielten, hatten sich schon entfernt. Als ich sah, daß die Wunde nicht mehr blutete, verband ich ihn richtig. Sobald dies geschehen war, hieß der Verwundete durch ein Zeichen die Bedienten weggehen, und wir blieben allein.
Trotz des geringen Anteils, den ich bis jetzt an Herrn de Faverne, der mir einen gewissen Widerwillen einflößte, genommen hatte, betrübte mich die Vereinsamung, in der ich ihn zurücklassen sollte.
Ich schaute umher, heftete meine Augen auf die Tür und erwartete immer, jemand eintreten zu sehen, aber ich wurde in meiner Erwartung getäuscht.
Doch ich konnte nicht länger bei ihm bleiben, meine täglichen Geschäfte riefen mich; es war halb acht, um acht Uhr mußte ich in der Charite sein.