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Ich fühle mich wie der Tod auf Latschen, wollte ich sagen, aber das war wohl kein sehr passender Vergleich.

»Sie sagen«, fuhr Juri fort, »Sie wollen sehr hochgestellten Genossen.« Der vertraute Akzent erhob sich über dem Motorengeräusch. Die Tränensäcke unter seinen Augen schienen schwerer geworden zu sein, und sein Körper wirkte zusammengesunken. Die Oberlippe zuckte ein-, zweimal konvulsivisch und ließ die Zähne sehen. Gekonnt zündete er sich mit einer Hand eine Zigarette an und sog gierig den Rauch in die Lungen. Feiner Schweiß glänzte auf seiner Stirn.

Er war, wie ich, in seinem besten, saubersten Anzug erschienen, mit weißem Hemd und Krawatte. Ich sah, wie nervös er war: ich war es nicht minder.

»Ich kriegen Generalmajor«, sagte er. »Sehr hoher Genosse.«

Ich war beeindruckt. Ich hatte um einen Genossen gebeten, der dank seines Ranges in der Lage sein würde,

Entscheidungen zu treffen: obwohl es mir nach meinen Erfahrungen so vorkam, als habe überhaupt niemand diesen Status. Die sowjetische Methode schien zu sein, »Aktionen nur nach Konsultationen«, oder »Bis das Komitee zusammengetreten ist, lautet die Antwort Njet«. Niemand wollte eine eigene Entscheidung treffen, aus Furcht, sie könnte falsch sein.

»Wo fahren wir hin?« fragte ich.

»Architektenzirkel.«

Also traute sich sogar der Generalmajor nicht, mich auf offiziellem Boden zu empfangen.

»Er will«, sagte Juri, »Sie ihn Generalmajor nennen. Er nicht nennt seinen Namen.«

»Sehr gut.«

Wortlos fuhren wir eine Weile. Ich hustete ein wenig und dachte an die vergangene Nacht, die ich hauptsächlich mit Schreiben verbracht hatte. Körperlich war es eine mühselige Prozedur gewesen, weil ich den Stift nicht ordentlich halten konnte. In der Hitze des Gefechts hatte ich einen Stuhl ergriffen und damit um mich geschlagen, aber die alles betäubende blinde Wut fehlte in den kalten Nachtstunden. Am Morgen, als Stephen von Gudrun zurückkam, gab ich ihm die Seiten mit meinen Erklärungen zu lesen, während ich das Telex, die Formel und die beiden Blätter von Malcolms Notizblock in einen großen Umschlag steckte.

Nachdem er fertig war, sah er mich sprachlos an.

»Man muß sich rückversichern«, sagte ich mit schiefem Grinsen.

Ich steckte die handgeschriebenen Seiten ebenfalls in den Umschlag und adressierte ihn an den Prinzen, worauf er die Augenbrauen noch etwas mehr hob, dann warf ich einen Blick auf die Wände, und wir gingen in stillschweigendem Einverständnis hinaus und schlenderten den Gang hinunter.

»Wenn die Genossen so ungastlich sein sollten, mich ins Kittchen zu stecken, dann schwirren Sie morgen früh bei der Botschaft vorbei und bestehen darauf, Oliver Waterman persönlich zu sprechen. Sagen Sie ihm, die Berge werden ihm auf den Kopf fallen, falls er diesen Umschlag nicht pronto im Kuriergepäck wegschickt.«

»Ich weiß von einem Brief, der im Diplomatengepäck nach Moskau kommen sollte und statt dessen in Ulan Bator landete«, sagte Stephen.

»Es ist immer ein Vergnügen, Ihnen zu lauschen.«

»Man sagt, die Lubjanka reicht sieben Stockwerke weit unter die Erde.«

»Wie reizend.«

»Gehen Sie nicht«, sagte er.

»Kommen Sie zum Mittagessen ins Intourist. Das Eis ist recht gut.«

Juri fuhr mit hoher Geschwindigkeit um eine Ecke und korrigierte das daraus resultierende Schleudern mit geübter Hand.

»Juri«, sagte ich, »haben Sie eine Seite von Malcolms Notizblock an Mr. Kropotkin weitergegeben?«

Die Asche fiel von seiner Zigarette, und seine Oberlippe zuckte.

»Ich dachte es mir. Sie sagten, Sie hätten sich mit ihm in Burleigh über Bauten unterhalten. Wenn man lesen könnte, was auf der Rückseite steht, wären es dann Notizen über dieses Gespräch?«

Er schwieg.

»Ich werde nicht darüber reden«, versprach ich. »Aber

ich möchte es gern wissen.«

Es entstand eine weitere der langen, schon vertrauten Pausen, und am Ende sagte er: »Ich glaube, Zettel nicht geholfen«, als erkläre das alles.

»Er hat sehr viel geholfen.«

Er bewegte den Kopf auf eine Art, die wohl Befriedigung ausdrücken sollte, obwohl ihm bei dem Gedanken, sich mit einem Ausländer verbündet zu haben, sicher nach wie vor nicht wohl war. Ich fragte mich, wie mir zumute wäre, wenn ich einem Russen bei Nachforschungen helfen würde, die möglicherweise den Interessen meines Landes zuwiderliefen. Es machte Juris Dilemma sehr menschlich, sehr verständlich. Und er war auch einer, dem ich nicht schaden durfte, dachte ich.

Sogar zu dieser Stunde, an diesem Tag, war ein Drache hinter der Tür auf Posten: klein, rundlich, weiblich und gleichgültig. Es schien ihr keine Freude zu machen, uns einzulassen.

Wir legten Mäntel und Pelzmützen ab. Überall in Moskau, in jeder Eingangshalle gab es kilometerlange Garderoben mit Bügeln und für jeden Kilometer einen Verantwortlichen. Wir nahmen unsere Garderobenmarken und gingen in die geräumige Halle im Erdgeschoß.

Ich war vor zwei Tagen auf dem Weg ins Restaurant schon einmal durchgegangen. Gelblicher Parkettboden, leichte Sessel aus Metall und Plastik und hohe Raumteiler aus Holz, die die einzelnen Sitzgruppen trennten. Juri führte mich zu einer Sitzgruppe in der Mitte des Raums. Drei Sessel um einen niedrigen, runden Tisch gruppiert; und in einem der Sessel ein Mann.

Er erhob sich, als wir näherkamen.

Ungefähr meine Größe, kräftig und außerordentlich gepflegt. Dunkles Haar, von wenigen weißen Faden durch-zogen und glatt zurückgekämmt. Ungefähr fünfzig. Das Kinn frisch rasiert, alles tadellos. Er trug eine unauffällige Brille und einen elegant geschnittenen Anzug. Man bekam einen sofortigen und bleibenden Eindruck von Macht.

»Generalmajor«, sagte Juri ehrerbietig, »das ist Randall Drew.«

Wir tauschten einige einleitende Höflichkeitsfloskeln aus. Sein Englisch war perfekt und hatte nur einen winzigen Hauch von Akzent: die Stimme leise und gepflegt. Rupert Hughes-Beckett, sowjetische Ausgabe, dachte ich.

»Ich hätte Sie gebeten, in mein Büro zu kommen«, sagte er. »Nur ist es sonntags nicht voll besetzt, und außerdem werden wir hier vielleicht auch weniger gestört.«

Er winkte mich in einen der Sessel und nahm selbst wieder Platz.

Juri zögerte taktvoll. Der Generalmajor schlug freundlich auf englisch vor, er solle gehen und Kaffee organisieren und warten, bis der Kaffee fertig sei.

Er sah dem gehorsam sich entfernenden Juri nach, dann wandte er sich mir zu.

»Beginnen Sie, bitte«, sagte er.

»Ich wurde vom britischen Außenministerium und dem Prinzen nach Moskau geschickt«, fing ich an und nannte den vollen Titel des Prinzen, in der Annahme, es müßte sogar einen guten Sohn der Revolution beeindrucken, daß ich im Auftrag des Vetters einer Monarchin unterwegs war.

Der Generalmajor betrachtete mich gelassen, und seine Augen verrieten nichts. »Bitte fahren Sie fort.«

»Mein Auftrag war, festzustellen, ob John Farringford ... Lord Farringford, der Schwager des Prinzen ...

möglicherweise in einen peinlichen Skandal verwickelt werden könnte, wenn er bei den Olympischen Reiterspielen startet. Ein gewisser Aljoscha wurde in dem Zusammenhang erwähnt. Ich sollte diesen Aljoscha finden und befragen und sehen, wie der Hase läuft ... äh ... drücke ich mich klar aus?«

»Vollkommen«, sagte er höflich. »Sprechen Sie bitte weiter.«

»John Farringford hat törichterweise zusammen mit einem deutschen Reiter, einem gewissen Hans Kramer, in London einige Nachtlokale aufgesucht, in denen perverse erotische Unterhaltungen geboten wurden. Der Deutsche starb später bei der internationalen Military, und Leute, die dabei waren, behaupten, mit seinem letzten Atemzug habe er gesagt: >Es ist Aljoschac. Aus einem mir unverständlichen Grund entstand das Gerücht, wenn Farringford nach Moskau käme, würde Aljoscha auf ihn warten. Dabei war unmißverständlich klar, daß Aljoscha ihm Schwierigkeiten machen würde. Dieses Gerücht veranlaßte den Prinzen zu der Bitte, ich möge der Sache nachgehen.«