Was uns fehlt, ist vermutlich der englische »sense of humour«, der den ganzen Alltag prägt und schon in der Schule eingeübt wird. Er schafft in Debatten und Unterhaltungen jene besondere Atmosphäre, in der keiner mehr übelnimmt und den Saal verlässt, sondern in der Bonmots und Treffer der anderen Seite mit beklatscht werden.
Das »Volk der Dichter und Denker« sei zu ernst für Humor, habe ich oft gehört. Bei uns prallen immer gleich Weltanschauungen aufeinander, gilt jemand, der lustig ist, nicht als seriös. Dabei meinte schon Schopenhauer: »Je mehr der Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen.«
Und die deutsche Literatur ist gewiss nicht humorlos. Heinrich Heine, Jean Paul, Wilhelm Busch, Karl Valentin, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz und Eugen Roth waren brillante Humoristen, von Karl Kraus und Kurt Tucholsky gar nicht zu reden.
Marcel Reich-Ranicki hat mal versichert, er halte den Mephisto im >Faust< für die am stärksten mit Humor gesegnete Figur der Weltliteratur. Manche möchten einwenden, es handele sich eher um Ironie und Witz. Aber wenn Humor die Fähigkeit ist, über sich selber zu lachen, sich selber witzig zu finden, dann kann man diese Wertung verstehen. Obwohl ich die Iren immer noch um Shaw und Oscar Wilde beneide.
Deshalb ist in unserem Team der Engländer Chris Howland als Sammler und Autor persönlicher Erfahrungen dabei. Und deswegen soll dieses Buch auch ein Versuch sein, der deutschen Ernsthaftigkeit und dem weltanschaulichen Ballast eine vergnügliche Perspektive zu geben.
Sie sollten dann allerdings auch darüber lachen können, dass dem Amt Blank in Bonn, dem Vorläufer des späteren Verteidigungsministeriums, bis 1953 die Telefon-Nummer 1870/71 zugeteilt worden war. Es war die Jahreszahl des einzigen Krieges, den das deutsche Reich gewonnen hat.
Was unterscheidet Witz und Humor? Humor heißt lateinisch Feuchtigkeit, ist einer der Körpersäfte, die Temperament und Charakter bestimmen. Otto Julius Bierbaum wird gern zitiert mit seinem Spruch: »Humor ist, wenn man trotzdem lacht.« Demnach wäre Humor nicht viel mehr als Resignation.
Jean Paul jedoch sieht im Humor das »umgekehrt Erhabene«. Das ist eine Definition, die auch für den Witz zutrifft. Und schon Karl Kraus hat ja festgestellt: »Es gibt keinen Humor ohne Witz«.
Horaz witzelt in seinen Satiren: »Lieber einen guten Freund ver-lieren als einen guten Witz.« Wie entsteht Witz? Vor allem durch die Fähigkeit, Ereignisse aus einer inneren Distanz zu sehen, ruhig zu beobachten, wie sich andere aufregen. Man darf sich nur nicht selber aus der Fassung bringen lassen. So werden schreiende Vorgesetzte zu komischen Figuren, wandelt sich Hektik zu Slapstick-Szenen, wird man selber überlegen.
Der Mann, der das Telefon abhebt, als es klingelt, und gefragt wird: »Ist da Rothschild?« Er antwortet: »Meine Güte, haben Sie sich verwählt!«
Das Lachen gleiche dem Triumphgeschrei der Gänse, meinte der Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Cicero hielt Lachen für Hochmut. Nietzsche sagte, der Mensch leide so tief, dass er darum das Lachen erfinden musste.
Lacht der Mensch künftig allein am Computer, wenn er übers Internet Witze abruft? Oder bleibt dann nur noch eine Dimension von den drei gewünschten übrig, und als trauriger Rest ein Konsument, dem das Lachen vergangen ist?
Kommen Witze als Kunstform deswegen aus der Mode? Das wäre schade, und ich glaube es auch nicht. Wie sagte der Betrunkene, der für jeweils fünfzig Pfennig das 38. Brötchen aus dem Automaten zog: »Stören Sie mich ja nicht! Wo ich gerade so schön am Gewinnen bin!« Ich kenne einen berüchtigten Witzeerzähler, dessen Erfolg vor allem darin besteht, dass er selber immer am stärksten über die Pointe lacht, sooft er sie erzählt. Er brüllt so lauthals und mitreißend los, dass er die Zuhörer ansteckt wie ein Lachsack. Das kann dann auch schlechten Scherzen zum Erfolg verhelfen. Diese Chance haben wir nicht. Unser Lachen bleibt ungedruckt. Wenn wir den Geschmack unserer Leser nicht treffen, können wir auch die Frivolität des Erzählten nicht mehr schönlachen.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es im Sprichwort. Aber das ist sprichwörtlicher Unsinn, denn über nichts wird so viel gestritten wie über Geschmacksfragen. Deswegen haben wir uns bei unserer Auswahl streng an Fritz Kortner gehalten, von dem der Ausspruch stammt: »Sie haben einen Adlerblick für das Unwesentliche!«
Chris Howland.
Neandertal oder Die Entstehung des Witzes
Angefangen hat es mit einer Bananenschale, achtlos weggeworfen von einem prähistorischen Affen. Sie landete zwischen den riesigen Füßen eines unserer Ahnherren. Der Vorfahr, behaart und mit buschigen Brauen, trat auf die Bananenschale und rutschte aus. Augenzeuge seines spektakulären Sturzes war einer seiner Zeitgenossen, der seine Keule fallen ließ, sich die Seite hielt und ein seltsames Geräusch von sich gab.
Es war das erste menschliche Lachen.
Später erzählte der zweite Höhlenmensch die Geschichte einem behaarten Freund, fügte aber ein paar Tupfer hinzu, damit sie farbiger wurde. Als er sie hörte, ließ auch der behaarte Freund seine Keule fallen, schlug sich auf die Knie und gab dieses seltsame neue Geräusch von sich. Ohne es zu wissen, hatte er an einem Ereignis von großer Tragweite teilgenommen.
Er hatte den ersten Witz der Welt gehört.
Bald verließen die behaarten Männer ihre Bäume und Höhlen und bauten sich Hütten aus Steinen und Lehm. Sie lebten in Gruppen, um sich vor wilden Tieren zu schützen, und wählten Anführer. Eigentlich stimmt das so nicht. Die Anführer wählten sich in der Regel selbst, indem sie alle übrigen Aspiranten mit der Keule totschlugen. Dies rief natürlich heftige Kritik hervor, aber niemand beklagte sich. Aus Angst, er würde wie die anderen kurzerhand ins Jenseits befördert.
Bis dann eines Tages ein behaarter Mann, der einen Tick mutiger war als der Rest, bei einer Stammesversammlung aufstand und mit dem Kopf wackelte. Und zwar genau so, wie der Anführer mit seinem Kopf wackelte.
Sekundenlang herrschte Stille, während sich die beiden Männer kopfnickend und kopfwackelnd gegenüberstanden. Dann hörte der Anführer auf. Jetzt passiert's, dachten die zitternden Untertanen. Aber nein. Der Anführer glotzte, schluckte und bog sich vor Lachen.
Und da erhob sich der ganze Stamm und fiel in sein Lachen ein. Sie prusteten, schlugen sich auf die Rippen und kugelten sich vor Vergnügen auf der Erde.
Das politische Kabarett war geboren.
(Später zog der Anführer den Imitator hinter einen Felsen und knüppelte ihn tot. Somit etablierte er den Sachverhalt, dass diese Art Humor denjenigen, der ihn auszuüben wagt, sehr teuer zu stehen kommt.)
In jener Zeit war das Leben einfacher, weil es nur zehn Regeln gab, eine für jeden Finger. Aber auch für einfingrige Stämme galt die eine Grundregeclass="underline" Hände weg von meiner Frau!
Daher war es unvermeidlich, dass eines Tages ein behaarter Mann, neugieriger als die anderen, einem Paar in den Wald folgte. Hinter einem Baum versteckt, sah er gebannt zu, wie die beiden alle möglichen akrobatischen Übungen vollzogen, auf die ausnahmslos -nach Regel vier oder Regel eins, je nach Anzahl der Finger - die Todesstrafe stand.
Er konnte es kaum abwarten, seinen behaarten Freunden von seiner köstlichen Entdeckung zu berichten; und ebenso wenig konnte er widerstehen, die Schilderung aus Gründen der Dramaturgie weiter auszuspinnen.
Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die ausschließlich männlichen Zuhörer (in jenen Tagen hatte noch niemand von Alice Schwarzer gehört) benahmen sich so, als wäre etwas Sensationelles passiert.
Das war auch der Fall. Der schmutzige Witz war auf der Welt.
(Diese Art Witz unterscheidet sich übrigens von den beiden anderen, weil er sich seit seiner Entdeckung zur Zeit der Neandertaler um keinen Deut entwickelt hat.)