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Auf seiner einen Seite ragte die lange Front der Lubjanka auf, und wenn man es nicht besser wußte, hätte man sie auch für das Gebäude einer freundlichen Versicherungsgesellschaft halten können. Der Wagen fuhr jedoch an ihr vorbei und hielt vor dem großen Haus nebenan, das, hellblau mit weißen Schnörkeln, an jedem anderen Tag sicher hübsch aussah.

Meine Begleiter öffneten mir die Wagentür und gingen mit mir hinein. Drinnen, Lubjanka oder nicht, war jedenfalls kein fröhliches Kinderheim. In flottem Schritt marschierten wir breite Anstaltskorridore entlang und blieben vor einer nicht gekennzeichneten Tür stehen. Einer meiner Begleiter klopfte an, machte die Tür auf und trat zur Seite, um mich vorbeizulassen. Mit trockenem Mund und rasendem Puls ging ich hinein.

Es war ein bequemes, altmodisches Büro mit viel dunklem, poliertem Holz und Schränken mit Glastüren. Ein Schreibtisch. Ein Tisch. Drei oder vier Stühle. Und am Fenster, den dunklen Vorhang offenhaltend, um auf die verschneite Straße zu sehen, der Generalmajor.

Er drehte sich um und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ich war so erleichtert, daß ich ihm automatisch die Rechte gab und mein Stöhnen unterdrückte, als er sie quetschte. Ich fragte mich, ob er wußte, daß er mir soeben eine der schrecklichsten halben Stunden meines Lebens beschert hatte.

»Kommen Sie«, sagte er. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Er führte mich durch eine andere Tür auf einen schmaleren Flur. Nach einigen Metern kamen wir zu einer Tür, die auf eine Treppe führte, die wir ein Stockwerk hinuntergingen. Dann ein weiterer Korridor mit Betonboden.

Vor einer vollkommen glatten Metalltür blieben wir stehen. Der Generalmajor drückte auf einen Knopf an der Wand, und die Tür schwang auf. Er betrat vor mir den Raum und winkte mir, ihm zu folgen.

Ein viereckiger, kahler Raum, hellerleuchtet.

Anwesend waren zwei bewaffnete Polizisten, die Wache hielten, und zwei Männer, die Hände auf dem Rücken gefesselt.

Wenn ich überrascht war, sie zu sehen, so war das gar nichts im Vergleich zu ihrer Reaktion auf meinen Anblick. Der eine spuckte aus, und der andere sagte etwas, was sogar den KGB zu erschüttern schien.

»Sind das die Männer?« fragte der Generalmajor.

»Ja.«

Ich sah in die Gesichter, an die ich mich aus dem Restaurant Aragvi erinnerte. In die Augen, die ich von der Gorkistraße und der Brücke her kannte. Und in die Seelen, die Hans Kramer und Malcolm Herrick getötet hatten.

Der eine schien etwas älter und hatte einen langen Schnauzer. Seine Lippen waren zur Travestie eines Lächelns verzerrt und ließen einen Schimmer zusammengebissener Zähne sehen; sogar in dieser Umgebung ging erbitterte Feindseligkeit von ihm aus.

Der andere hatte die tiefliegenden Augen, scharf hervortretenden Züge und eingefallenen Wangen vieler Fanatiker. Über die eine Augenbraue und das Gesicht lief ein roter Schnitt, und an der Lippe hatte er eine Platzwunde.

»Welcher von ihnen hat Herrick ermordet?« fragte der Generalmajor.

»Der mit dem Schnurrbart.«

»Er sagt, sein Handgelenk ist gebrochen«, bemerkte der Generalmajor. »Sie haben am Flughafen gewartet. Es war nicht schwer, sie zu finden. Übrigens sprechen sie sehr wenig englisch.«

»Wer sind sie?« fragte ich.

»Es sind Journalisten.« Diese Entdeckung überraschte ihn anscheinend. »Tarek Zanetti«, er deutete auf den Mann mit dem Schnurrbart, »und Mehmet Sarai, der mit der Schnittwunde.«

Ihre Namen sagten mir gar nichts, sogar wenn es ihre echten waren, was man wohl bezweifeln durfte.

»Sie haben auf dem gleichen Gelände gewohnt wie Herrick«, sagte der Generalmajor. »Er hätte sie ohne weiteres jeden Tag treffen können.«

»Gehören sie zu so was wie den Roten Brigaden?« fragte ich.

»Etwas Neues, glauben wir«, antwortete er. »Eine Splittergruppe. Aber wir sind noch im ersten Stadium der Verhöre. Sobald sie hier waren, habe ich nach Ihnen geschickt. Aber ich will Ihnen noch etwas zeigen. Als wir die Reisetaschen durchsuchten, mit denen sie wegwollten, fanden wir das.« Er zog einen Brief aus der Tasche und reichte ihn mir. Ich faltete ihn auseinander, aber er war mit Maschine in einer Sprache geschrieben, die ich nicht einmal vom Sehen kannte.

Ich schüttelte den Kopf und wollte ihn zurückgeben.

»Lesen Sie weiter unten.«

Ich tat wie geheißen und fand die vertrauten Worte: Etorphin . Acepromazin . Chlorocresol . Dimethylsulphoxid.

»Es ist die Kopie einer Analyse eines chemischen Betriebes, die Ihr Freund mit dem Schnurrbart bestellt hatte. Offenbar ist sie ihm gestern zugegangen.«

»Sie wollten also feststellen, was sie gekauft hatten.«

»Sieht ganz so aus.« Er nahm den Brief wieder an sich und verstaute ihn in seiner Tasche. »Das ist alles. Wir haben Sie nur zur Identifizierung dieser Männer gebraucht. Es steht Ihnen frei, nach England zurückzukehren, wann immer Sie wünschen.« Er zögerte leicht und fuhr dann fort: »Wir gehen davon aus, daß Sie diskret sein werden.«

»Das werde ich«, versprach ich und zögerte meinerseits.

»Aber ... diese beiden werden Genossen haben ... und die Flüssigkeit gibt es nun mal.«

»Vielleicht wird es notwendig sein, jeden Zuschauer am Eingang zu durchsuchen«, sagte er ernst.

»Es gibt einen einfacheren Weg.«

»Und der wäre?«

»Die Olympiade ist im Sommer ... Achten Sie auf jeden, der Handschuhe trägt. Wenn er darunter Gummihandschuhe anhat, verhaften Sie ihn.«

Nachdenklich betrachtete er mich, rieb sich das Kinn und sagte langsam: »Jetzt verstehe ich, warum man Sie geschickt hat.«

»Und literweise Naloxon an jeder Ecke .«

»Wir werden alle Sicherheitsvorkehrungen treffen.«

Zum letztenmal sah ich zu den mit nacktem Haß erfüllten Gesichtern des internationalen Terrorismus hinüber und dachte über Entfremdung und die destruktiven Schritte nach, die dazu führten.

Die sich zur Wut steigernde, natürliche Verachtung der Jugend für das Chaos, in das die ältere Generation die Welt gestürzt hat. Der Wunsch, die Objekte dieser Verachtung heftig zu bestrafen. Der Tod der Liebe zu den Eltern. Die ständige Geringschätzung jeder Form von Autorität. Die Frustration darüber, die verhaßte Mehrheit nicht strafen zu können. Und danach die tieferreichenden, bösartigen Persönlichkeitsveränderungen ... die Selbsttäuschung, daß das eigene Gefühl der Unzulänglichkeit die Schuld der Gesellschaft sei und daß man die Gesellschaft zerstören müsse, um dieses Gefühl zu verlieren. Die Verbreitung von Schmerz und Furcht, um das hungrige Ich zu füttern. Die totale Kapitulation der Vernunft vor der primitiven Emotion, aus der Illusion heraus, von so etwas wie göttlichem Zorn getrieben zu sein. Die Verfolgung eines unerreichbaren Endzwecks, so daß die gewalttätigen Mittel immer und immer wieder angewendet werden mußten. Die süchtigmachende Lust am Zerstören.

»Woran denken Sie?« forschte der Generalmajor.

»Daß sie es sich sehr bequem machen.« Mit einem Gefühl der Erleichterung wandte ich mich von ihnen ab. »Es ist leichter zu zerstören als aufzubauen.«

»Es sind Schweine«, sagte er voller Verachtung.

»Was werden Sie mit ihnen machen?«

Aber er hatte nicht die Absicht, diese Frage direkt zu beantworten. Statt dessen sagte er in verbindlichgleichgültigem Ton: »Ihre Zeitungen werden sich neue Schreiberlinge suchen müssen.«

The Watch, dachte ich, stand vor dem gleichen Problem. Und mir kam eine völlig unbedeutende Information von früher in den Sinn.

»Ulrike Meinhof war Journalistin«, sagte ich.

Kapitel 19

Um vier Uhr kam ich am Flughafen Heathrow an und wurde von einem von Hughes-Becketts Lakaien abgeholt, der mich zu einer, wie er es nannte, abschließenden Besprechung schleppte, die ich nur als verdammt lästig bezeichnen konnte.