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Er ist froh, als er die Heimfahrt antreten kann. Mit dem D-Zug zuckelt er von Berlin aus los, dann weiter mit dem Bummelzug zu seiner kleinen Station. Als der Baron ankommt, ist es schon dunkel, und der Schnee hat den Bahnhof in winterliches Weiß getaucht.

Sein Kutscher Johann wartet bereits mit dem Pferdeschlitten und bringt ihn nach Hause. Das Schlösschen des Barons ist zu seinen Ehren festlich illuminiert: alle Lampen brennen, Kerzenleuchter sind in die Fenster gestellt worden und das gesamte Gesinde steht auf der großen Freitreppe mit Fackeln in der Hand, und als Gruß hat einer in den Schnee gepinkelt: »Willkommen, Herr Baron.« »Ach «, spricht der Baron beeindruckt, »Kinderchen, ich bin ja so jerührt, dass ihr mich so nett empfangt. Aber — wer hat das jeschrieben?«

Da tritt Johann, der Stallknecht, hervor und antwortet: »Herr Baron, war ich.«

Der Baron blickt ihn verwundert an: »Mein Junge. Der Kraft und der Fülle deiner Lenden würde ich das ja zutrauen, aber ich weiß doch: Du kannst gar nicht schreiben.«

Johann antwortet: »Nu, die Baroness hat mir den Pinsel jeführt.«

Man kann den Eindruck haben, dass Koch den Figuren, von denen er erzählt, immer ähnlicher wird. Zum Beispiel den baltischen Baronen oder Typen des westfälischen Landadels. In Jagdkleidung und mit seinem inzwischen grau gewordenen Bart, den er letzthin auf einen anmutigen Schnäuzer verkleinert hat, kann man ihn leicht für ein Mitglied jener Schichten halten, deren Rolle er so gern spielt.

Koch ist wie seine Protagonisten leidenschaftlicher Jäger. Seit mehr als vierzig Jahren stellt er dem Wild nach »im Wege des Armenrechts«. Das heißt, er ist auf Einladungen angewiesen. Um die zu er-gattern, muss man dem Jagdherrn nützlich sein, gut schießen können, Jagdhorn blasen oder eben Geschichten erzählen. Dann schlägt die Stunde der »Baltischen Barone«.

In einer linden Maiennacht guckt die Baronin von Korff oben aus ihrem Fenster und beobachtet unten in den Fliederbüschen recht merkwürdige Bewegungen. Als der Mond hinter einer Wolke hervorkommt und die Nacht erhellt, ruft sie herunter: »Marjellchen, wirst dich mal richtig hinstellen oder soll sich der junge Baron das Kreuz verbiegen?«

»Die baltischen Barone waren durchaus bodenständig und hatten das Herz auf dem rechten Fleck«, erklärt Koch. »Und ein bisschen fühlten sie sich wie die Herren der Welt.« Das führte angeblich dazu, dass sie gelegentlich, wenn sie irgendwelche Fremden auf ihrem Land antrafen, erst gar keine Förmlichkeiten austauschten, sondern einfach zur Waffe griffen. Der unbekannte Eindringling wurde dann mit einem Armenbegräbnis verabschiedet. Solche Gepflogenheiten kamen in den letzten Jahren allerdings immer seltener vor. Dass immer wieder die Letten zur Zielscheibe gerieten, resultiert aus der lettischen Revolution 1905/06, bei der beide Seiten böse hingelangt hatten.

Im Jahr 1908, der Krieg liegt schon länger zurück, kehren allmählich wieder normale Sitten ein. Da trifft der Baron von Firks den Grafen Hahn im Bummelzug nach Riga. Auf dessen Knien liegt ein geladenes Jagdgewehr. Da spricht der Firks zu Hahn:

»Zu was bist' bewaffnet? Der Krieg gegen die Letten ist doch schon längst vorbei.«

»Ja«, sagt der Hahn, »ist so eine langweilige Fahrt. Weißt du, man könnte doch vielleicht auf einen lettischen Bahnwärter zu Schuss kommen.«

Zu dieser schlichten Einstellung passt auch die Erzählung von der Beerdigung des alten Korff.

Verwandtschaft und Bedienstete finden sich schwarz gekleidet zu einem großen Trauerzug ein. Da sehen die Leute, dass der junge Baron von Firks ein Jagdgewehr dabei hat. Sein alter Onkel geht auf ihn zu und bemerkt:

»Neffe, ist das nicht ein bisschen degoutant? Wir beerdigen den alten Onkel und du hast ein Jagdgewehr dabei.« »Ja«, erklärt er, »ein Fuchs kann immer kommen.«

»Das ist ein berühmter Jägerspruch, den man auf einer Treibjagd zur Aufmunterung einwerfen kann«, fügt Koch hinzu. Mir fällt dazu der Satz eines trinkfreudigen baltischen Barons ein:

»Von allen leichten Landweinen ist mir der Cognac der liebste.«

»Ein bisschen menschenverachtend waren sie schon, diese Adeligen«, räumt Koch ein, »obwohl mir echte baltische Barone, ich bin mit einigen zur Schule gegangen, immer wieder gesagt haben: So lebensfeindlich, wie du uns darstellst, sind wir eigentlich nicht gewesen. Doch wenn man nachfragte, waren sie durchaus bereit zuzugeben, dass an mancher überspitzten Anekdote etwas dran war.«

Die langen Winter überbrückte man gerne durch die Jagd. Einmal im Jahr gab es die große Herbsttreibjagd. Bei dieser Gelegenheit konnte man die Schwester wieder einladen, die sich mit einem Kommerzienrat aus Berlin verheiratet hatte. Es war eigentlich eine Mesallianz, aber zu diesem besonderen Tag war man verpflichtet, auch den Schwager einzuladen und mit zur Jagd zu nehmen. Am Abend eines solchen Tages fällt beim Korff auf dem Stand ein Schuss.

Der Firks geht rüber und fragt: »Na, was hast' geschossen? Hast noch 'ne Sau erwischt?«

»Ja«, sagt der Korff, »könnt auch ein Treiber gewesen sein.« »Bist du verrückt, du weißt doch genau, was wir für Schwierigkeiten haben, wenn wir die Treiber nicht in Ruhe lassen. Lass uns nachschauen, wer es ist.«

Sie gehen hin, und da liegt wirklich ein Mann mit dem Gesicht im Schnee, mausetot. Sie drehen ihn um, und da sagt der Firks: »Du Korff, das ist ja zum Glück gar kein Treiber, sondern dein Schwager, der Kommerzienrat aus Berlin. Herzliches Beileid.« »Scheiß auf dein Beileid, aber was soll ich meiner Schwester sagen? Die ist sowieso so eigen.«

Aus Ostpreußen stammt dieser:

Fragt der Lehrer: Warum hast du gestern gefehlt? Schüler: Unser Hof ist abgebrannt. Der Lehrer: Und wo warst du vorgestern? Schüler: Da mussten wir doch ausräumen.«

Das erinnert mich an eine andere Geschichte, die sich mit dem kru-den Charakter der Menschen der früheren preußischen Provinz beschäftigt, deren Gebiet heute zu Polen und Russland gehört:

In ostpreußischen Familien gab es den Brauch der Totenwache. Das bedeutete, dass der Tote im Wohnzimmer im Sarg aufgebahrt wurde und die Verwandten um den Sarg herumsaßen. Als die Oma gestorben war, versammelten sich alle Familienmitglieder, wie es Brauch war, im Wohnzimmer um die Leiche. Zunächst gedachten sie alle zehn Minuten der Verstorbenen. Dann kredenzte die Schwiegertochter eine Runde Branntwein. Bald darauf wurden Schnittchen gereicht. Danach gab es wieder etwas zu trinken. Später wurde ein Lied gesungen, das die Verstorbene gern gemocht hatte. Dann stimmten die Versammelten auch andere Lieder an. Und schließlich, nach einigen Runden Branntwein, begannen sie auch zu tanzen.

Am nächsten Tag nimmt sich der Pastor den Sohn der Verstorbenen vor. »Dass ein Gläschen getrunken wird bei der Totenwache, ist ja nicht so schlimm. Dass es ein paar Schnittchen gibt, lässt sich auch noch vertreten. Dass ein Lieblingslied der Oma am Sarg gesungen wird, ist an der Grenze. Was aber nicht geht, ist, dass um den Sarg herum getanzt wird.«

»Genau, das habe ich auch gesagt«, bestätigt der Sohn. »Aber dann haben wir es ausprobiert: Man muss den Sarg nur hochkant in die Ecke stellen!«

Dazu hat Koch eine baltische Version:

Es war im harten Winter des Jahres 40/41: Die Großmutter war gerade gestorben und die Familie hatte eine merkwürdige Totenfeier zelebriert. Sie konnten sie nicht beerdigen, weil der Boden so hart gefroren war. Es war unmöglich, eine Grube auszuheben. Und so einfach in die Luft sprengen, wie sie es mit dem Holzknecht, dem verunglückten, getan hatten, wollten sie die Oma auch nicht. Im Haus konnte man die alte Dame nicht behalten, sie wurde schon leicht anrüchig, wie die Jäger sagen. Also hat der Korff sie auf den Schlitten gepackt und in den Winterwald rausgefahren. Drei Monate hat sie da gestanden im harten Winter, eh dann Ende März der Boden wieder ein bisschen weich wurde, so dass man ein Grab ausheben und die Oma mit allen Ehren beerdigen konnte.