Ton war schnodderig, aber die tiefe Verletztheit war ihm noch anzuhören. »Sie konnten monatelang nicht heiraten, und als es schließlich soweit war, haben die Zeitungen praktisch jeden Tag Mamas Liebesleben aufgewühlt. Und jedesmal, wenn etwas über einen von uns zu berichten ist, kommt es wieder hoch. Deshalb hat Seine König., liehe Hoheit seinen Fimmel.«
»Ich verstehe, warum er Sie nicht in einen schmutzigen Skandal bei der Olympiade verwickelt sehen möchte, wo die Augen der Klatschkolumnisten der ganzen Welt auf Sie gerichtet sind. Besonders bei diesem Anstrich von Homosexualität.«
Mir erschien die Aufregung des Prinzen jetzt vollkommen gerechtfertigt, aber Johnny war nicht dieser Meinung.
»Es kann keinen Skandal geben, weil da nichts ist«, erklärte er.
»Die ganze Sache ist einfach albern.«
»Genau das möchte Ihr Schwager beweisen, und das Auswärtige Amt ebenfalls, weil jeder, der nach Rußland geht, gefährdet ist, aber jemand, der im Ruf der Homosexualität steht, ist ein wirkliches politisches Risiko, da es dort immer noch gesetzwidrig ist. Sie möchten, daß Sie an den Olympischen Spielen teilnehmen. Ich soll mich nur in Ihrem eigenen Interesse um diese Gerüchte kümmern.«
Eigensinnig preßte er die Lippen zusammen. »Aber das ist ganz überflüssig.«
»Und was ist mit diesen Männern?« fragte ich.
»Was für Männer?«
»Die Sie angegriffen und vor Aljoscha gewarnt haben.«
»Ach, das.« Er machte ein verständnisloses Gesicht.
»Nun ... das ist doch wohl klar. Wer immer auch Aljoscha ist, sie kann eine Untersuchung ebensowenig wünschen wie ich. Es könnte ihr großen Schaden zufügen ... haben Sie daran schon mal gedacht?«
Unruhig stand er auf, nahm das Tablett und trug es in die Küche hinaus. Dort klirrte er eine Weile mit dem Geschirr und zeigte, nachdem er zurückkam, keine Neigung, sich wieder zu setzen.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Pferde«, sagte er.
»Erzählen Sie mir zuerst von den Männern«, redete ich ihm zu.
»Da gibt’s nichts zu erzählen.« Er stellte einen Fuß auf den Holzstapel neben dem Kamin und spielte mit der Feuerzange herum.
»Waren es Engländer?«
Überrascht sah er mich an.»Nun, das nehme ich doch an.«
»Sie haben sie doch sprechen hören. Wie klang das?«
»Normal. Ich meine ... ganz gewöhnliche Leute.«
»Aber da gibt es Unterschiede.« Er schüttelte den Kopf, aber für mich gab es da unendlich viele Unterschiede. »Waren es Iren? Schotten? Londoner? Waliser? Das ist doch nicht schwer«, drängte ich.
»Londoner, denke ich.«
»Keine Ausländer? Russen beispielsweise?«
»Nein.« Erst jetzt schien ihm die Bedeutung klarzuwerden. »Sie sprachen ziemlich rauh und undeutlich und verschluckten alle Konsonanten. Südengland. London, denke ich, oder Berkshire.«
»Der gleiche Akzent wie hier?«
»Ja, ich glaube schon. Jedenfalls ist mir keine Besonderheit aufgefallen.« »Wie haben sie ausgesehen?«
»Sie waren beide groß.« Er bückte sich, stocherte im Kamin herum und richtete sich dann zu seiner vollen Höhe auf. »Größer als ich. Männer eben. Nichts Bemerkenswertes. Keine Bärte, kein Hinken, keine Narben auf der Backe. Es tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich glaube, ich würde sie nicht mal wiedererkennen, wenn ich ihnen auf der Straße begegnete.«
»Aber wenn sie hier ins Zimmer kämen, schon?«
»Sie meinen, ich würde es spüren?«
»Ich meine, Sie erinnern sich an mehr, als Sie denken, und wenn man Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen würde, käme alles wieder.«
Er schien nicht überzeugt, sagte aber: »Wenn ich ihnen begegnen sollte, sage ich Ihnen natürlich Bescheid.«
»Natürlich könnten sie mit einer neuen, äh, Warnung wiederkommen«, meinte ich nachdenklich. »Besonders, wenn Ihr Schwager die Sache nicht ruhen läßt.«
»Gott, glauben Sie wirklich?« Er sah zur Tür, als erwarte er einen sofortigen Angriff. »Sie sagen wirklich die angenehmsten Sachen.«
»Die primitivste Form von Abschreckung«, sagte ich.
»Was?«
»Zack, bum.«
»Ach so.«
»Billig und oft wirksam.«
»Tja, äh ... und was weiter?«
»Wer soll eigentlich abgeschreckt werden - Sie, ich oder Ihr Schwager?«
Zum erstenmal schienen ihm die verschiedenen Alternativen klarzuwerden.
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte er, »aber mir ist das zu hoch. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Pferde. Davon verstehe ich was. Selbst wenn sie einen umbringen, ist es nicht böse gemeint.«
Nervosität und Bedrücktheit fielen von ihm ab, als wir die wenigen Schritte zu den Stallungen zurücklegten. Mit Pferden war er in seinem Element. Ganz offensichtlich gaben sie ihm Ruhe und Selbstvertrauen. Ich fragte mich, ob sein deutlich spürbarer Bammel in meiner Gegenwart gar nicht von meinem Auftrag, sondern von der Tatsache herrührte, daß ich ein Mensch war.
Der Stall bestand aus einem kleinen Viereck älterer Holzboxen um eine Fläche aus festgestampftem Lehm und Kies. Es gab ein paar gestutzte Grasflecken, einen wild wuchernden Baum und leere Kübel für Blumen. Ein grüner Anstrich, der seine beste Zeit lang hinter sich hatte. Das Gefühl, daß im Frühjahr Unkraut wachsen würde.
»Wenn ich den Kies erbe, kaufe ich mir einen besseren Stall«, sagte Johnny, als lese er unheimlicherweise schon wieder meine Gedanken. »Der hier ist gemietet. Die Treuhänder, verstehen Sie.«
Die Treuhänder hatten das Geld jedoch dort investiert, wo es sich auszahlte, nämlich in vier Beine, Kopf und Schwanz.
Obwohl die Saison fast vorbei war, wirkten die fünf vorhandenen Pferde ausgeruht und fit. Zum größten Teil von Vollbluthengsten aus Jagdpferdstuten gezogen, sahen sie rassig und leistungsfähig aus, und Johnny erzählte mir mit deutlichem, alles andere als beiläufigem Stolz die Geschichte jedes einzelnen Tieres. Zum ersten Mal sah ich den zielstrebigen, wilden Fanatismus in ihm erwachen, den es brauchte: den wichtigsten Brennstoff des olympischen Feuers.
Sogar das rote Kraushaar schien sich zu noch engeren Löckchen zu drehen, obwohl das vermutlich an der Luftfeuchtigkeit lag. Die Inbrunst in seinem Blick, das entschlossen gereckte Kinn und seine Leidenschaft hatten allerdings nichts mit dem Klima zu tun. Seine Begeisterung war ansteckend, und zum erstenmal verstand ich, warum alle so darauf bedacht waren, ihm die Reise nach Rußland zu ermöglichen. Er war aus dem Stoff, aus dem man Olympioniken macht.
»Mit diesem Burschen hier habe ich eine Außenseiterchance, in das britische Team zu kommen«, sagte er und gab einem großrahmigen Braunen einen Klaps auf das wohlgerundete Hinterteil. »Aber er ist nicht Weltklasse, das weiß ich. Ich brauche etwas Besonderes. Das deutsche Pferd. Ich habe es gesehen. Den Gaul möchte ich haben.« Er holte tief Atem und lachte auf.
»Manchmal geht es einfach mit mir durch.«
Sein Gesicht glühte.
»Ich will eine Goldmedaille«, sagte er.
Kapitel 3
Mein Gepäck für Moskau setzte sich, in dieser Reihenfolge, zusammen aus einer Flut von Mitteln gegen Erkrankungen der Lunge nach dem Motto »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, einem dicken Wollschal, einer zweiten Brille, einer Anzahl Paperbacks und einer Kamera.
Emma betrachtete meinen Arzneimittelkasten mit einer Mischung aus Spott und Entsetzen.
»Du bist ein Hypochonder«, sagte sie.
»Hör auf, herumzuwühlen. Alles muß an seinem Platz bleiben.«
»Ja, klar. Was ist das?« Sie hielt einen kleinen Pillenbehälter aus Plastik hoch.
»Ventolintabletten. Leg sie wieder rein.«
Statt dessen öffnete sie den Deckel und schüttete eine auf ihre Hand. »Rosa und winzig. Wozu sind die?«
»Sie helfen einem atmen.«
»Und die?« Sie hatte eine schmale, zylindrische Büchse in der Hand und las das gelbe Etikett. »Intal-Kapseln?«