Die Kneipen, Stampen, Wirtshäuser, Pinten gehörten zu den Brutstätten und Tauschzentralen des Witzes. Dort saßen die gestandenen Männer bis tief in die Nacht, soffen, knobelten, spielten Karten, und manchmal luden sie ihre pubertierenden Söhne ein, die mit den Pilzköpfen der Beatles oder der Haartracht Elvis Presleys nachempfundenen Frisuren den sanften Aufstand gegen die Väter probten. Die bleichen Jünglinge durften Sülzkoteletts und Soleier futtern; alle Getränke, die ihnen der »Herr Ober« brachte, wurden auch von den »Alten Herren« konsumiert: Cola mit Rum, Pils, Bier und dazu »Wodka mit Pflaume«, »Wodka mit Kirsche«, »Wodka mit Feige«. Der Fotograf Charles Wilp machte damals eine Werbung populär, auf der sich ein kraftvolles Mannsbild und ein Bär mit Wodka zuprosten. »Ist für harte Männer ...«, stand unter den Werbefotos. Es wurde Zeit, dass auch aus den »Twens« harte Männer wurden.
>Twen< nannte sich eine Zeitschrift, die seit 1959 in der Bundes-republik Deutschland das neue Lebensgefühl der Jugend postulierte. Nach eigener Aussage lautete ihre Botschaft: »Zeitschrift für die Neugierigen. Wir zeigen, was morgen wichtig ist - zum Anziehen, zum Ausziehen, zum Essen, zum Fahren, zum Lieben, zum Miteinan-derauskommen auf dieser herrlichen, schönen, aufregenden Welt.«
Doch zurück zu den Vätern: Sie verdonnerten ihre Söhne zu einem Männlichkeitsritual, welches das Empfängnisverhütungsmittel zweckentfremdete. Die Alten zupften »Präser« aus ihren Hüllen und legten sie den Söhnen mit der Aufforderung in die Hände, die Teile aufzublasen und zu verknoten. Jubel brach aus, die Stammtischbrüder lachten sich scheckig, wenn die kleinen Ballons unter die Decke gestoßen wurden und nach kurzem Flug im Dunstkreis der Theke landeten. So schlug man den Nachwuchs zum Ritter der Tafelrunde.
Was sagten die Frauen und Mütter zu solchen Scherzeinlagen? Sie erfuhren nichts davon, außerdem hatten sie in bestimmten sozialen Etagen der sechziger Jahre wenig zu sagen. In den Stammkneipen waren die Damen nur zu Gast, wenn die Ehemänner ihnen am Sonntagabend gönnerhaft einen »Hering Hausfrauenart« und ein Gläschen Mosel spendierten. Dann durften sie mit dem Herrn Gemahl auch schon mal eine Partie »Flipper« spielen oder für ein paar Groschen am Spielautomaten ihr Glück versuchen. Spuckte der »Rota-mint« einen Gewinn aus, freute sich die Musikbox. Die Frauen drückten die Schlager der Saison: Lolitas >Seemann, deine Heimat ist das Meer<, Gittes >Ich will'n Cowboy als Mann<. Heintje sang glockenrein seinen Hit >Mama< und Freddy Quinn verkündete den mit einer »Goldenen Schallplatte« gekrönten Mutterwunsch Junge, komm bald wieder<.
Anfang 1960 lachten die Männer über Witze, deren Anti-FrauenHaltung eindeutig war.
Kommt eine ältere Frau in die Kneipe: Buckel, Triefaugen, Halbglatze, schlampig angezogen. Auf ihrer rechten Schulter sitzt ein Papagei. Die Frau wendet sich an die versammelten Trunkenbolde: »Wenn mir jemand von euch sagen kann, was das für ein Vogel ist, kann er umsonst mit mir ins Bett gehen.« Die Männer schütteln sich beim Anblick der Frau. Einer sagt: »Das ist ein Adler.« Ein zweiter: »Das ist 'n Rotkehlchen.« Ein dritter: »Ich glaube, es handelt sich um eine Schleiereule.« Da hebt der Papagei den Kopf und sagt: »Ich denke, das können wir durchgehen lassen ...«
Ein Autofahrer sieht abends auf einer dunklen Landstraße einen Schatten vor seinem Wagen. Er bremst wild, steigt aus und steht einem Männlein gegenüber, das ihn erschrocken ansieht. »Sie haben mein Leben gerettet«, sagt der Kleine, »jetzt haben Sie einen Wunsch frei.« Der Autofahrer überlegt.
»Ich wünsche mir«, sagt er schließlich, »dass in Burundi der Bürgerkrieg aufhört.« »Burundi? Wo liegt denn das?«
»Irgendwo in Afrika. So genau weiß ich das auch nicht.« Der kleine Mann wiegt den Kopf.
»Das ist natürlich schwierig für mich. Haben Sie nicht noch einen anderen Wunsch?«
»Dann möchte ich, dass meine Frau schön und knackig aussieht wie vor zwanzig Jahren.«
»Wo ist denn Ihre Frau?«
»Die ist zu Hause.«
»Ist das weit?«
»Nein, nur 4 km.«
Der kleine Mann steigt ins Auto und fährt mit. Die Frau des Fahrers steht schon in der erleuchteten Haustür und wartet. Das Männlein betrachtet sie lange. Dann tippt es dem Fahrer auf die Schulter und fragt:
»Sagen Sie, haben Sie nicht doch irgendwo einen Atlas, in dem wir nachschauen können, wo Burundi liegt?«
Als Witze von solcher Niedertracht durch die Lande wanderten, plädierte ein Gottesmann im Fernsehen für die Liebe. Pfarrer Theodor Schulz aus Kirchweiler sprach am Karnevalssamstag 1960 in der Sendung >Wort zum Sonntag< von der Heiligkeit der Ehe und der Sünde des Seitensprungs. Er forderte die Ehepaare zur Bewahrung der Zärtlichkeit und zu gegenseitigem Respekt auf und ließ vom
Tonband ein taufrisches Lied abspielen, dessen Text ein einziger Appell an die Treue war. Schon am Rosenmontag verkaufte sich der Schlager, der später zum »Evergreen« und »Ohrwurm« der Hitparaden wurde, 40 000 mal. Der von Heidi Brühl gesungene Treueschwur hieß: »Wir wollen niemals auseinandergehn«, und der böse Volksmund nannte ihn schonungslos »Das Nonnenbeinlied«.
Andere Einkaufsschlager, welche die Phantasie der Witzemacher damals beflügelten, waren die Pille (»Was ist der sicherste Weg, mit der Pille Erfolg zu haben? Einfach zwischen die Knie klemmen und fest zusammendrücken«), der Minirock und - als revolutionäre Neuerung in der Sperrzone weiblicher Leibwäsche - die Strumpfhose.
Aber auch über die konventionellen Kleidungsstücke des Alltags machte sich der Scherzbold Gedanken: über Anzug, Mantel, Schuhe und die dazu gehörenden Leute. Ein Witz mit politischem Touch kam von weit her; möglicherweise machte er den langen Weg von der Sowjetunion über die DDR nach Westdeutschland.
Nach der Erschießung von Regimefeinden ordnen russische Machthaber an, dass der männliche Nachwuchs seiner Gegner — egal wie alt - nach Sibirien verbannt wird. Es kommt der Tag, an dem ein russisches Mütterchen ihren fünf Jahre alten Sohn Pjotr zum Moskauer Bahnhof bringt. Sie hat ihm dicke Wollstrümpfe und ein wärmendes Mäntelchen angezogen, denn die Mutter weiß: In Sibirien ist es kalt.
Tränenreicher Abschied. Dann verfrachten Soldaten den Jungen zusammen mit anderen Kindern in Güterwagen. Der Zug fährt ab. 60 Jahre später wird der Sohn zusammen mit 1 000 anderen Häftlingen begnadigt. Das Mütterchen, nun über 90 Jahre alt, schlurft zum Bahnhof. Als der Transport eintrifft und die Entlassenen aussteigen, sucht sie in der Menschenmenge ihren Jungen. Plötzlich stutzt die Alte, kneift die Augen zusammen und geht dann zielstrebig auf einen hochgewachsenen Mann mit grauem Haarkranz zu. Sie umarmt und küsst ihn und flüstert: »Pjotr, mein Sohn, nun bist du wieder bei mir. Wie schön, dass ich das noch erleben kann.«
Unter Tränen blickt der Heimkehrer seine Mutter liebevoll an.
»Nun erklär mir mal eins, Mama«, sagt er nach einer Weile, »woran hast du mich eigentlich erkannt?« »An deinem Mäntelchen, mein Junge .«
Der Gastwirt Hein aus Bremerhaven hat sich beim Schneider einen neuen Anzug machen lassen. Als er nach Hause kommt, überprüft seine Frau Antje den Sitz des teuren Prachtstücks und sagt: »Du, Hein, das ist ja nun wirklich ein ganz besonders schönes Teil. Aber hinten am Rücken wirft er 'ne kleine Falte. Lauf mal schnell zum Schneider, er soll dir das ausbessern.« Der Schneider nickt gelassen, als Hein ihm den Einwand seiner Frau mitteilt. »Ich wusste, dass Sie kommen würden«, sagt er, »aber der Fehler liegt nicht bei uns, sondern an Ihrer Figur. Ihre rechte Schulter ist ein bisschen schief, wenn wir das unterfüttern, würden wir den ganzen Anzug versauen. Aber es gibt eine Lösung. Sie müssen nur die linke Schulter etwas anheben, dann ist die Falte weg.«