Auch die Schwester aus Berlin war wieder dabei. Am Schluss der Zeremonie geht sie zum Korff und gesteht ihm: »Bruderherz, das war eine wunderschöne Beerdigung und es war sehr feierlich. Bloß eins hat mich gestört, dass du die arme, alte Oma drei Monate alleine im Winterwald hast stehen lassen.« »Nu«, sagt der, »nicht alleine. Bin noch oft draußen gewesen, hab' noch über 40 Füchse an dem Luder geschossen.«
Die Jagd spielte für die Balten eine große Rolle.
Wieder hat sich eine große Gesellschaft zu einer Treibjagd zusammengefunden. Es gab ausreichend Rotwild auf der Strecke, die Jäger sind zufrieden. Unangenehmerweise sind bei der Jagd auch zwei Treiber ums Leben gekommen.
Selbstverständlich hat man die toten Treiber neben das erlegte Wild gelegt, das gehörte sich ja so. Aber als sie dann alle am flackernden Feuer standen, da sagt der Korff zum Firks: »Guck dir das an. De jagdlichen Sitten verrohen wirklich zusehends. Jetzt legen se de Treiber schon vor die Hirsche.«
Solch nüchterne Betrachtungen sind nicht für jeden leicht verdaulich. Machen diese Scherze den baltischen Baron zu einem Sonder-ling, zu einer Kunstfigur außerhalb der Gemeinschaft? Tünnes und Klein Erna sind ja durchaus miteinander verwandt, ihre Familienbande reichen auch in andere Regionen. Der baltische Baron hingegen ist eine historische Figur, verwandt mit dem Herrn von Zitzewitz, der auch nicht mehr über die Kasernenhöfe geistert. Es sind eigentlich schon Witze unserer Großväter.
»Ich habe einen Großvater gehabt«, erzählt Koch, der gehörte zu dieser Gründergeneration des Ruhrgebietes. Er besaß eine Zuliefererfirma und stellte Lampen her. Er war ein wohlhabender Mann und hatte zusammen mit einem Essener AEG-Direktor eine Jagd an der Ruhr, in Sprockhövel, gepachtet. Die beiden wurden dann von ostelbischen Baronen zu großen Treibjagden eingeladen. Eine Tagesstrecke von 800 Hasen war keine Seltenheit. Die baltischen Barone bildeten sich darauf viel ein und behaupteten: >Nichts geht über eine baltische Jagd!<
Darüber ärgerten sich mein Großvater und sein Kumpel. Sie behaupteten darum, in ihrer Jagd in Sprockhövel könne man sogar Giraffen schießen. Natürlich nahm ihnen das niemand ab, und so schloss man eine Wette ab. Daraufhin kauften mein Onkel und sein Freund Fritz in der berühmten Tierhandlung Ruhe in Alfeld an der Leine eine junge Giraffe. Sie sprang nur kurze Zeit glücklich in den Ruhrwiesen umher, bis sie von einem der baltischen Barone erlegt wurde. Mein Großvater hatte die Wette gewonnen. Aber natürlich war die Sache auch damals alles andere als komisch.« Keinerlei Risiken enthält dagegen diese Geschichte:
Der Polizeiposten auf dem Dorf erhält ein Telegramm: »Bitte prüfen, ob der im Dorf lebende Max Dragoleit mit dem Max Drago-leit, der in der Stadt steckbrieflich gesucht wird, identisch ist.« Antwort: »Max Dragoleit geht keiner geregelten Arbeit nach, betrinkt sich häufig, fängt dann Streit an und stellt den Frauen nach. Es gibt jedoch keinen Hinweis, dass er auch noch identisch ist.«
Dieser Witz streift ein anderes großes Thema: Wie geht der Witz mit den Mächtigen um, mit der Bürokratie, mit allem Fremden? Gerne greift der Witz die sympathische Hilflosigkeit des kleinen Mannes auf.
Einer seiner Lieblingswitze sei sogar stubenrein, sagt C. W. Koch:
Erster Weltkrieg, 1914: Es tobt die Schlacht gegen die russischen Truppen bei Tannenberg in Ostpreußen. Großes Schlachtgetümmel, überall schlagen die Granaten ein und Minen gehen hoch. Pulverdampf liegt über der Landschaft. Feldmarschall Hinden-burg steht mit seinem Generalstabschef von Ludendorff auf dem Feldherrnhügel und beobachtet den Verlauf der Schlacht. Da kommt ein Meldesoldat den Hügel hochgerannt. Schon von weitem hört man ihn schreien: »Maldung, Herr General, Maldung, Herr General.« Da schlägt's wieder ein, und der Melder wird durch die Gegend geschleudert. Er rappelt sich auf und kämpft sich durch. Da spricht Hindenburg sanft zu ihm: »Nu mal ruhig, Jungchen, was haben Sie denn zu melden?« Sagt der Melder: »Hab' vergessen.«
Der Krieg diente vielen manchmal deftigen Geschichten aus dem Baltikum und Ostpreußen als Bühne:
Die Pioniere sind eingefallen in das kleine Dorf östlich von Pillkallen, dem heutigen Dobrowolsk. Abends soll Manöverball sein. Marjellchen hat schon am frühen Nachmittag begonnen, sich auf den besonderen Anlass vorzubereiten: Sie hat gebadet, hat sich gepudert, ihr Korsettchen festgeschnürt. Plötzlich springt ihr ein Floh in den üppigen Ausschnitt und gleitet langsam tiefer ihren Busen hinab. Sie versucht ihn aufzuhalten, doch das misslingt.
Da sagt sie: »Jungchen, bleib ruhig sitzen, de Kanoniere heute Abend werden dich schon rausballern.«
Ich muss an dieser Stelle noch meinen Großvater ins Spiel bringen. C. W. Koch trägt den weißen Bart genauso wie er. Auch er war ein großer Geschichtenerzähler:
In einer Diplomatenfamilie werden häufig Gäste eingeladen, und in den frühen Abendstunden ist auch der kleine Sohn noch dabei.
Der meldet sich dann gelegentlich, sucht seine Mutter und ruft: »Mama, ich muss mal!«
Nach einem solchen Abend erklärt ihm die Mutter: »Pass auf, du rufst jetzt nicht mehr so, wenn du mich brauchst, um dein kleines Geschäft zu machen, du wartest bis ich dich sehe und winkst mir, indem du mit dem Zeigefinger wackelst. Dann komme ich.« Das klappt auch gut am nächsten Abend. Der Junge winkt mit dem Finger, die Mutter geht mit ihm weg.
Am nächsten Abend mit Gästen steht die Mutter in einem Kreis festlich gekleideter Menschen, der Junge müht sich, sie aufmerksam zu machen: »Mama!« Die Mutter sieht zu ihm herüber. Der Junge winkt mit den Zeigefinger und ruft: »Und kacken!«
Eine Familie beherbergt einen angesehenen Gast aus dem Ausland, der im Fremdenzimmer übernachtet. Als Erstes wünscht er, nach der langen Reise ein Bad zu nehmen. Als der Besucher schon in der Wanne sitzt, klopft der Gastgeber an die verschlossene Badezimmertür und ruft: »Ich habe vergessen, dir die Bedeutung der Schwämme mit den Buchstaben A und G zu erklären.«
Der Gast lacht: »Das war mir schnell klar. G bedeutet Gesicht und A, na ja, ich denke Arsch.«
»Das ist leider falsch«, ruft der Gastgeber: G heißt Gesäß und A Antlitz.«
Die historischen Witze - wir wären ärmer ohne sie. Der Schauspieler Gert Fröbe erzählte 1979 im >Kölner Treff< ein Beispiel, was aus Informationen werden kann, die man weitergibt:
Ein Oberst gibt Befehl an seinen Dienst habenden Offizier: »Morgen Abend, so gegen 20 Uhr, ist von hier aus der Halley'sche Komet sichtbar. Das Ereignis stellt sich alle 75 Jahre ein. Veranlassen Sie, dass sich die Leute in Drillichanzügen auf dem Kasernenhof einfinden. Ich werde ihnen dann das seltene Ereignis erklären. Falls es regnet, können wir nichts sehen, und die Leute müssen sich dann im Kasernenkino einfinden. Dort werde ich ihnen dann einen Film über das Ereignis zeigen.«
Der Dienst habende Offizier reicht den Befehl an den Kompaniechef weiter:
»Auf Befehl des Herrn Oberst wird der Halley'sche Komet morgen um 20 Uhr über unserem Gebiet erscheinen. Lassen Sie die Leute, wenn es regnet, in Drillichanzügen heraustreten. Anschließend marschieren sie zum Kino, wo diese seltsame Erscheinung stattfinden wird. Es handelt sich um ein Ereignis, das nur alle 75 Jahre vorkommt.«