»Ich verstehe«, sagte er langsam.
»Tja ... ich bin gekommen«, sagte ich. Ein Hustenanfall preßte mir die Brust zusammen. Da drin braute sich langsam ein vertrautes Fieber zusammen, aber heute war es noch zu bewältigen. Morgen und die folgenden Tage waren Glückssache. Ich gürtete mir zumindest geistig die Lenden.
»Ich mußte feststellen, daß ich nicht irgendein schmutziges Skandälchen untersuchte, sondern etwas ganz anderes. Ich bat Sie um dieses Zusammentreffen, weil das, was ich entdeckt habe, ein Terroranschlag zur Störung der Olympischen Spiele ist.«
Er war nicht überrascht, und natürlich hatte Juri ihm schon soviel erzählt, um ihn überhaupt zu dieser Zusammenkunft zu überreden. Nicht überrascht, aber auch nicht überzeugt.
»Nicht in der Sowjetunion«, sagte er in glatter Ablehnung. »Wir haben hier keine Terroristen. Und Terroristen kommen nicht her.«
»Ich fürchte doch.«
»Das ist ausgeschlossen.«
»Wer Pech angreift, besudelt sich.«
Seine Reaktion auf diese unkluge Behauptung war ein merkliches Straffen des Rückens und ein Heben des Kinns, aber wir drangen doch langsam auf ein Gebiet vor, auf dem er bereit war, der Möglichkeit von Schmutz vor der eigenen Haustür ins Auge zu sehen.
»Ich erzähle Ihnen das, damit Sie eine Katastrophe in Ihrer Hauptstadt abwenden können«, fuhr ich gelassen fort. »Wenn Sie mich nicht anhören wollen, gehe ich jetzt.«
Aber ich rührte mich nicht, und er ebensowenig.
Nach kurzem Schweigen sagte er: »Fahren Sie fort.«
»Die Terroristen sind keine Russen, das will ich Ihnen zugestehen, und soweit ich weiß, sind im Augenblick nur zwei hier. Aber die leben meiner Ansicht nach ständig hier ... und würden zweifellos bei der Olympiade Verstärkung erhalten.«
»Wer ist es?«
Ich nahm meine Brille ab, hielt sie gegen das Licht und setzte sie wieder auf.
»Sie wissen von jedem Ausländer, der hier in Ihrer Stadt lebt«, sagte ich. »Suchen Sie also nach zwei Männern, zwanzig bis dreißig Jahre alt, von denen einer ein schwer verstauchtes oder gebrochenes Handgelenk hat und der andere Verletzungen im Gesicht. Vielleicht haben sie außerdem noch Schnittwunden und Beulen. Sie haben eine bleiche Gesichtsfarbe, dunkle Augen und dunkles krauses Haar. Falls nötig, könnte ich sie identifizieren.«
»Ihre Namen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die weiß ich nicht.«
»Und was hoffen sie Ihrer Meinung nach zu erreichen?« fragte er, als sei die ganze Sache lächerlich. »In diesem Land wird es ihnen nicht gelingen, Geiseln zu nehmen.«
»Das haben sie wohl auch nicht vor«, erklärte ich. »Die Schwierigkeit bei einer Geiselnahme ist, daß man soviel Zeit braucht. Zeit, während die Forderungen gestellt und diskutiert werden. Zeit, und das bedeutet Nahrung für Geiselnehmer und Geiseln, Hygiene und andere prosaische Dinge. Je länger es dauert, um so geringer ist die Chance des Erfolges. Und die Welt ist dieser Drohungen müde geworden und sehr viel härter. Man glaubt nicht mehr, unschuldige Leben retten zu müssen, indem man verurteilte Terroristen freiläßt, weil die ihrerseits einfach losgehen und andere Unschuldige ermorden. Und ich stimme Ihnen zu, Ihre Genossen würden ein Massenkidnapping zu verhindern wissen. Aber diese Männer wollen niemand entführen, sie wollen töten.«
Er zeigte keine Gefühlsregung. »Und wie würden sie das bewerkstelligen? Und was würden sie damit erreichen?«
»Angenommen, sie brächten beispielsweise Lord Farringford um. Angenommen, sie sagen dann, wenn diese oder jene unserer Forderungen nicht erfüllt wird, stirbt ein Mitglied des französischen Teams und ein Mitglied des deutschen Teams und ein Mitglied des amerikanischen Teams. Oder das ganze amerikanische Team. Angenommen, sie geben dem Terrorismus eine völlig neue Dimension, wo die Opfer gar keine Chance mehr haben. Niemand würde wissen, wer die Opfer sind, bevor sie sterben, und die potentiellen Opfer wären sämtliche Teilnehmer der Olympischen Spiele.«
Er überdachte das Gehörte kurz und war nicht überzeugt. »Theoretisch ist das möglich«, gab er zu. »Aber dafür gibt es keine geeignete Waffe. Die Mörder wären bald gefaßt.«
»Ihre Waffe ist eine Flüssigkeit. Ein Teelöffel pro Person genügt. Sie muß auch nicht getrunken werden. Sie tötet bereits, wenn sie mit der Haut in Berührung kommt. Und das macht die Reiterspiele so gefährlich, weil dort die Teilnehmer und die Zuschauer am ehesten zusammenkommen.«
Es entstand ein längeres Schweigen. Es war schwer zu sagen, was er dachte. Ich wollte schon weitersprechen, als er unterbrach.
»Solche Flüssigkeiten unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe und werden nur an ganz sicheren Orten aufbewahrt. Wollen Ihre Terroristen etwa in streng bewachte Laboratorien einbrechen?« Sein Ton besagte, daß er das für unwahrscheinlich hielt.
Ich zog die Kopie der Formel aus der Tasche und reichte sie ihm.
»Diese Flüssigkeit ist weder sehr geheim noch schwer zu bekommen«, teilte ich ihm mit. »Und sie tötet innerhalb von neunzig Sekunden. Einer von meinen angenommenen Terroristen könnte Ihnen einen Teelöffel voll über die bloße Haut schütten, ohne daß Sie sich viel dabei denken, und er wäre in der Menge verschwunden, bevor Ihnen schlecht wird.«
Er entfaltete den Zettel und las mit einem leichten Stirnrunzeln die Liste von Worten.
»Was ist das?« fragte er. »Ich bin kein Chemiker.«
»Etorphin«, entgegnete ich. »Ein Morphiumderivat, soviel ich weiß. Etorphin, Acepromazin und Chlorocresol, diese ersten drei Bestandteile bilden ein Betäubungsmittel. Ich bin absolut sicher, obwohl ich das in Moskau nicht so nachprüfen konnte wie zu Hause, daß es sich um ein besonders bei Tieren sehr wirkungsvolles Betäubungsmittel handelt.«
»Betäubungsmittel?« fragte er zweifelnd.
»Es betäubt Pferde und Rinder«, erklärte ich. »Für Menschen ist es bereits in der kleinsten Dosis tödlich.«
»Wozu sollte jemand ein so gefährliches Betäubungsmittel benutzen wollen?«
»Weil es für die Tiere das beste ist. Ich habe zweimal gesehen, wie es angewendet wurde. Einmal bei einem meiner Pferde und einmal bei einem Bullen. Beide Tiere sind schnell wieder zu sich gekommen, und zwar ohne die Komplikationen, die wir gewöhnlich erleben.«
»Sie haben es gesehen ...«
»Ja. Und jedesmal bereitete der Tierarzt eine Spritze mit einem Gegenmittel vor, falls er sich unglücklicherweise an der Spritze mit dem Narkosemittel ritzen sollte. Diese Spritze zog er auf, bevor er die Ampulle mit dem Betäubungsmittel überhaupt anrührte, und er trug Gummihandschuhe. Er sagte mir, das Mittel sei so gut für die Tiere, da nehme man die Vorsichtsmaßnahmen gern in Kauf.«
»Aber wird das selten ... angewendet?«
Ich schüttelte den Kopf. »Mehr oder weniger routinemäßig.«
»Sie sagten ...« Er überlegte kurz. »Sie sagten falls er sich ritzen solltec. Heißt das, die Mischung muß durch eine Verletzung in die Haut eindringen? Sie sagten doch, es reicht, wenn man sie auf die Haut schüttet .«
»Ja«, sagte ich. »Nun, die meisten Flüssigkeiten dringen nicht durch die Haut, und diese auch nicht. Normalerweise muß ein Tierarzt sich also nur vorsehen, daß sie nicht durch eine Verletzung eindringt, trotzdem spülen sie die Stelle mit einem Eimer Wasser ab, wenn sie zufällig einen Tropfen abbekommen.«
»Hatte Ihr Tierarzt das Wasser auch bereit?«
»Ja, das hatte er.«
»Sprechen Sie weiter«, bat er.
»Wenn Sie sich die Formel noch mal ansehen, werden Sie feststellen, daß der nächste Bestandteil Dimethyl-sulphoxid ist, etwas, was ich sehr genau kenne, weil ich es unzählige Male bei meinen Pferden angewendet habe.«
»Noch ein Betäubungsmittel?«
»Nein. Man benutzt es bei Verstauchungen, Prellungen, Entzündungen in den Beinen ... einfach für alles. Es ist eine Allzweckeinreibung.«