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Das klang nicht nach der eigentlichen Lösung, aber sicher besser als nichts.

»Darf ich es sehen?« fragte ich.

Doch Nikolai Alexandrowitsch ließ sich nicht hetzen.

Zuerst das Butterbrot, dann die Schokolade.

»Mr. Kropotkin sagt«, dolmetschte Stephen, »Sie müssen ein oder zwei Dinge am sowjetischen System verstehen.« Seine Augenbrauen hoben sich, und seine Nasenflügel zuckten vor Anstrengung, ein unbewegtes Gesicht zu zeigen. »Er sagt, es ist Sowjetbürgern nicht immer möglich, ganz frei zu sprechen.«

»Sagen Sie, das hätte ich bemerkt. Sagen Sie, ich ... äh ... verstehe.«

Kropotkin betrachtete mich grübelnd und strich sich den Bart.

»Es wäre ihm lieb«, gab Stephen einen weiteren Teil des Gebrumms weiter, »wenn Sie alles, was Sie hier auf der Rennbahn gehört und erfahren haben, ohne Nennung von Namen verwenden würden.«

»Das kann ich ihm aufrichtig versichern«, sagte ich mit Überzeugung, und Kropotkin glaubte wohl eher meiner Stimme als den eigentlichen Worten. Nach einer kleinen Pause sprach er weiter.

»Mr. Kropotkin sagt«, berichtete Stephen getreulich, »er weiß nicht, wer ihm das Papier geschickt hat. Es wurde gestern abend in seiner Wohnung abgegeben. Dabei lag eine kurze Erklärung mit der Bitte, es an Sie weiterzugeben.«

»Klingt es, als ob er wirklich nicht weiß, wer ihm das geschickt hat, oder glauben Sie, er will es nur nicht sagen?«

»Unmöglich zu entscheiden«, antwortete Stephen.

Endlich machte Nikolai Alexandrowitsch Anstalten, die Ware zu liefern. Bedächtig zog er eine große, schwarze Brieftasche heraus und öffnete sie weit. Seine dicken Finger tasteten vorsichtig in ihre Tiefen, und langsam kam ein weißer Umschlag zum Vorschein. Die Übergabezeremonie begleitete er mit einer kleinen Ansprache.

»Er sagt«, sagte Stephen, »ihm kommt das Blatt Papier nicht sehr bedeutungsvoll vor. Er wünschte, es wäre so. Er möchte Ihnen gern in irgendeiner Weise behilflich sein, weil er den aufrichtigen Wunsch hat, Ihnen seine Dankbarkeit für die Rettung des Olympiapferdes zu beweisen.«

»Sagen Sie ihm, selbst wenn sich das Papier als unwesentlich herausstellen sollte, werde ich doch nie vergessen, welche Mühe er sich gemacht hat.«

Kropotkin nahm das Kompliment gnädig entgegen und trennte sich zögernd von dem Umschlag. Mit der gleichen Gelassenheit nahm ich ihn entgegen und zog die beiden kleinen Blätter Papier heraus, die er enthielt.

Sie waren mit einer Büroklammer zusammengeheftet. Das obere, weiß und wenig bemerkenswert, trug einige kurze Zeilen in russischen Buchstaben.

Das untere, ebenfalls weiß, aber aus einem Notizbuch gerissen und blau liniert, war im wesentlichen mit einer Anzahl mit Bleistift gekritzelter, geometrischer Muster bedeckt. Ziemlich oben standen zwei Worte: Für Aljoscha, und etwas tiefer, umgeben von Sternchen, J. Farringford. Darunter, eins unter dem anderen, wie eine Liste, die Worte Amerikaner, Deutsche, Franzosen, und darunter eine Reihe Fragezeichen. Das schien mehr oder weniger alles zu sein, doch fast ganz unten auf der Seite standen, jede in ihrem eigenen gezeichneten Kästchen, vier Gruppen von Buchstaben und Zahlen, und zwar: Abf Pet, 1855, K’sC und 1950.

Über das ganze Gekritzel hatte jemand von oben bis unten einen dicken, S-förmigen Krakel gemalt, wie um die ganze Seite auszustreichen.

Ich drehte das kleine Blatt um. Die Rückseite zeigte ungefähr fünfzehn Zeilen mit Kugelschreiber geschriebener Worte, die aber sorgfältig, Zeile für Zeile, mit einem etwas andersfarbigen Kugelschreiber ausgestrichen worden waren.

Kropotkin sah mich erwartungsvoll an. »Ich bin sehr zufrieden. Das ist sehr interessant«, sagte ich. Er verstand die Worte und zeigte große Befriedigung.

Damit schien unser Geschäft beendet, und nach einigen weiteren Höflichkeiten von beiden Seiten traten wir aus dem Büro auf die breite Stallgasse hinaus. Kropotkin lud mich ein, mir die Pferde anzusehen, und wir schritten Seite an Seite an der Reihe offener Boxen entlang.

Hinter mir hörte ich Stephen erstickt atmen, vermutlich wegen des Geruchs. Meine eigene Nase zuckte auch ein wenig bei dem ungewöhnlich durchdringenden Ammoniakgestank, aber den Trabern schien es nichts auszumachen. Sie würden heute abend laufen, erzählte Kropotkin, der Schnee sei noch nicht sehr tief. Stephen übersetzte mannhaft bis zum Ende, aber als wir ins Freie traten, sog er die Luft ein, als sei es eine Quelle in der Wüste.

Auf der Bahn wurden immer noch mehrere Pferde trainiert, die nach meinem Dafürhalten aber nicht die Klasse von Renn- oder Militarypferden hatten.

»Alle Reitclubs benutzen die Anlage«, erklärte Kropotkin via Stephen. »Sämtliche Pferdeställe von Moskau liegen in diesem Viertel, und jedes Training findet im Hippodrom statt. Alle Pferde gehören dem Staat. Die besten Pferde kommen in den Rennsport und in die Zucht oder werden für die Olympiade aufgebaut; was übrigbleibt, teilen sich die Clubs. Die meisten Pferde bleiben den Winter über in Moskau, weil sie sehr robust sind. Und ich frage mich«, fügte Stephen von sich aus hinzu, »wie es hier erst im März stinken muß!«

An dem immer noch unbewachten Haupteingang verabschiedete sich Kropotkin würdevoll von uns. Er war ein großartiger alter Bursche, dachte ich, und durch ihn und Mischa hatte ich eine ganze Menge erfahren.

»Freund«, sagte ich, »ich wünsche Ihnen alles Gute.«

Er drückte meine Hand gefühlvoll mit beiden Händen und umarmte und küßte mich.

»Mein Gott«, sagte Stephen im Weggehen, »was für eine rührende Szene.«

»Etwas Gefühl kann nicht schaden.«

»Aber hat es was genützt?«

Ich reichte ihm den Umschlag und hustete den ganzen Weg zum Taxihalteplatz.

»An Nikolai Alexandrowitsch, durch Boten«, las Stephen auf dem Umschlag. »Der Absender kennt Kropotkin also ziemlich gut, sonst hätte er nicht das Kropotkin weggelassen. Das tut man nur, wenn man jemanden gut kennt.«

»Es wäre auch seltsam, wenn sie sich nicht kennen würden.«

»Das ist wohl richtig.« Er zog die beiden zusammengehefteten Blätter heraus. »Hier auf der ersten Seite steht, >Blatt von einem Notizblock, wie sie bei internationalen Turnieren verwendet werden. Bitte an Randall Dew weitergeben<.«

»Ist das alles?«

»Mehr steht nicht da.«

Er besah sich die nächste Seite, während ich wild einem vorbeifahrenden Taxi winkte. Endlich auf dem Rückweg, reichte Stephen mir den Schatz zurück.

»Keine große Beute«, meinte er. »Der Berg hat eine Maus geboren.«

In mein gedankenvolles Schweigen hinein sprach der

Taxifahrer.

»Er will wissen, wo wir hinwollen«, sagte Stephen.

»Zurück ins Hotel.«

Unterwegs hielten wir jedoch noch einmal, als er eine Drogerie entdeckte. Die russischen Buchstaben über der Ladentür lasen sich, in lateinischer Schrift, wie Apotek. Apotheke ... was sonst? Ich ging mit ihm hinein, weil ich Linderung für die Schmerzen in Fingern und Brust suchte, bekam am Ende aber nur etwas, das Aspirin entsprach. Stephen beugte sich über die Theke und flüsterte seinen Kaufwunsch einem drallen Drachen ins Ohr.

Sie antwortete ziemlich laut, und die restlichen Kunden drehten sich um und starrten ihn an. Sein Gesicht war das hochrote Bild der Verlegenheit, trotzdem gab er nicht nach und führte die Transaktion zu einem glücklichen Ende.

»Was hat sie gesagt?« fragte ich, als wir gingen.

»Sie sagte >Dieser Ausländer will ... preservativij ...< und lachen Sie ja nicht.«

Mein Kichern endete sowieso in einem Husten. »Preservativij, sind das Kondome?«

»Gudrun besteht darauf.«

»Damit hat sie auch verdammt recht.«

Im Hotel gingen wir durch die Halle direkt zum Fahrstuhl, da ich meinen Zimmerschlüssel mit zur Universität genommen hatte, um meine Abwesenheit nicht gleich bei der Rezeption bekanntzugeben.