Der Herr überlegt und antwortet: »So neunzehnfünfundvierzig.« »Mein lieber Mann«, grinst der Barkeeper mitleidig, »das ist ja eine Ewigkeit her!«
»Wieso«, fragt der alte Herr, »wir haben doch erst zwanzigfünfzehn.«
Bei einem Ärztekongress verabschieden sich die Teilnehmer. Der Augenarzt ruft: »Auf Wiedersehen«, der Ohrenarzt: »Auf Wiederhören!«
Der Badearzt wünscht »bleib sauber«, und der Chirurg »Hals-und Beinbruch.«
Der Urologe sagt: »Tschüss, ich verpiss mich«, und der Gynäkologe: »Ich schau mal wieder rein.«
Die Wohnungsnot nahm in den fünfziger Jahren nur langsam ab. Auch das war ein Tatbestand, über den gewitzelt wurde.
Ein Mann erzählt, dass er sich eine Ziege gekauft habe, er wolle das Geld für die tägliche Milch sparen.
»Aber du hast doch gar keinen Stall«, wendet ein Kollege ein. »Ich bringe sie erst einmal im Schlafzimmer unter«, erklärt der Ziegenbesitzer.
»Aber denk doch an den Gestank«, sagt der Kollege. »Ach«, erwidert der Mann, »daran muss sich die Ziege gewöhnen!«
Aus den Schutthalden in den Städten wurden im Laufe der Zeit geordnete Trümmerbeete zwischen den vielen zunächst eingeschossigen Neubauten. Die Westdeutschen ließen sich einen neuen Wohlstand gefallen, der aber Fernsehen und Autos zunächst noch nicht einschloss. Sie schätzten es, »unpolitisch« und privat zu sein. In Dortmund wurde am 2. Februar 1952 das damals größte Veranstaltungszentrum Europas eingeweiht, die Westfalenhalle.
Die Älteren träumten von der guten alten Zeit, oder was sie dafür hielten. Sie fanden sie in den Abziehbildern der Monarchien, in Filmen mit Fürsten, Kaisern und anderen Edelleuten. Die Reportagen der Regenbogenpresse über die Krönung der englischen Königin 1952, die Hochzeit Gracia Patricias in Monaco oder die gefährdete Liebe zwischen Soraya und dem Schah von Persien wurden verschlungen.
Der Publizist Ernst Friedländer schrieb über die fünfziger Jahre in der Zeitschrift >Magnum<: »Der stärkste politische Consensus geht heute dahin, sich für Politik möglichst wenig zu interessieren. Die
Flucht ins Privatleben, die nach dem Exzess der Hitlerjahre verständlich sein mochte, ist bis auf weiteres zu einer lieben Gewohnheit geworden.«
Der Wiederaufbau in Deutschland, der nicht unbedingt Neuaufbau war, passte sich der Sehnsucht der Deutschen nach Konservativem an. Sie wollten am liebsten alles wieder so haben, wie es früher war. Wobei unbestimmt blieb, was mit »früher« gemeint war. Die Architektur der neuen Sachlichkeit wirkte ja auch ziemlich öde, Phantasie ging ihr nicht voraus. Der Witz suchte sich seine Opfer im Umfeld.
Ein Maurerpolier kommt zum Unternehmer und sagt: »Chef, wir müssen dem alten Bernsmann unbedingt mehr Geld geben, sonst haut der womöglich hier ab. Der arbeitet mit einem Tempo, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Er ist ein richtiges Vorbild für alle anderen, aber er verdient zu wenig.« »Gut«, sagt der Chef, »das sehe ich mir an.« Er stellt sich hinter ein Baugerüst und beobachtet den alten Bernsmann bei der Arbeit.
Der kommt im Laufschritt über einen Brettersteg, bekleidet mit einem Kittel und einer Skimütze. Seine Schubkarre ist vollbeladen mit Ziegelsteinen. Er hastet damit zum Baugerüst, kippt die Karre um und rennt mit ihr wieder zurück.
»Donnerwetter«, staunt der Chef, »ich habe auf die Uhr gesehen, das ist ein Schnitt von 2,5 Minuten, die anderen brauchen runde vier.« Er beobachtet seinen Akkordarbeiter noch eine Weile, und als dessen Tempo nicht nachlässt, stellt er sich ihm schließlich in den Weg.
»Herr Bernsmann«, sagt der Chef, »eine Sekunde bitte! Ich habe Ihnen bei der Arbeit zugesehen und muss sagen, das ist ganz fabelhaft. Wenn Sie so weitermachen, werde ich Ihren Lohn um 50 Pfennig die Stunde erhöhen.«
Der alte Bernsmann blickt den Unternehmer missmutig an und sagt: »So, dafür habt Ihr Geld! Aber mir 'ne größere Schubkarre kaufen, dafür reicht's nicht, was?«
Das ist eine Art Gegenstück zu den Hennecke-Witzen in der DDR, die dort schon Ende der vierziger Jahre populär wurden. Adolf Hennecke wurde als »Held der Arbeit« gefeiert und sollte den Kollegen als leuchtendes Vorbild dienen. Die Spottdrossel aus der Ostzone sang:
Eine Henne begeht Selbstmord. Sie hinterlässt einen Abschiedsbrief, in dem steht: »Ich habe mich erhängt, weil ich mein Eiersoll nicht erfüllen konnte.«
Wenn man in totalitären Staaten Humor finden will, dann bei den Unterdrückten. Die Unterdrücker besitzen im Regelfall keinen. Pathos ist das Gegenteil von Humor. Der Sozialismus im »Arbeiterund Bauernstaat« produzierte unfreiwillige Witze. Zum Beispiel den Arbeiter, der ohne Geld mehr und länger schuftet. Auch der Held der Arbeit kam natürlich aus der Sowjetunion. Die Schweizer >Tat< ulkte am 12. Juli 1959:
»Unter den vielen Telegrammen, die im Kreml eintreffen und in denen versprochen wird, die Ziele des Siebenjahresplans schon in sechseinhalb, in sechs, in fünf Jahren, ja in vier Jahren zu erreichen, befand sich auch ein Telegramm aus dem Gefängnis von Orel. Darin versprachen die Unterzeichner — alles Leute, die kürzlich zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden waren —, ihre Strafen bereits in sieben Jahren abzusitzen.«
Obwohl alle Grenzen zu der Zeit noch sorgfältig kontrolliert wurden, stellte die Grenze durch Deutschland etwas Besonderes dar: eine Trennung der Welt. Hier standen sich die ehemaligen Verbündeten als kaum getarnte Feinde am »Eisernen Vorhang« gegenüber. Der dritte Weltkrieg auf deutschem Boden drohte. Er schien 1950 schon nahe zu sein, als General Mac Arthur im Koreakrieg China angreifen wollte.
Der politische Witz war die einzige Munition, mit der die Unzufriedenen in der DDR das Regime angreifen konnten.
Gute politische Witze gab es darum fast nur in der DDR. Wer aus dem Westen kam und erzählen wollte, worüber in Köln oder Mün-chen gelacht wurde, fand in Leipzig und anderswo kaum eine Resonanz. Witze ohne politischen Hintergrund wurden selten verstanden. Es war ja auch alles politisch, Privates ging darin auf, wurde mit verplant. Selbst der Film des »Weltfriedenspreisträgers« Chaplin, >Der große Diktator<, durfte in der DDR nicht aufgeführt werden. Die Machthaber fühlten sich getroffen.
Obwohl die Kommunisten auch als Partei im Bundestag saßen, fand der Sozialismus kommunistischer Prägung in der Bundesrepublik kaum ein Echo. Der Schweizer Journalist Fritz Rene Alleman schrieb 1953: »Damals fielen zwei Ereignisse zusammen, die ihm jede Chance versperrten: die Berliner Blockade und die Währungsreform. Die Blockade war der erste groß angelegte Angriff des Ostens auf die westlichen Positionen in Deutschland, der im deutschen Volk das Bewusstsein der Schicksalsgemeinschaft mit den Westmächten wachrufen musste. Und die wirtschaftliche Konsolidierung durch die Währungsreform trug das ihre dazu bei, die Energien des deutschen Volkes endgültig von hochgespannten politischen Reformhoffnungen wie von geistigen Abenteuern jeder Art abzulenken und sie in die Aufgaben des ökonomischen Aufbaus hineinzuleiten.«
Klaus Harpprecht urteilte zum Ende der fünfziger Jahre in >Christ und Welt<: »Deutschland darf auch einmal langweilig werden. Sein Maß an Aufregungen hat es in diesem Jahrhundert erfüllt.«
Die DDR hatte Fünfjahrespläne für ihre Wirtschaft eingeführt, der erste lief von 1951 bis 1955. Im Mai 1958 wurden endlich die Lebensmittelkarten abgeschafft, die im Westen bereits seit 1950 nicht mehr existierten. Es folgte aber eine schwere Versorgungskrise im ganzen Ostblock.
Ein Vers machte nach dem ersten »Sputnik« 1957 die Runde: