»Aber .«
»Nun«, ich ließ mich nicht unterbrechen, »die Haupteigenschaft dieser Flüssigkeit ist, daß sie die Haut durchdringt und die Wirkstoffe so zu den darunterliegenden Gewebeschichten gelangen.«
In seinen Augen lag plötzliches Verstehen.
Ich nickte. »Wenn man also das Einreibungsmittel mit dem Betäubungsmittel mischt, geht es glatt durch die Haut und in den Blutkreislauf.«
Er holte tief Luft. »Was genau passiert, wenn die Mischung in den Körper eindringt?«
»Atemlähmung und Herzstillstand«, sagte ich. »Es geht sehr schnell und sieht wie ein Herzanfall aus.«
Nachdenklich sah er wieder auf den Zettel.
»Und was bedeutet die letzte Zeile? Antagonist
Naloxon?«
»Ein Antagonist ist eine Droge, die gegen eine andere Droge wirkt.«
»Also ist Naloxon ein Gegengift?«
»Ja, ich glaube, das benutzt der Tierarzt zu seinem Schutz. Ich glaube nicht, daß es das ist, was er den Tieren zum Aufwachen spritzt.«
»Soll das heißen ... man muß den Tieren eine zweite Spritze geben? Das Betäubungsmittel läßt nicht einfach nach?«
»Vielleicht tut es das irgendwann, ich weiß es nicht. Aber soweit ich weiß, bricht man die Narkose so schnell wie möglich ab.«
»Also ist Naloxon für Menschen.«
»Sogar Terroristen würden nicht mit dem Zeug umgehen, ohne sich zu schützen«, meinte ich. »Und ich glaube«, fuhr ich zögernd fort, »die benötigte Menge Naloxon hängt von der Menge Flüssigkeit ab, die man aufgenommen hat. Sehen Sie, bei Tieren nimmt der Veterinär Betäubungsmittel und Wiederbelebungsmittel zu gleichen Teilen. Und manchmal ist eine weitere Wiederbelebungsspritze notwendig.«
Bei Malcolm war es einfach eine Frage der Menge gewesen, dachte ich. Zuviel tödliche Flüssigkeit, zuwenig Naloxon. Sein Pech.
»Nun gut«, sagte der Generalmajor und steckte die Formel in seine Brusttasche. »Und jetzt erzählen Sie mir bitte, wie Sie zu diesen Schlüssen gekommen sind.«
Ich hustete, weil ich nicht anders konnte, nahm meine Brille ab und setzte sie wieder auf, weil das Ergebnis meiner Erzählung möglicherweise nicht meinen Hoffnungen entsprechen würde.
»Es begann bei der internationalen Military im September in England«, fing ich an. »Ein englischer Journalist, Malcolm Herrick, der hier in Moskau als Korrespondent für The Watch gearbeitet hat, überredete bei diesem Anlaß Hans Kramer, den Arzneimittelkoffer eines Tierarztes zu stehlen, der einige Pferde behandelte. Malcolm Herrick erhielt das Betäubungsmittel von Kramer. Er mischte es mit dem Einreibungsmittel, das leicht zu bekommen ist. Dann verkaufte er es für fünfzigtausend Pfund an die Terroristen.«
»Für wieviel?« Der Generalmajor zeigte zum erstenmal unverhohlenes Erstaunen.
»Ja ... die Sache hatte nichts mit Ideologie, sondern nur mit Bargeld zu tun. Es werden ja auch Waffen an die Terroristen verkauft. Die stellen sie schließlich nicht selbst her. Sie denken zweifellos, fünfzigtausend Pfund sind eine Menge Geld für eine so leicht zu beschaffende Ware. Aber Herrick hat ihnen natürlich nicht gesagt, was es ist. Ich wage zu behaupten, er tat so, als sei es eine von Ihren Top-Secret-Waffen aus den streng bewachten Laboratorien. Jedenfalls haben sie bezahlt, aber nicht ohne eine Vorführung ... eine Art Probelauf.«
Ich wartete auf einen Kommentar des Generalmajors, aber nichts kam.
»Sie probierten ein bißchen davon an Hans Kramer aus«, fuhr ich fort. »Zweifellos schlug Herrick das vor, denn wenn Kramer tot war, konnte er nicht erzählen, daß er Herrick das Zeug gegeben hatte.«
»Gegeben? Hat er es nicht an Herrick verkauft?«
»Nein. Kramer sympathisierte mit Terroristen. Er tat es für die Sache.«
Der Generalmajor preßte die Lippen zusammen. »Weiter.«
»Kramers Tod wurde für einen Herzanfall gehalten.
Herrick kehrte nach Moskau zurück, ebenso die beiden Terroristen. Ich denke, das könnte bedeuten, daß er sie schon von hier kannte ... sie hier kennengelernt hat ... und daß er sich, weil er sie kannte, den Plan ausdachte, ihnen das Zeug zu verkaufen, von dem er durch Zufall irgendwann gehört hatte. Und dabei wäre es bis zu den Olympischen Spielen geblieben; eine hübsche kleine Zeitbombe, die im dunkeln vor sich hin tickt. Nur begannen jetzt Leute, Fragen über Aljoscha zu stellen.«
»Und zu diesem Zeitpunkt kamen Sie nach Moskau.«
Ich nickte. Hustete, wünschte, der Kaffee würde endlich kommen. Schluckte mit trockenem Mund und kam zu den heiklen Punkten.
»Seitdem hat Herrick versucht, mich zur Heimreise zu überreden, erst mit Worten, dann mit einem Pferdetransporter. Die beiden Terroristen haben es auch versucht, und es gibt mich nur deshalb noch, weil ich Glück gehabt habe. Aber irgendwann gestern haben sie entdeckt, daß sie sehr viel Geld für ein sehr billiges Erzeugnis gezahlt haben, und wurden sehr böse.«
Ich tat einen dringend notwendigen tiefen Atemzug. »Herrick hatte ihnen gesagt, sie sollten in mein Zimmer im Intourist kommen und mich endgültig fertigmachen. Ich glaube, er dachte dabei mehr an Schädeleinschlagen oder ähnliches, aber als sie kamen, brachten sie eine ganze Menge der Flüssigkeit in einem Glasbehälter mit. Vielleicht ihren ganzen Vorrat, und ob nun etwas davon für mich bestimmt war oder nicht, sie schütteten jedenfalls fast alles auf Herrick.«
Langsam öffnete sich sein Mund und schloß sich dann wieder.
Ich machte weiter. »Ich hatte noch zwei Freunde bei mir, außer Herrick. Wir vertrieben die Terroristen, deshalb hat einer eine verletzte Hand und der andere ein zerschlagenes Gesicht, neben anderen kleineren Verletzungen.«
»Malcolm Herrick ... er ist tot?«
»Wir haben einen Arzt gerufen«, sagte ich. »Der Arzt meint, es war ein Herzanfall, und dabei wird es bleiben, wenn man nicht eine sehr sorgfältige Autopsie vornimmt.«
Ein winziges Lächeln glitt über sein Gesicht. Langsam rieb er sich mit der Hand übers Kinn und betrachtete mich abschätzend.
»Woher wissen Sie das alles?«
»Ich habe zugehört.«
»Russen? Oder nur Ausländern?«
»Jeder, der mit mir gesprochen hat, wollte verhindern, daß die Terroristen bei den Olympischen Spielen Schande über Rußland bringen.«
»Sie reden wie ein Diplomat«, sagte er. Er rieb sich das Kinn.
»Und Aljoscha? Haben Sie schließlich auch diesen Aljoscha gefunden?«
»Hm«, machte ich. »Hans Kramer und Malcolm Herrick sagten voll Entsetzen >Aljoscha<, bevor sie starben. Beide wußten, woran sie starben ... ich glaube, sie haben das Zeug so genannt. Eine Art Deckname, damit sie ungehindert darüber sprechen konnten. Ich konnte Aljoscha nicht finden, weil Aljoscha kein menschliches Wesen ist. Es ist diese Flüssigkeit. Aljoscha ist die Todesart.«
Kapitel 18
Juri Chulitskij fuhr mich zum Intourist zurück und setzte mich direkt vor der Tür ab. Gefühlvoll schüttelte er mir die linke Hand und klopfte mir mehrmals auf die Schulter. Und dann - man konnte den Stein förmlich hören, der ihm vom Herzen fiel - fuhr er davon. Es hatte ihn sichtlich gefreut, daß der Generalmajor ihm beim Abschied die Hand gegeben hatte, und auf der Rückfahrt hatte er auf einmal den Wagen angehalten und heftig die Handbremse gezogen.
»Er sagt, war gut, daß ich Sie zusammengebracht habe«, erklärte er. »War richtige Entscheidung.«
»Na großartig«, sagte ich und meinte es auch so.
»Und jetzt, ich halte Versprechen.«
Überrascht sah ich ihn an.
»Sie helfen mein Land. Ich erzähle Ihnen von Aljoscha.«
»Sie erzählen mir was?« Ich war ganz verwirrt.
»Ich sage zu Leute, viele Leute, nicht gut, wenn Lord Farringford kommt nach Moskau. Ich sage, in Moskau Aljoscha warten. Aljoscha kein guter Leute.«