Der Witz stellte sich eher indirekt auf die neue Situation ein. Zukunftssorgen drückten sich ungenauer und diffuser aus. Wie in dieser Geschichte aus den zwanziger Jahren, die plötzlich wieder aktuell wurde. Sie beschreibt die Hilflosigkeit eines Menschen, der gar nicht der ist, der er sein solclass="underline"
»Mensch, Ornstein, was ist denn mit dir los?«, ruft aufgeregt ein Spaziergänger, der auf der Hauptstraße einem alten Bekannten begegnet. »Früher warst du dick, jetzt bist du mager, früher warst du groß, heute bist du klein! Früher hattest du eine Glatze, jetzt hast du Haare .«
Sagt der andere: »Ich heiße gar nicht Ornstein.« »Was? Ornstein heißt du auch nicht mehr?«
Die Zahl der Arbeitslosen stieg schon 1991 auf über drei Millionen, und die Nationalstaaten starrten ziemlich hilflos auf eine mehr und mehr in andere Länder ausweichende Wirtschaft, die sich damit auch nationalen Gesetzen entzog.
Die hohe Arbeitslosigkeit konnte durch neue Aufschwünge der Wirtschaft kaum noch abgebaut werden. Die technische Revolution der Automatisierung kam fast ohne Arbeiter aus. Und bei solchen Massen Bedürftiger konnte auch das »soziale Netz« nicht halten.
Es war in Zeiten der Vollbeschäftigung geplant worden.
Bis 1990 wurde Außenpolitik in der Bundesrepublik nicht zuletzt mit Geld gemacht. Dafür reichten jetzt die Mittel nicht mehr, die Situation hatte sich nach der Wiedervereinigung gründlich geändert. Das neue Deutschland hätte neue Aufgaben definieren müssen, die es in der Welt und in Europa übernehmen konnte. Stattdessen entwickelte es Prestige-Gelüste wie die Forderung nach einem Sitz im Weltsicherheitsrat der UNO. Es versäumte auch, einleuchtende Konzepte für eine Rolle in der Europäischen Union zu erarbeiten. Auf der Weltbühne sahen viele deutsche Politiker plötzlich so aus, als seien sie eine Nummer zu klein, sie wirkten etwas provinziell.
Kohl will mit dem französischen Präsidenten Chirac Brüderschaft trinken. Er hebt das Glas und sagt: »Nous sommes perdu.«
Der Witz wurde vor dem Streit über den Chef der europäischen Zentralbank erfunden. Das Gefühl für Solidarität, ein wichtiges Element der Aufbaujahre, war in Deutschland längst abhandengekommen. Viele Deutsche waren nicht mehr ehrlich, sie betrogen die Steuer, ihre Versicherung, missbrauchten die sozialen Hilfen. Korruption wurde sogar den bisher Treuesten, den Beamten, vorgeworfen, und die Medien reduzierten im Quotenkampf auf gefährliche Weise ihr Niveau.
Viele Bürger und auch Politiker machten sich bereits ernste Sorgen um die Zukunft des Landes. Sie sahen plötzlich: Marktwirtschaft allein würde nicht reichen, um die Demokratie zu erhalten.
Es geht aufwärts, sagte der Fisch, als er an der Angel hing.
Der Witz reagierte wenig intelligent, und der DDR-Witz war mit dem Ende des ostdeutschen Staates ohnehin verblichen. Der »Besserwessi«, der von den »Ossis« mit den Mantafahrern und Ostfriesen auf eine Stufe gestellt wurde, war nicht sehr ergiebig. Von Ausnah-men abgesehen, die aber meistens schon bei anderen rivalisierenden Gruppen erprobt worden waren.
Ein Neunzehnjähriger aus Chemnitz kommt zur Bundeswehr und mit der Truppe nach Bosnien. Er schreibt nach Hause: »Es ist sogar richtig interessant hier. Das Essen ist fabelhaft, und wir sind auf der Stube mit sechs Ossis und vier Wessis und kommen gut miteinander aus .«
Die Mutter schreibt zurück: »Es beruhigt mich, dass es dir gutgeht und dass ihr ordentlich zu essen habt. Schön finde ich auch, dass ihr schon vier Gefangene gemacht habt .«
Aus Ostberlin hörte man in der Endphase der DDR eher resignierende Scherze. Faule Witze wurden aber immer noch über die Partei und den »großen russischen Bruder« gemacht, posthum sozusagen.
Nachwuchswerbung in der SED:
Wer ein neues Mitglied wirbt, wird drei Monate beitragsfrei gestellt.
Wer drei neue Mitglieder wirbt, darf austreten.
Wer fünf neue Mitglieder wirbt, bekommt eine Bescheinigung,
dass er nie in der Partei gewesen ist.
Ein Korrespondent der >Prawda< besucht die Tschuktschen-Halb-insel und trifft dort einen ganz alten Tschuktschen. »Guten Tag«, sagt der Journalist, »ich komme von der >Prawda<. Ich schreibe eine Reportage über das Leben der Tschuktschen. Können Sie mir sagen, wie alt Sie sind?« »Zweiundneunzig Jahre.«
»Dann haben Sie ja noch die Zeit vor der Revolution erlebt. Können Sie unseren Lesern sagen, wie es Ihnen in der Zarenzeit ergangen ist?«
»Wir kannten nur zwei Gefühle«, sagt der alte Tschuktsche, »Hunger und Kälte.«
»Ein sehr griffiges Bild«, lobt der Korrespondent, »ein sehr griffiges Bild! Vielleicht können Sie mit einem ähnlich großartigen Bild auch Ihr heutiges Leben beschreiben?« »Heute«, sagt der alte Tschuktsche, »kennen wir drei Gefühle: Hunger, Kälte und Dankbarkeit.«
Warum hat die neue First Lady als Doppelnamen »Schröder-Köpf« gewählt?
Weil »Köpf-Schröder« ein gefährlicher Imperativ wäre.
Wort des Jahres hätte 1997 nach dem tödlichen Unfall von Lady Diana »Paparazzi« werden müssen, und nicht »Reformstau«. Dem nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau wurde folgender Witz dazu zugeschrieben:
Auf der Autobahn von Münster nach Bonn rast eine schwarze Limousine mit Höchstgeschwindigkeit hinter zwei Motorradfahrern her.
Es sind zwei Paparazzi auf der Flucht vor Möllemann.
Wenn man sich über Frauen lustig machen wollte, mussten Ende der neunziger Jahre erneut die Blondinen einspringen. Bis der Elchtest kam. Der Mann, der den Elchtest erfand und damit eine Witzserie auslöste, hieß Robert Collins. Er war Schwede, 48 Jahre alt, ein kleiner Mann mit wuscheligen Haaren, der Autos für eine Zeitung testete. Und dabei fiel der neue Mercedes Kleinwagen der A-Klasse um. Er habe ein »Elch-Ausweich-Manöver« imitieren wollen, schrieb Collins, weil so ein Tier ja plötzlich auf der Straße stehen könne. Jedenfalls in Schweden. Daraus wurde in der deutschen Verkürzung der »Elchtest«. Kein Schwede wusste davon. Jetzt kennt man ihn auch dort.
Sagt ein Mercedes-Mitarbeiter zum anderen: »Komm, lass uns einen kippen gehen!«
Es treffen sich zwei alte Freunde. Sagt der eine:
»Mir brummt der Kopf, ich habe gestern Abend einen gekippt.«
Sagt der andere: »Ich wusste gar nicht, dass du A-Klasse fährst.«
Über Internet konnten 1997 mehr als zweihundert Witze zum Elchtest abgerufen werden. Dem Stuttgarter Konzern gelang es, in einer Art Geniestreich diese Anti-Werbung ins Positive zu wenden. Zum Beispiel mit Boris Becker, der erklärte, dass er aus Niederlagen immer mehr gelernt habe als aus Siegen. Der »Elchtest« wurde zwar nicht Wort des Jahres, aber doch in den deutschen Sprachschatz aufgenommen.
Blondinen und Elchtest verbanden sich kurzfristig:
Frage: Was ist der Unterschied zwischen einer Blondine und einem Wagen der A-Klasse?
Antwort: Die A-Klasse kann man leichter flachlegen.
Es gab auch bessere Beispiele:
Eine Blondine nimmt in einem Flugzeug nach Mallorca in der ersten Klasse Platz. Die Stewardess versucht vergeblich, die Passagierin zu ihrem gebuchten Sitz zu dirigieren. Energisch wird sie vom Chefsteward darauf hingewiesen, dass sie nur ein Ticket für die Economy-Klasse habe und dort auch sitzen müsse.
Die blonde Dame schüttelt immer nur den Kopf und versichert, der Platz gefiele ihr, sie bleibe dort sitzen. Der Pilot wird informiert.