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Die Geschichte dieses Dolmetschers wäre vermutlich auch ein Buch wert. Reden eines Bundespräsidenten, die nie gehalten wurden, sondern als scheinbare Übersetzung entstanden. Über diesen Mann müsste man schreiben! Wenn er nicht gerade seine Rolle als Staatsoberhaupt spielte, konnte Heinrich Lübke ein sehr unterhaltsamer Gesprächspartner sein. Lübke hatte eine ausgesprochen pfiffige Art. Und er war ein geschickter Skat- und Doppelkopf-Spieler. Doch auch hier legte er großen Wert darauf, dass die Etikette gepflegt wurde:

»Er verlangte, dass man ihn mit >Herr Bundespräsident ansprach. Man durfte ihm nicht sagen: >Da haben Sie aber jetzt eine falsche Karte gezogen.< Sondern: >Da haben Sie aber jetzt eine falsche Karte gezogen, Herr Bundespräsident^ Worauf er antwortete: >Das mach' wohl sein.<

Er sprach ein bisschen Sauerländer Platt, und er sprach sehr leise. Wahrscheinlich deswegen, weil er wusste, dass ihm als Bundespräsident jeder zuhören musste. Irgendwann am Abend kam dann seine Frage: >Meine Herren, möchten Sie denn auch mal, dass der Bundespräsident ein paar Sauerländer Dönekes zum besten gibt?<

Selbstverständlich, Herr Bundespräsident, gerne wollen wir das.< Und dann hatte er zwei Geschichten auf der Pfanne. Es waren immer dieselben. Spannend war, in welcher Reihenfolge er sie erzählte. Die eine Geschichte ging so:

>Stellen Sie sich vor, meine Herren<, sagte er, >da war auch so eine Runde, wie wir sie hier haben; die hatten im Gasthaus gesessen und es war zwei Uhr nachts geworden und der Heinrich Schulte Quakenkamp, der war schon ziemlich betüttert. Er hatte einen über'n Durst getrunken und fand doch verdorich sein

Häuschen nicht mehr. Alle waren se schiefergedeckt und Fachwerk, und er hatte schon das dritte Mal vergeblich mit dem Schlüssel geprokelt, und einmal hatten se schon ein Nachtgeschirr auf ihn ausgeleert. Sie können sich vorstellen, was der arme Kerl verzweifelt war. Und nun kam er dann an sein Häuschen, und dann kam seine Frau Wilhelmine oben annen Schlagladen und sagt: >Bist du es, Heinrich?< Worauf er ganz kläglich sagte: >Hoffentlich.<

Heinrich Lübke erzählte diese Geschichte noch erheblich länger, was durchaus ganz unterhaltsam sein konnte. Die Pointe blieb immer dieselbe. Die andere Geschichte war bei ihm immer verbunden mit einem Stück Geschichtsunterricht:

>Meine Herren, ich kann ja wohl voraussetzen, dass Sie die Geschichte unseres Vaterlandes und unserer Nachbarländer einigermaßen parat haben. Deswegen dürfte der Ausdruck >Isonzofront< auch in Ihrem Leben eine gewisse Rolle spielen. Also Isonzofront — das spielte sich in den Alpen ab. Die Österreicher waren gegen die Italiener ganz gewaltig in die Bredullje geraten. Und jetzt wurde das 17. Infanterieregiment aus Iserlohn an die Isonzofront gebracht, in Eilmärschen, damit die Italiener zurückgeworfen werden konnten. Heinrich Wilhelm Schulte-Quanekuntel vom 17. Infanterieregiment aus Iserlohn musste also jetzt Wache stehen an der Isonzofront. So stand er da und hatte seinen Gewehrriemen festgenommen, als ein k.u.k.-österreichischer Leutnant vorbeikam. Aber Heinrich Wilhelm Schulte-Quanekuntel übersah ihn, der war Luft für ihn. Das ärgerte den Leutnant und der sagte: Sagen S', Sie, Gefreiter, ich bin Leutnant, mein Kaiser und Ihr Kaiser sind Verbündete, also Sie müssen mich grüßen.

Worauf Heinrich seinen Gewehrriemen noch ein bisschen fester fasste und sagte: Wir vom 17. Infanterieregiment aus Iserlohn sind nicht in Eilmärschen hier an die Isonzofront geworfen worden, um Ihnen zu grüßen, sondern um Ihnen aus der Scheiße zu ziehen.<

Das erzählte Heinrich Lübke etwa in der Dauer von einer halben Stunde.«

Wenn ich an westfälische Geschichten denke, fällt mir als erste eine ein, die mir mein Vater erzählt hat, als ich klein war. Um sie zu verstehen, muss man wissen, wie damals Personenzüge gebaut waren.

Als in den Zügen der Reichsbahn noch jede zweite Sitzreihe eine Abteiltür hatte, schlugen die Schaffner bei Abfahrt des Zuges alle offenen Türen zu, auch jene, hinter der Bauer Bohnekamp sitzt. Die Tür fällt jedoch nicht ins Schloss, sondern kommt mit Wucht zurück und haut mit der Klinke dem Schaffner gegen den Kopf. Wütend schlägt er sie ein zweites Mal zu, diesmal heftiger. Wieder federt die Tür mit der gleichen Wucht zurück und trifft seine Nase. Der Schaffner guckt genauer nach, was da los ist. Und da sitzt Schulze Bohnekamp und grinst: »Jünksken, so lange ich meinen Daumen dazwischen halte, kriegst du die Tür nicht zu!«

Koch begrüßt das neue Stichwort. »Wenn ich den Kölnern erzählen sollte, was die Westfalen für Leute sind, dann habe ich mich immer an meinen Freund erinnert, den Hinnerk aus Appelhülsen.«

Hinnerk habe ich neulich getroffen mit so'nem Pferd am Halfter, und der machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Ich sagte: »Was ist los?«

»Au«, sagt er, »das ist ein ganz verfaulter Tag heute. Ich komme in den Stall, da liegt dieser Gaul auf allen Vieren im Stroh und ich sach >los, Hannes, upstan, arbeiten<. Und der guckt mich an, als ob er sagen wollte >Du kannst mal inne Meese klei'n<. Und ich die Peitsche vonne Wand, hab' dem eine übergetrocken. Da ist der aufgesprungen, hat ausgekeilt und mir genau vorn Kopp. Und jetzt lahmt der blöde Gaul, jetzt muss ich mit dem zum Tierarzt.«

So sollen wir Westfalen sein. Es gibt da noch einen ganz alten Witz:

Große Bauernbeerdigung. Die Bäuerin war vom Pferd erschlagen worden, und das ganze Dorf war natürlich bei der Beerdigung.

Und der eine Nachbar von dem, der sieht, wie die Leute immer ans Grab treten, und wenn die Frauen kommen, dann nickt der verwitwete Ehemann immer, und wenn die Männer kommen, dann schüttelt er immer den Kopp.

Es ärgert ihn, dass er nicht weiß, was da vor sich geht. Er tritt näher heran und hört, wie die Frauen immer sagen: »Herzliches Beileid.«

Und der verwitwete Ehemann nickt immer und sagt: »Dankeschön, Dankeschön.«

Und die Männer sagen: »Kannste mich den Gaul mal leihen?«

Wenn die Westfalen aber fragten, was die Kölner für Leute seien, meint mein westfälischer Gast, da habe er immer die Geschichte vom heiligen St. Gereon, dem Schutzpatron der Arbeitslosen erzählt.

In der St. Gereonskirche steht eine kostbare Statue aus dem 14. Jahrhundert, eben der Schutzpatron der Arbeitslosen. Und da kommt der Tünnes und sagt: »Lieber heiliger St. Gereon, isch hann kinn Arbeit, und wenn isch bis morgen keine Arbeit habe, dann komm' ich mit der Axt und hau' disch kapott, haste dat verstanden?« Und damit geht er weg.

Der Küster, der hinter der Säule steht, hat das gehört. Er läuft zum Pfarrer und sagt: »Alarm, Alarm, Herr Pfarrer, wir müssen die GSG-9 benachrichtigen! Ich weiß genau, der Tünn, der kriegt so schnell keine Arbeit, der haut uns morgen unseren heiligen St. Gereon kaputt.«

Da sagt der Pfarrer: »Ruhig Blut, den bringen wir erst mal in Sicherheit in die Sakristei. Und dafür stellen wir diese kleine Figur aus Gips hin. Dann wollen wir mal warten, was passiert.« Am nächsten Morgen kommt der Tünnes mit einer riesigen Axt in die Kirche und sagt: »Dat han isch dir gesagt, wenn isch kinn Arbeit habe, dann ... Wo ist denn deine Papa, der Feigling?«